Eine Zecke (Gemeiner Holzbock) im Gras
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Besser als ihr Ruf? Zecken - Gewinner der Evolution

03. Juni 2019, 09:42 Uhr

Kaum ist der Sommer da, wanzen sich prompt die ersten Zecken an uns ran. Lästige, manchmal sogar gefährliche Plagegeister sind sie für uns! In der Evolution haben sie sich jedoch ganz klar behauptet. Nur: zu welchem Zweck eigentlich? Haben Zecken überhaupt einen Nutzen?

Sie haben sogar in mehrfacher Hinsicht einen Nutzen. Man muss ihre Rolle nur aus dem richtigen Blickwinkel betrachten. Martin Schlegel ist Professor für Molekulare Evolution und Systematik der Tiere an der Universität Leipzig. Und als Evolutionsforscher betrachtet er immer das Große und Ganze, das Zusammenspiel von vielen Organismen, die Aktion und die Reaktion. Der Mensch steht da bei ihm zumindest wissenschaftlich nicht im Mittelpunkt:

Wir sind ja auf diesem Planeten nicht alleine. Wir haben mehrere Millionen Tier- und Pflanzenarten und unzählige Mikroorganismen. Und es gibt Lebensräume, die beherbergen eben auch viele Parasiten, zu denen die Zecken ja gehören, ebenso wie andere Spinnentiere, Insekten und Würmer. Die sind schon ein wichtiger Teil der Nahrungskette.

Martin Schlegel, Professor für Molekulare Evolution und Systematik der Tiere, Universität Leipzig

Zecken ernähren auch andere

Zecken dienen also anderen Lebewesen als Nahrung. Einige Pilzarten siedeln sich auf ihnen an, Fadenwürmer machen die Parasiten selbst zum Wirt und töten sie am Ende sogar, ebenso wie die Larven der Erzwespe "Ixodiphagus hookeri". Es gibt auch Vögel, die Zecken fressen. Oft geschieht das aber auch "aus Versehen", wenn die kleinen Blutsauger an Pflanzenteilen hängen, die eigentlich auf dem Speiseplan stehen.

Zecken balancieren Arten aus

Parasiten sorgen auch dafür, dass sich die einzelnen Bestände von Tieren oder Pflanzen nicht übermäßig vermehren. Das merken wir zum Beispiel dann, wenn fremde Arten in neue Lebensräume vordringen. Gegen die Parasiten, die dort vorkommen, sind sie vielleicht resistent und können sich dann rasant ausbreiten. Ob auch die Zecken solch eine Funktion erfüllen, und ob man das überhaupt unabhängig von all den anderen Faktoren wie Nahrungskonkurrenz, die Gegenwart von Fressfeinden und klimatischen Bedingungen betrachten kann, ist fraglich.

Zecken sind Überlebenskünstler

Eine Zecke sitzt auf einem Grashalm.
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Etwa zwei Jahre lang kann eine Zecke ohne Nahrung auskommen, 94 Prozent ihrer Lebenszeit wartet sie auf die nächste Mahlzeit. Die rund 800 Arten, die es gibt, haben die "Opfer" ganz gut unter sich aufgeteilt. Der gemeine Holzbock zum Beispiel ist nicht wählerisch und lässt sich eigentlich auf jedes Tier herab, dass ihm unter die acht Beine kommt. Andere Arten haben sich zum Beispiel auf Igel spezialisiert, selbst Reptilien und Amphibien sind nicht sicher vor den kleinen Blutsaugern. Die Auwaldzecke wiederum nutzt die Zeit zur Nahrungssuche, während andere "Winterpause" halten. Sie liegt schon sehr früh im Jahr auf der Lauer und hält durch bis zum ersten Schnee.

Parasiten beschleunigen die Evolution

Wissenschaftler konnten im Labor und in freier Natur beobachten, dass Parasiten die Evolution vorantreiben. Was im ersten Moment widersprüchlich erscheint, ist bei genauerem Hinschauen durchaus plausibel. Wenn ein Lebewesen von einem Parasiten besiedelt wird, kann es an ihm zugrunde gehen. Sorgt aber eine vielleicht zufällige Veränderung des Erbguts dazu, dass sich zum Beispiel seine Abwehr verbessert, bleibt es gesund. Es kann sich vermehren und die positive Erbgutveränderung an seine Nachkommen weitergeben. Dann sind auch die resistent gegen diesen Parasiten.

Das ist in gewisser Weise ein evolutionärer Wettlauf von Anpassung und Gegenanpassung. Hat der Wirt die Nase vorn, hat es der Parasit nicht mehr so leicht bei ihm und gibt auf. Im Labor kann man genau das an Bakterien sehr gut beobachten, weil sie aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer einen so schnellen Generationenwechsel haben.

Prof. Martin Schlegel, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Impuls für geschlechtliche Fortpflanzung

Einige Arten von Wirtstieren pflanzen sich viele Generationen lang fort, ohne einen Partner zu brauchen. Das ist wenig aufwändig und geht schnell. Wattschnecken zum Beispiel gelang das durch sogenannte Junfernzeugung, bis sie von Fadenwürmern heimgesucht wurden. Die Schnecken begannen, sich mit Männchen zu paaren, dadurch wurde das Erbgut neu durchmischt und machte die Tiere widerstandsfähiger gegen ihre Peiniger.

Parasiten trainieren unser Immunsystem

Wenn unsere Abwehr nichts mehr zu tun hat, weil alles um uns herum steril gehalten wird, richtet sie sich manchmal gegen uns selbst. Allergien und Autoimmunerkrankungen wie Formen von Rheuma oder Diabetes können die Folge sein. Parasiten, und so auch die Zecken, halten unser Immunsystem aber auf Trab.

Mit einem Zeckenbiss gelangt quasi ein ganzer Zoo in unseren Körper. Das können Borreliosebakterien sein, Viren, die die Frühsommer-Meningoenzephalitis, also eine Art der Hirnhautentzündung, verursachen und viele andere Mikroorganismen. Darauf muss unser Körper ja schon irgendwie reagieren.

Martin Schlegel, Professor für Molekulare Evolution und Systematik der Tiere, Universität Leipzig

Der Trainingseffekt durch einen kurzen Zeckenbiss sei aber nicht vergleichbar mit der Wirkung, die zum Beispiel ein Wurm in dieser Hinsicht erzielt, sagt Professor Martin Schlegel. Dadurch, dass er viel länger im Körper bleibt, sei auch die Belastung für den Wirt eine viel höhere. Nicht umsonst nennen es die Wissenschaftler "Wurm-Hypothese", wenn sie von einem möglichen Zusammenhang zwischen Parasitismus und Immunreaktion sprechen. Das ist übrigens ein "Vorzug" der Zecke, auf den der Evolutionsbiologe und seine Studierenden lieber verzichten.

Wir waren einmal mit einer Studentin auf Exkursion, die hat nach einem Zeckenbiss diese typische Wanderröte bekommen. Das ist ein klares Anzeichen von Borreliose und ich hab sie sofort ins Krankenhaus gebracht. Ich selbst bin gegen Frühsommermeningoenzephalitis geimpft und schaue immer nach Zecken, wenn ich von draußen reinkomme. Das lege ich auch in jedem Semester meinen Studenten ans Herz.

Prof. Martin Schlegel, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

Berufsrisiko: Zeckenbiss

Von einer Zecke gebissen zu werden, ist sozusagen ein erhöhtes Berufsrisiko von Biologen, die viel im Feld unterwegs sind. So wie Prof. Schlegel, der mit seinem Team und Studierenden sowie zahlreichen Arbeitsgruppen unter anderem auf einem riesigen Kran im Leipziger Auwald für das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig das Leben in den Baumkronen erforscht. Das Spannende ist für ihn immer das komplexe Zusammenspiel aller Beteiligten in einem Ökossystem.

Alles bedingt sich irgendwie gegenseitig. Manchmal merkt man erst, welche Rolle Arten oder Organismen spielen, wenn sie nicht mehr da sind. Der Fuchs hatte zwei Plagegeister: Die Tollwut und den Fuchsbandwurm. Von der Tollwut haben wir ihn erlöst. Dafür dringt er jetzt bis in menschliche Siedlungen vor und verbreitet dort seinen Bandwurm.

Martin Schlegel, Professor für Molekulare Evolution und Systematik der Tiere, Universität Leipzig

Über dieses Thema berichtete der MDR MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23.03.2017 | 14.00 Uhr
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