SchneckenforschungEine Schnecke namens Greta und warum Citizen Science Daten so wertvoll sind
Eigentlich waren Dr. Martin Haase und sein Team in Neuseeland, um ganz anderen Schnecken auf den Schleim zu gehen. Und wie das so ist bei Schneckenforschern, man guckt gern unter Steine an Gewässern und dann auch ganz genau hin, was da so klebt. So entdeckten sie eine kleine namenlose Spezialistin, die bis dahin noch keiner beschrieben hatte: Opacuincola gretathunbergae. "Ich hatte da so ein Gespür, das könnte spannend sein", sagt der Schneckenforscher Martin Haase von der Uni Greifswald.
Sie ist winzig klein und hat keine Ahnung, dass sie wegen ihrer Benennung nach Greta Thunberg schlagartig weltberühmt geworden ist: die Schnecke Opacuincola gretathunbergae, die einem Forschungsteam der Uni Greifswald in Neuseeland über den Weg gekrochen ist. Kaum drei Millimeter groß, lebt sie hauptsächlich in Quellen und kleinen Bächen. Und genau das macht die Sache so haarig – diese Schnecken sind genau wie zwei andere Arten, die die Greifswalder ebenfalls entdeckten, beschrieben und "tauften". Alle diese winzigen Schneckenarten sind Spezialisten und an einen bestimmten Lebensraum exakt angepasst – und können nur in einem ganz bestimmten Lebensraum alle Stadien ihres Lebenszyklus komplett durchlaufen: Als Krenobionten werden diese ausschließlich im Quellbereich des Gewässers lebenden Tiere auch bezeichnet. Sie sind das krasse Gegenteil beispielsweise zum regelrecht abenteuerlustigen Ölkäfer, der als Made eine bestimmte Blüte erklimmen muss, um dort eine spezielle Bienenart als Flugtaxi zu ihrem nächsten Entwicklungsort zu nehmen.
Was Opacuincola gretathunbergae zum Leben braucht
Das winzige Schneckchen Opacuincola gretathunbergae braucht dagegen nur einen speziellen Gewässertypus zum Leben, um sich fortzupflanzen, neue Generationen hervorzubringen. "Das sind sehr kleine Schnecken, die sitzen auf Steinen, Blättern und Pflanzenresten in Quellen und Bächen", beschreibt Schneckenforscher Dr. Martin Haase das Habitat der frisch "getauften" Süßwasserschnecken in Neuseeland. Haase lehrt an der Uni Greifswald und erforscht seit Jahrzehnten in aller Welt die ungeheuer große Welt der Mollusken, der Schnecken, also.
Doch zurück zu Opacuincola gretathunbergae: Wovon lebt sie? Sie vertilgt Dr. Haase zufolge vielerlei Mikroorganismen wie Algen, Bakterien und Einzeller aller Art, die sie sich vom Untergrund raspelt. Und wer frisst sie, für welche Spezies sind die Winzling-Schnecken die richtigen Appetit-Häppchen? Gute Frage, sagt Dr. Haase, so genau weiß man das noch nicht. Und auch nicht, welchem Parasiten sie als Zwischenwirt dienen. Denkbar sei aber, so der Forscher, dass sie, wie andere Wasserschnecken auch, bei Vögeln oder Fischen auf der Speisekarte stehen.
Schnecken mit speziellen Lebensraumwünschen - auch in Deutschland?
Gibt es solche kleinräumig verbreitete Arten auch in Deutschland? "Die haben wir hier auch, das ist ein weltweit verbreitetes Muster", bestätigt Dr. Haase im Gespräch mit MDR WISSEN. Beispielsweise sind die Bythinellidae, also Quellschnecken, auch hier in Deutschland spezialisiert auf Quellen und Bäche.
Es gibt eine faszinierende Diversität bei diesen Organismen und mit ihrer kleinräumigen Verbreitung. Wir achten nur in der Regel nicht darauf.
Dr. Martin Haase, Mollusken-Forscher
Auch die Rhönschnecke sei so ein Beispiel aus Deutschland, sagt der Molluskenforscher. Für all diese Beobachtungen muss man ihm zufolge nur mal einen Stein an einem Gewässer hochheben. "Das ist immer wieder überraschend", sagt Haase.
Das Heer der namenlosen Schnecken ist groß
Wenig überraschend also, dass der Forscher in Sachen Schnecken noch einige in petto hat. Wie viele unbekannte Schneckenarten es weltweit noch gibt, kann vermutlich keiner sagen. Allein 35 Arten, schätzt Haase, liegen bei ihm selbst noch in den Schubladen und warten auf ihre exakte morphologische und genetische Bestimmung, ihre wissenschaftliche Einordnung in die Mollusken-Familie, und eventuell auf ihre Namensgebung. Die Bestimmung und Beschreibung der "Greta-Schnecke" dauerte alles in allem etwa ein Jahr, sagt der Forscher, die Tiere sind sehr klein und haben relativ wenige Merkmale. Im Gegensatz zum gemütlichen Schneckenfang sind die Bestimmungsmethoden dann doch recht aufwändig.
Wer darf eigentlich Tiere benennen?
Jeder, der eine Art neu entdeckt und beschreibt, darf ihr einen Namen geben. Dafür braucht es nicht zwingend einen Titel, das Engagement der Amateure in der Biologie ist von unschätzbarem Wert, sagt Schnecken-Spezialist Haase: "Es gilt immer: Wenn jemand eine Art beschreibt und vergleicht – dann muss das Hand und Fuß haben. Die Arbeit wird von Fachkolleginnen und Kollegen begutachtet, eventuell noch offene Fragen werden geklärt, und dann wird erst publiziert." Und in diesem Prozess der Forschung sind die vielen Amateure, die zum Beispiel in Citizen Science Projekten Daten zu Insektenvorkommen sammeln, "wichtige Kollegen", sagt Dr. Haase. "Die Arbeit, die sie leisten, und ihre Daten sind äußerst wertvolle Beitrage für die Wissenschaft".
Dass nun die junge Schwedin, die weltweit durch ihr aufrüttelndes Engagement für die Umwelt und den Planeten bekannt ist, Namenspatin wurde, ist kein Zufall. Einerseits steckt hinter der Namensgebung dem Greifswalder Team zufolge der Respekt vor dem Engagement der jungen Frau. Andererseits sorgt so eine bekannte Namenspatronin dafür, dass über die Folgen von Artensterben und schwindender Biodiversität, die der Mensch verursacht, gesprochen wird, sind doch diese Arten sehr kleinräumig verbreitet und daher besonders verwundbar gegenüber Eingriffen in die Natur und durch den Klimawandel. Andere Schnecken, die dank Haase und seinem Team jetzt auch einen Namen haben, erinnern an den Greifswalder Kirchenmusiker Jochen A. Modeß – "Catapyrgus jami" – und an den neuseeländischen Komponisten Garreth Farr, "Obtusopyrgus farri".
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