Max-Planck-Institut Magdeburger Bioreaktor: 10 Millionen Impfdosen in 2 Wochen

Nach der Gelbfieber-Epidemie in Angola 2016 dauerte es beinahe ein Jahr, bis die weltweiten Impfstoffreserven wieder aufgefüllt waren. Die Produktion in Hühnereiern ist langsam. Wissenschaftler in Magdeburg haben eine neue, effektivere Methode

Laborraum mit Bioreaktoren im Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg
In solchen Bioreaktoren können die Forscher in kurzer Zeit so viel Impfstoff herstellen, wie die ganze Industrie in einem Jahr schafft. Bildrechte: Stefan Deutsch/Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme Magdeburg

Statt hunderter Millionen Eier, in denen Viren sonst zu Impfstoffherstellung reifen, steht in Magdeburg so etwas wie ein großes Gurkenglas. "Da passen 700 Milliliter rein", sagt Alexander Nikolay. Er ist Biotechnologe am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.

Porträtaufnahme der beiden Forscher Alexander Nikolay und Yvonne Genzel.
Bildrechte: Karsten Möbius/MDR Wissen

In Wirklichkeit ist das Gurkenglas ein Bioreaktor. "Das ist ein Kultivierungsgefäß, da fühlen sich Zellen wohl und können sich vermehren", erklärt er. Der Forscher macht es den Zellen so gemütlich wie möglich: 37 Grad und immer genug zu essen. "Wir füttern die Zellen kontinuierlich, damit sie immer schön wachsen."

Sie bekommen eine Zuckerlösung, mit Vitaminen und allem was sie brauchen. Soweit ist das nichts Besonderes, das passiert auch in vielen anderen Laboratorien dieser Welt. Alexander Nikolay hat sich allerdings zwei besondere Tricks ausgedacht. Er misst mit einer Sonde, wie viele Zellen in seinem Bioreaktor sind. Im übertragenen Sinne weiß er also, wie viele Esser am Tisch sitzen und wie viele Brote er besorgen muss.

Ein Liter ergeben 10 Millionen Impfdosen

Bei zwei Zellen, kommen zwei Brote hinein und so weiter. Damit automatisiere ich den ganzen Zufütterungsprozess. Das muss ich nur noch die Zufütterungsflasche ab und an nachfüllen. Sonst läuft der Prozeß von sich aus alleine und ist natürlich genau optimiert auf die Zellkonzentration im Bioreaktor.

Alexander Nikolay, Max-Planck-Institut für die Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg

Der zweite Trick: Nikolay schafft Platz für neue Zellen im Bioreaktor. Er zieht verbrauchtes Medium durch eine Membran ab. "Wir halten jeden Fall immer die Zelle zurück. Dadurch erhalten wir sehr hohe Zellzahlen", sagt er.

Und damit wären wir wieder beim Impfstoff. Denn Alexander Nikolay hat seine Zellen mit dem Gelbfiebervirus infiziert. Die einfache Rechnung ist, je mehr infizierte Zellen, desto mehr Impfstoff kann mit abgetöteten Erregern hergestellt werden. Das, wozu man sonst hunderte Millionen Hühnereier bräuchte, macht Nikolay mit nur einem Gläschen.

Wir können in unserem Bioreaktor mit einem Liter ungefähr 10 Millionen Impfdosen in zwei Wochen herstellen. 2018 hatten alle großen Produzenten der Welt eine Jahreskapazität von 40 bis 50 Millionen Dosen für Gelbfieberimpfstoff.

Alexander Nikolay, Max-Planck-Institut für die Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg

Weltproduktion in zwei Wochen möglich

Um die gesamte Weltproduktion für Gelbfieberimpfstoff in wenigen Tagen herzustellen bräuchte der Magdeburger also nur ein größeres Glas zu nehmen und fertig. Wie effektiv die neue Methode von Alexander Nikolay ist, erklärt sein Chef, Professor Udo Reichl, Leiter des Max-Planck-Instituts für die Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg: "Früher hatten wir Zelllinien, da hatten wir vielleicht 2 Millionen Zellen pro Milliliter. Heute gelingt es uns eben 50 oder 100 Millionen Zellen pro Milliliter zu kultivieren."

Porträtaufnahme von Professor Udo Reichl, ein Mann mittleren Alters mit einer Brille, dunkelblonden, lockigen Haaren, einem blau-weiß karierten Hemd und einer schwarzen Jacke.
Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

Diese Methode haben die Magdeburger beim Züchten des Gelbfieber- und des ZIKA Virus erfolgreich getestet. Sie würde aber auch bei der Herstellung jedes anderen Impfserums funktionieren, sagt Reichl. "Voraussetzung ist nur, dass man eine Zelllinie hat, in der sich das Virus sehr gut vermehren lässt."

Trotz dieser unglaublich effektiven Methode wird sich die Herstellung eines Grippeimpfstoffs in Zukunft nicht wesentlich beschleunigen, sagt Reichl. Bis ein Impfstoff für den Markt freigegeben wird, seien die Prüfverfahren sehr zeitaufwendig. Außerdem glaubt Reichl, dass sich diese Methode nur langsam durchsetzen wird. Studien seien notwendig, viel Geld müsse in die Hand genommen werden, um nachzuweisen, dass diese neue Technologie auch zu sicheren Impfstoffen führe. Reichl spricht dabei von 100 bis 200 Millionen Euro.

Ich spekuliere, dass das so passieren wird, dass es für neue Prozesse eingesetzt wird. Entweder wird es Firmen geben, die sagen: Das ist so interessant, wir bauen sozusagen eine zweite Linie auf. Verkaufen den alten Impfstoff und entwickeln auf dieser Linie die Technologie weiter. Oder es wird passieren, dass es in Asien umgesetzt wird, wo solche Prozesse derzeit neu etabliert werden, wo man sagt, man möchte von vornherein auf eine moderne Technologie gehen.

Professor Udo Reichl, Leiter des Max-Planck-Instituts für die Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg

Impfstoffproduktion in Epidemie-Gebieten

Yvonne Genzel vom Max-Planck-Institut bringt noch ganz andere Überlegungen mit ins Spiel.

Es gibt auf jeden Fall auch Ideen, so einen Reaktor in einen LKW einzubauen. Das wäre das Labor vor Ort, wo Epidemien auftreten. Darüber denkt auch das amerikanische Militär nach, wenn es Soldaten in solche Risikogebiete schickt. Da können sie ihre Soldaten sehr schnell schützen oder Helfer, wenn man jetzt die Ebola-Ausbrüche nimmt. Wenn ich dann direkt vor Ort produzieren könnte, das wäre toll.

Yvonne Genzel Max-Planck-Institut für die Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg
Außenansicht vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg.
Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

Aber nicht nur für Impfungen stellt diese effektive Form der Zell- und Viruszüchtung einen enormen Fortschritt dar. Auch neue Behandlungsformen, etwa die Gentherapie, können davon enorm profitieren. Viren, die therapeutisches Erbgut in die Zellen transportieren, könnten problemlos in ausreichender Menge hergestellt werden. Professor Reichl spricht von 10 hoch 11 Viren pro Kilogramm Körpergewicht, die bei einer Gentherapie gebraucht werden.

Das könnten solche Hochleistungsbioreaktoren wie die von Alexander Nikolay problemlos leisten. Allerdings sei bald Ende der Fahnenstange sagt Reichl. Viel effektiver können die Bioreaktoren kaum arbeiten. Denn die Zellen drängeln sich zum Schluss derart im Glas, dass sie kaum mehr Luft kriegen.