Biologie Invasive Arten: Der Sueskanal macht das Mittelmeer tropisch

11. September 2020, 09:53 Uhr

Invasive Arten sind Tiere und Pflanzen, die ein örtliches Ökosystem ganz schön ins Wanken bringen können. Fest steht: Das geht auf Kosten der Umwelt – und der Brieftasche aller. Fest steht auch: Der Mensch ist schuld.

Indischer Rotfeuerfisch: Exotisch anmutenderfisch mit hell-dunkel-gestreiftem Körper und vielen langen, ganz dünnen Flossen sowie großem Auge in relativ klarem, blauen Wasser, im Hintergrund unscharf eine Koralle
Indischer Rotfeuerfisch: Schickes, tropisches Tier – auch in Europa. Das wiederum ist nicht so schick. Bildrechte: imago/OceanPhoto

Ein tiefer Atemzug im Eukalyptuswald, dazu muss niemand den Weg nach Australien auf sich nehmen, Portugal reicht. Kaktusfeigen vom wild wachsenden Feigenkaktus? Können Sie auch in Deutschland einsammeln. Und mit etwas Glück treffen Sie beim mitteleuropäischen Waldspaziergang auf verwilderte Exemplare der Chinesischen Hanfpalme. Oder zumindest eine der zahlreichen Yucca-Arten, die schon fast zur deutschen Pflanzensippschaft gehören wie der Apfelbaum.

Das mit dem Glück kann man auch anders sehen. Denn dass exotische Lebewesen in einen fremden Lebensraum eindringen, hat eigentlich immer mit dem Menschen zu tun. Die Folge: Das Ökosystem vor Ort ist nicht auf die neuen Arten eingestellt und kann ins Straucheln geraten. Denn so gut wie der Eukalyptus in Portugal riecht: Die Bäume brauchen ziemlich viel Wasser, das heimischen Arten dann fehlt. Und die mit bis -17 Grad sehr frosttolerante Hanfpalme steht als potenzielle Gefahr für Schweizer Wälder dort bereits auf der schwarzen Liste.

Kanäle und Klimawandel

Besonders deutlich ist die menschengemachte Artenmigration an Orten zu sehen, wo nicht Mutter Natur für Gewässer gesorgt hat, sondern der Mensch eine Meeresverbindung für Schiffe brauchte. Beispiel: Der Sueskanal. Er verbindet das rote Meer mit dem Mittelmeer und ist, etwas größer gedacht, die Verbindung des Indischen mit dem Nordatlantischen Ozean. Der Vorteil: Schiffe müssen nicht ums Kap der guten Hoffnung schippern, um nach Südostasien zu gelangen.

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Aber auch für Fische ist der Sueskanal eine Schnellverbindung nach Europa. 100 marine Arten seien seit der Eröffnung des Kanals Mitte des 19. Jahrhunderts ins Mittelmeer gewandert. Ein Vorgang, der, etwas sperrig, als Lessepssche Migration bezeichnet wird – benannt nach Ferdinand de Lesseps, dem Erbauer des Kanals. Forschende vom Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) sehen diese Entwicklung mit Sorge: "Die fortschreitende Tropikalisierung des Mittelmeeres mit steigenden Wassertemperaturen bedeutet auch, dass an wärmere Gewässer gewöhnte Fischarten aus dem Roten Meer langfristig günstigere Bedingungen vorfinden können, um in der neuen Umgebung des Mittelmeeres zu gedeihen", sagt Gustavo Castellanos-Galindo vom ZMT. So wurden in jüngerer Vergangenheit zum Beispiel Vorkommen des giftigen Feuerfisches im Mittelmeer entdeckt. Diese Entwicklung wurde durch einen zusätzlichen Kanal verstärkt.

Sueskanal: Wasserstraße mit blauem Wasser verläuft Richtung Horizont, ähnlich einem Fluss, rechts sandiges, hügeliges Ufer mit Baustelle, Schiffe auf dem Wasser, sonniges Wetter
Sueskanal: Das direkte Tor zum Roten Meer und Indischen Ozean. Oder eben das Mittelmeer. Bildrechte: imago images/Shotshop

Wie beim Feigenkaktus in Deutschland sind beim Feuerfisch im Mittelmeer zwei Grundvoraussetzungen notwendig: Die Migration wird vom Menschen ermöglicht. Und die Bedingungen vor Ort sind günstig. Für ein wärmeres Mittelmeer sorgt der Klimawandel. Eine Barriere könnte die Migration verhindern, so wie der Gatúnsee im Panamakanal. Der Kanal verbindet den Atlantik mit dem Pazifik, der See, durch den die Schiffe müssen, ist eigentlich ein Süßwassersee. Eigentlich. Und eigentlich hält der auch Salzwasserfische davon ab, eine Reise vom einen ins andere Weltmeer zu unternehmen.

Wie die Forschenden vom ZMT jetzt mit Kolleginnen und Kollegen aus Panama festgestellt haben, steigt der Salzgehalt des Sees. Das hängt mit einem Ausbau des Kanals zusammen, wodurch mehr Salzwasser eindringen kann. Für Fische, die nicht ganz so viel Wert auf einen hohen Salzgehalt im Wasser legen, wäre das eine Einladung zum fröhlichen Migrieren. Castellanos-Galindo vom ZMT: "Es könnten sich also Tierwelten vermischen, die seit Millionen von Jahren voneinander getrennt sind. Die Folgen dieses Austauschs sind derzeit schwer vorhersehbar."

Zumindest haben französische Forschende jetzt schon mal die Kosten beziffert. Gut, beziffert ist zu viel gesagt. Mit InvaCost haben sie vielmehr einen Datensatz veröffentlicht, der Informationen zu 343 Arten enthält, sowie Schätzungen der durch die Invasion entstandenen Kosten. Ganz oben auf der Liste sind die ganz kleinen: Spezielle Schmierläuse in Indien, die zu den Schildläusen gehören. Solche Pflanzenschädlinge verdeutlichen ganz gut, dass sich eine Invasion auch als wirtschaftlicher Schaden beziffern lässt. Biologische Vielfalt geht verloren, Krankheiten breiten sich aus, Ernteverluste werden eingefahren. Und nicht nur das: Auch die Verschlechterung der Infrastruktur, Verwaltungskosten oder Gesundheitsausgaben spielen hier mit rein.

Unstrut-Krokodil: zumindest kosteninvasiv

Und so kann eine invasive Art auch schon mal Kosten verursachen, obwohl es noch gar nicht klar ist, ob sie überhaupt da ist. So zumindest im Fall des mutmaßlichen Unstrut-Krokodils, das derzeit in Sachsen-Anhalt und Thüringen für Aufsehen sorgt – und für Suchtrupps, die bezahlt werden wollen. Derzeit hat so ein Tier, das normalerweise deutlich wärmere Gefilde vorzieht, gute Überlebenschancen. Im Winter dürfte es dem Reptil aber trotzdem noch zu kalt sein – zum Glück.

Generell ist das Verhindern von invasiver Flora und Fauna aber nicht nur die Aufgabe von Biologinnen und Biologen oder Regierungen. Mit einem nachhaltigen Lebensstil kann jeder dazu beitragen, den Klimawandel einzuschränken. Die entsprechenden Maßnahmen sollten bekannt sein. Ansonsten: Eben nicht ganz so viele Chinesische Hanfpalmen in den Schrebergarten pflanzen.

Links zu den Studien

Die Studie A new wave of marine fish invasions through the Panama and Sues canals erschien am 1. September 2020 in Nature Ecology & Evolution.
DOI: 10.1038/s41559-020-01301-2

Das Paper InvaCost, a public database of the economic costs of biological invasions worldwide erschien am 8. September 2020 in Scientific Data.
DOI: 10.1038/s41597-020-00586-z

2 Kommentare

MDR-Team am 11.09.2020

@Bummi, Ihr Vergleich ist nicht ganz richtig: Bei den invasiven Arten geht es um unterschiedliche Arten, der Mensch besteht aber aus nur einer Art. Weiterhin steht der Faktor, dass der Mensch nicht nur den Klimawandel verursacht, sondern auch die Migration der Arten physisch durch sein Eingreifen ermöglicht, einer natürlichen Migration und entsprechender langsamer Anpassung der Ökosysteme entgegen. Dementsprechend sollte es auch die natürliche Pflicht des Menschen ein, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen.

Bummi am 10.09.2020

Es gibt nicht den einen statischen Moment in dem bestimmt wird, was heimisch ist und was nicht. Die Natur passt sich den Gegebenheiten an und verändert sich ständig, zum Glück. Und wenn der Prozess der Veränderung (Klimawandel) durch den Menschen "unnatürlich" beschleunigt wird, bedarf es auch der menschlichen Hilfe, Arten anzupflanzen, die mit den neuen Gegebenheiten klar kommen. Wenn "ausländische" Bürger nach Deutschland kommen, empfindet die Mehrheit der Deutschen dies doch auch als Bereicherung und nicht als Bedrohung der eigenen Art.