NABU Insektensommer Insektenzählung: Läuse, Fliegen, Käfer und 1.000 Fragen
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04. Juni 2021, 12:04 Uhr
Läuse, Fliegen, Bienen: Auf den ersten Blick ist in einem Stadtgarten nicht viel los. Doch wer sich die Zeit nimmt, und zum Beispiel jetzt beim NABU-Insektensommer näher hinschaut, den verblüffen die Fliegen, Läuse und Bienen mit ihrer Vielfalt - und den vielen Fragen, die sie aufwerfen.
Insektenzählung im Garten: Wo seid ihr, ihr Bienen, Blattwanzen und bunten Schmetterlinge? Beim letzten Versuch knallte uns die Sonne erbarmungslos auf den Rücken, und die Insekten-Ausbeute, bzw. Vielfalt im Garten schien mager: Fliegen, ein Paar Blattwanzen beim Fortpflanzen auf dem Rhabarberblatt und jede Menge Bienen, Hummeln und Wespen an einem winzigen Teich und einem üppig blühenden Lavendelstrauch.
Dieses Jahr blüht der Lavendel noch nicht, und so richtig heiß ist auch nicht. Unter einem Stein am Mini-Teich glitzert aber etwas, vorsichtig mal anheben, nein, kein Rosenkäfer, nur ein vergessener Schoko-Osterhase. Das ist kein viel versprechender Auftakt.
Massenhaft Insekten
Doch dann sind schnell mehr Sechsbeiner aufgespürt als gedacht in diesem kleinen Stadtgarten. Die üblichen Verdächtigen hocken massenweise unter den Blättern der Kapuzinerkresse, am Hibiskusstrauch, unter Traubenblättern und der Haselnuss: Läuse. Auf zwei frischen Kothaufen, die zwei Hühner hinterlassen haben, tummeln sich wechselnde Versammlungen giftgrün schimmernder Fliegen. Schnecken zählen wäre einfacher und die Zahlen akkurater.
Und wie heißen diese schimmernden Fliegen eigentlich korrekt? Jedes Insekt zählt, sagen die Leute vom NABU, der seit 2018 zweimal im Jahr zu diesem Insektenzählen auffordert. Hauptsache sechs Beine, und man kann erst mal sagen, es ist ein Käfer, ein Schmetterling, eine Fliege. Es geht darum, Menschen für die Natur zu interessieren, damit sie irgendwann vielleicht doch wieder den kleinen Fuchs vom Admiral unterscheiden können und die Blattwanze mehr auslöst als den Aufschrei "Igitt, was ist denn das Ekliges?".
Hühnerkacke - der Fliegenmagnet
Die Kothaufen von zwei Hühnern sind wunderbare Fliegenmagneten. Die Hühner wissen das, lauern listig hinterm Rosenstrauch, und stürzen sich dann blitzschnell auf die summenden Mistfliegen: Waren es nun sieben oder zwölf Fliegen? Da hilft nur großzügig schätzen oder die Hühner wegsperren. Nebenan auf dem großen verblühten Kirschlorbeer-Strauch herrscht tote Hose, innen drin zetern kleine Spatzen. Ein paar Blätter an dem dauergrünen Busch sind angefressen. Irgendein Insekt haust also doch auf den ledrig grünen Blättern, vielleicht ein nachtaktives?
Auf den Blättern im Kartoffelturm sitzen orange-durchsichtige Fliegen mit großen Augen, am Teich kleine schwarze mit nach hinten anliegenden Flügeln, in der Kriechspindel eine metallisch glänzende. An Fliegenarmut mangelt es dem Garten nicht. Die farbenfrohen Grünen sind extrem schreckhaft, die in orange mit ihren großen Augen dagegen kaum aus der Ruhe zu bringen. Das Widderchen, ein kleiner roter Falter, nach dem ich für den NABU suche, könnte da gewesen sein, fotografieren und ordentlich bestimmen ließ sich das flatterhafte kleine Ding nicht.
Ein Stück weiter auf der blühenden Spiere hören wir mehr Bienen als wir sehen. Das Gerippe einer toten Fliege baumelt zwischen zwei Blüten. Tod in der Spiere. Klingt wie ein Krimi, unklar ist, wer dahinter steckt, irgendwem wird auch das Gerippe noch schmecken. Auch im Wildrosenstrauch am Gartenrand summt und brummt es. Unmöglich, die einzelnen Bienenarten so schnell zu identifizieren - immerhin, ich erkenne Unterschiede zwischen den Arten: Dicke Körper, helle Streifen, dunkle, lang gestreckte Köpfe und kurze, dicke, hektische Sammler oder gemächliche Brummer, die sich tief in die Blüten versenken.
Biene, Fliege Laus: Ist das schon alles?
Vor zwei Tagen hatte ich der Artenvielfalt im Garten nachgeholfen, eine Marienkäferlarve, die an einer Mauer saß, wurde in den kränklichen Hibiskus zu den Läusen gesetzt. Die Größe, vielmehr Winzigkeit des Sechsbeiners hatte mich verblüfft: Die Nahaufnahmen der Tierchen, die wir oft für Artikel benutzen, sind faszinierend. Sie offenbaren die Schönheiten in der Welt der Winzlinge. Aber sie lassen sie auch riesig aussehen, obwohl sie in natura kaum länger als ein Reiskorn sind.
Erstes Fazit für diesen Garten: Das Läuseangebot ist groß und vielfältig. Ist Artenvielfalt bei Läusen im Garten nun ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Sind Läuse generell Schädlinge? Oder ist das eine Frage des Blickwinkels, sind sie einfach Teile der unzähligen, natürlichen Nahrungsketten? Immerhin hat die Natur weltweit mehr als 3.000 Läuse-Arten parat, in Deutschland allein 850. Jedes Puzzlestückchen der Natur ist nützlich, selbst die verhassten Zecken sind Teil einer Nahrungskette. Die dürften aber ohnehin nicht mitgezählt werden, denn Zecken sind Spinnentiere, keine Insekten.
Nachdem der Blick etwa eine halbe Stunde später geschärft ist, zeigt sich: Es gibt mehr als Läuse, Fliegen und Bienen in diesem Garten. An einer sonnenbeschienenen Mauer hockt eine winzige Heuschrecke. Auf der Rückseite eines Haselnussblattes ruht ein einsamer weißer Falter, kaum so breit wie die schmale Seite einer Briefmarke. Er ist hervorragend getarnt, hängt da wie ein länglich weißer Vogelschiss. Aber zurück zu meiner Marienkäferlarve, die ich einer Pflanze mit Läuse-Invasion abgesetzt hatte. Bis zur Insektenzählung hat sie nicht gewartet, weniger Läuse sind es auf den Blättern dort auch nicht geworden.
Hier im Garten sitzen stecknadelkopfgroße Läuse in schwarz, andere in quietschgrün mit tropfenförigem Körper, winzige weiße, andere in orange. Ein einzelner ausgewachsener Marienkäfer lauert schließlich doch noch unter dem Blatt einer Margerite - hier ist alles läusefrei. Weil er alle weggefressen hat? Marienkäfer vertilgen pro Tag 50 bis 100 Stück. Aber was für welche eigentlich?
An zwei Stellen im Garten wachsen Brennnesseln: Wo bitte sind die Raupen, die Vorläufer von Tagpfauenauge, kleinem Fuchs, Zitronenfalter, deren Raupen sich gern von Brennnesseln ernähren? Fehlanzeige. Statt dessen mal wieder Läuse-Versammlung, in orange, grün, gelblich-weiß. Und keiner, der sie frisst.
Fetter Käfer in fetter Blüte
Und dann, in der sanftrosa Pfingstrose, die pünktlich zu Pfingsten erblüht ist, hockt der Höhepunkt dieser Insekten-Inventur: Ein dicker, behäbiger, schwarzer, fein behaarter Käfer mit weißen Punkten auf dem Panzer, mitten in den Blütenblättern.
Was macht er da? Und was wollen die beiden Ameisen, die um ihn rumkrabbeln? Ist das Prachtstück etwa tot, wird der arme Kerl aufgefressen?! Nein, Herr Käfer reagiert auf einen sanften Stups, bloß gut. Der Bildvergleich später bei der Fotoauswertung zeigt: Es wird wohl ein junger Trauer-Rosenkäfer sein, den noch recht viele, feine Härchen schmücken.
Bei den älteren Trauer-Rosenkäfern ist es wie bei manchen männlichen Menschen mit Behaarung - im Alter fällt sie aus. Und wie ist das eigentlich bei den weiblichen Exemplaren der Gattung, haben die auch Haare, oder sehen die komplett anders aus? Ist uns dieser Käfer zugeflogen, fliegt der überhaupt, oder ist der bei uns im Garten herangewachsen? Welche und wie viele Entwicklungsstadien hat er durchlaufen, sind die ähnlich komplex, langwierig und gefährlich wie zum Beispiel beim Ölkäfer?
Und wo ein Trauerrosenkäfer ist, sind dann da noch viele andere, oder hat der sich verlaufen oder verflogen und ist ein einsames Exemplar weit und breit? Und habe ich seine Nachkommen oder Kollegen gnadenlos an die Hühner verfüttert, wenn ich beim Garten-Umgraben dicke fette Larven gefunden habe, oder waren diese dicken Engerlinge doch eher die Mai- oder Junikäfer von 2021?
Mission erfüllt: Mehr Fragen als Insektenarten durch die Zählung
Damit sind wir endgültig genau an dem Punkt, auf den der Naturschutzbund mit seiner Insekten-Zählaktion zielt: Neugier wecken für die Winzlinge der Natur. Interesse am "Netzwerk des Lebens", wie es der Biologe Dr. Mark Benecke nennt. Die Hausaufgaben, die sich aus dieser Insekten-Inventur im Garten ergeben, sind klar: Läusearten sichten und unterscheiden. Fliegenarten sichten und unterscheiden. Herausfinden, ob der Trauer-Rosenkäfer eine häufige oder seltene Art ist, und was er zum Leben braucht. Bienenarten unterscheiden, genauso Wespen und Hummeln. Selbst im kleinsten Garten gibt es vieles zu entdecken - nicht nur Insekten-Arten. Unendliche viele Fragen und indirekt das Verständnis dafür, warum es von manchen Sechsbeinern viele, von manchen wenige gibt. Und wie sich das Gleichgewicht und die Vielfalt der Natur sogar in einem winzigen Stadtgarten fördern und ausbalancieren lässt.