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Mit den Versuchen in London soll unter anderem erforscht werden, welche Virusmenge tatsächlich für eine Infektion erforderlich ist (Symbolfoto). Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Covid-19Human-Challenge-Studie: "Das Risiko ist zu hoch"

19. Februar 2021, 12:30 Uhr

Am Imperial College in London werden zum ersten Mal Versuchspersonen absichtlich mit Corona infiziert, um Erkentnisse über die Wirkung von Impfstoffen zu gewinnen. Medizin-Rechtler Hans Lilie hält das für problematisch.

Am Imperial College in London soll demnächst die erste sogenannte Human-Challenge-Studie starten. Dabei werden 90 freiwillige Teilnehmer absichtlich mit dem SARS-Coronavirus-2 infiziert, zunächst mit dem soganntenten Wildtyp, der im Sommer 2020 dominantes Virus war, später auch mit den neuen Varianten. Getestet werden soll, welche Virusmenge für eine Ansteckung notwendig ist. Dann sollen weitere, geimpfte Teilnehmer dieser Virendosis ausgesetzt werden, um den Schutzgrad durch die Impfung besser zu evaluieren. Die Teilnahme ist riskant. Wer erkrankt, soll rasch mit Remdesivir behandelt werden. Allerdings hat das Medikament in Studien nur eingeschränkte Wirkungen gezeigt. Versuchsteilnehmer könnten daher auch schwer erkranken oder Langzeitfolgen erleiden.

Der Medizin-Rechtler Hans Lilie von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beschäftigt sich unter anderem mit den Hürden für solche Versuche. Im Interview mit dem MDR erklärt er seine Bedenken.

MDR: Wo sind solche Studien, bei denen Menschen absichtlich infiziert wurden, in der Geschichte der Medizin schon Mal zum Einsatz gekommen?

Prof. Dr. Hans Lilie: Wenn ich mich richtig erinnere, hat dies so in den 70er-Jahren bei Cholera und bei Malaria schon mal eine Rolle gespielt. Dort hat man gesunde Menschen infiziert, um zu sehen, wie die Impfstoffe wirken, die man entwickelt hätte.

MDR: Sprechen wir über diese Studie aus Großbritannien und fangen mit dem Positiven an: Das übliche Verfahren bei der Entwicklung eines Impfstoffes ist bisher, dass Zehntausende geimpft werden und dann geschaut wird, ob sich weniger Menschen auf natürliche Weise mit dem Virus infizieren als in einer ungeimpften Kontrollgruppe. Da erscheint diese Human-Challenge-Studie aus Großbritannien mit gerade mal 90 Probanden doch deutlich effizienter zu sein, oder?

Prof. Dr. Hans Lilie: Effizienz hin oder her: Wenn man so etwas in Deutschland machen würde, müsste man sich ans Arzneimittelgesetz halten. Das schreibt mit den Paragrafen 40 und 42 die Regeln für solche Studien vor. Es muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden. Wir brauchen eine besonders umfassende, sorgfältige Aufklärung für die Probanden, die sich freiwillig zur Teilnahme entscheiden müssen. All diese Dinge werden immer einer Ethikkommission vorgelegt. Das sind schon mal drei hohe Hürden. Und weil es um Impfstoff geht, muss das Paul-Ehrlich-Institut eingeschaltet werden.

MDR: Die Studie in Großbritannien unterscheidet sich von den Grippe- oder Malaria-Studien, die Sie angesprochen haben, insofern, dass den Probanden kein potenzieller Wirkstoff verabreicht wird. Das ist doch gefährlich, oder?

Prof. Dr. Hans Lilie Bildrechte: Uni Halle / Markus Scholz

Prof. Dr. Hans Lilie: Natürlich ist das einerseits wahnsinnig gefährlich. Die Argumente, die an der Stelle kommen, dass man das riskieren könne, sind die, dass man die medizinische Erfahrung gemacht hat, dass jüngere Menschen die Erkrankung leichter wegstecken. Denken Sie an Fußballer, wo wir in letzter Zeit hören, der oder der hat Corona. Und drei Wochen später steht er wieder auf dem Platz, während jemand aus meiner Generation noch nicht mal schnaufend die Treppe hoch kommt. Deswegen nimmt man auch die jüngeren Teilnehmer, wenn man sagt, so gefährlich seien die Verläufe für sie nicht. Aber: Das große Risiko liegt für mich darin - und das ist auch eine ethische Frage: Ich infiziere jemandem, habe aber kein Medikament, mit dem ich ihn behandeln kann.
Wir haben ja gesehen, dass man mit Remdesivir, das von Ebola kommt, einiges machen kann. Aber ob das wirklich hilft, wissen wir nicht.

MDR: Sie haben es gerade angesprochen: Die Studie wird durchgeführt mit jüngeren Probanden. Jetzt ist es doch aber so, dass vor allem die Älteren und chronisch Kranken anfällig sind für Corona. Was bringt denn so eine Studie überhaupt am Ende?

Prof. Dr. Hans Lilie: Das ist eine große Frage, die in dem Zusammenhang diskutiert wird. Wenn ich bei jungen und gesunden Menschen eine kontrollierte Infektion in einem abgeschlossenen System hervorrufe, ist das etwas anderes, als wenn sich Menschen irgendwo in ihrem normalen gesellschaftlichen Umfeld infizieren. Von daher ist natürlich die Frage zutreffend: Sind die Ergebnisse, die man da erzielt, wirklich objektiv wissenschaftlich verwertbar?

MDR: Mal angenommen das ist so und die Briten gewinnen mit ihrer Corona-Studie neue, bahnbrechende Erkenntnisse, von denen auch Deutschland profitiert. Könnte dann hierzulande möglicherweise ein Umdenken stattfinden? Halten Sie dann Human-Challenge-Studien künftig auch in Deutschland für denkbar?

Prof. Dr. Hans Lilie: Ich bin da nicht sicher. Man muss diesen Leuten sagen: "Hör mal, du wirst infiziert, folgende Risiken sind dabei." Es ist sehr schwer, dann Menschen dazu zu bewegen, das freiwillig zu machen. Man geht ja ein vitales Risiko ein. Auf der anderen Seite brauchen wir auch eine vernünftige Beziehung zwischen Risiko und Nutzen. Unser Problem ist in der ganzen Corona-Debatte, dass wir in einer Risiko-ethischen Situation sind, weil wir nie wissen, welches Risiko wir eingehen, wann etwas machbar ist und wann nicht, zum Beispiel in der Öffnungsdebatte gerade.

MDR: Dann stellt sich die Frage, warum es überhaupt Freiwillige gibt in Großbritannien, die an dieser Studie teilnehmen. Das kann doch eigentlich nur mit einer extrem hohen Entschädigung dafür zusammenhängen. Oder fallen Ihnen noch weitere Gründe ein?

Prof. Dr. Hans Lilie: Es können einige dabei sein, die sind altruistisch und sagen: Ich riskiere meine Gesundheit für die Allgemeinheit. Aber meist sind das junge Leute, die im universitären Umfeld eingeworben werden. Und wenn ich mich an meine Studienzeit erinnere - ich habe mich über jedes Geld gefreut, dass sich verdienen konnte. Das haben wir heute ja auch. Wenn wir andere medizinische Studien machen, werden oft Studentinnen und Studenten eingeworben. Und die kriegen natürlich ein Entgelt für das, was sie da an Risiko aufbringen. Aber hier bei Corona ist nach meinem ethischen Gefühl das Risiko einfach ein bisschen zu hoch, weil wir für Forschung doch sehr viele der Interessen und der Rechte der einzelnen Versuchspersonen aufs Spiel setzen. Und da habe ich Bedenken.

(mdr)

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