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Die wohl schönste Form des Speichel-Austauschs: ein Kuss. Bildrechte: Colourbox.de

SozialpsychologieKnuddeln und Knutschen: Wie unser Speichel für familiäre Bindungen sorgt

21. Januar 2022, 13:45 Uhr

Wir wissen längst, dass Berührungen sehr wichtig für zwischenmenschliche Beziehungen sind. Aber woher wissen Babys und Kleinkinder, zu welcher der Personen, die da kuschelt, sie eine wirklich enge familiäre Bindung haben? Dabei hilft ihnen der Speichel. Und eigentlich ist das auch sehr plausibel, denn wer mein angesabbertes Stück Keks noch isst, der muss mich wirklich liebhaben.

Da wird gesabbert, angekautes Essen geteilt und geknutscht: Wer ein kleines Kind hat, darf keine Angst vor Speichel haben. Eine aktuelle Untersuchung eines Harvard-Forschungsteams zeigt, dass die Spucke auch eine Funktion innerhalb der familiären Beziehungen hat. Denn Kleinkinder und Säuglinge nutzen den Austausch von Speichel offenbar dazu, Erkenntnisse über enge Beziehungen wie die in der Familie zu gewinnen. Kurz gesagt: Wer den Sabber abwischt, der gehört zum engen Kreis.

Frühes Erkennen enger Beziehung überlebensnotwendig

Zum Überleben sind kleine Kinder auf Erwachsene angewiesen, schreiben die Forschenden. Allerdings kümmern sich nicht alle Erwachsenen gleich stark um ein Kind. Also sollte es schon sehr früh unterscheiden lernen, welche Beziehungen besonders intensiv sind. Deshalb müssen Kleinkinder und Säuglinge bemerken können, wie andere Menschen die gemeinsame Beziehung durch ihr Verhalten kommunizieren. Die Interaktion bestimmt also, wie eng das Verhältnis zueinander ist. Könnte der einvernehmliche Austausch von Speichel, wie er sehr oft in engen Beziehungen vorkommt etwa durch Küsse oder geteiltes Essen, ein solches Verhalten sein?

Um diese Hypothese zu überprüfen, hat das Team mehrere Experimente durchgeführt – unter anderem mit Cartoons und Menschen, die mit Puppen interagierten. Dabei fanden sie heraus, dass die Kinder in den Experimenten annahmen, dass die Beziehungen, bei denen Speichel "geteilt" wurde, enger waren als andere Beziehungen. Die kleinen Kinder im Alter von fünf bis sieben Jahren erwarteten demnach, dass dieses Verhalten nur in Kernfamilien vorkommt. Bei den Säuglingen und Kleinkindern sei es dagegen so gewesen, dass sie davon ausgingen, dass Menschen, die ihren Speichel miteinander teilen, in Notsituationen aufeinander reagieren.

Kinder werden in diese Welt geworfen, in der es eine Menge bestehender Beziehungen gibt, und sie müssen herausfinden, wer ein potenzieller Sozialpartner für sie selbst sein könnte.

Dr. Ashley J. Thomas, Harvard University

Phänomen kulturell weit verbreitet

Wer angesabbertes Essen annimmt, muss schon "dicke" mit einem sein. Bildrechte: imago/Westend61

Das Forschungsteam wollte nun wissen, ob diese Ergebnisse womöglich nur ein Phänomen eines bestimmten Kulturkreises sind oder ob kleine Kinder generell Speichel nutzen, um den Status einer Beziehung zu bestimmen. Sie haben deshalb Experimente mit einer größeren, wirtschaftlich, geografisch und ethnisch vielfältigeren Stichprobe von Kleinkindern gemacht – mit demselben Ergebnis. Das weise darauf hin, dass der Austausch von Speichel in engen Beziehungen kulturell weit verbreitet sei, so das Forschungsteam.

Während der Austausch von Speichel also nur in den engsten familiären Beziehungen eine Rolle spielt, sieht das bei körperlicher Nähe und Berührungen ganz anders aus. Schließlich kuscheln wir auch mit unseren Freunden, was wiederum etwas über die Stärke dieser Beziehungen aussagt.

Denn aus soziologischer Perspektive liege die Bedeutung von zwischenmenschlichen Berührungen darin, dass sie Beziehungen stiften, festigen, aufrechterhalten, schwächen oder gar beenden können, sagt die Soziologin Dr. Romy Simon von der Technischen Universität Dresden. Bei Berührungen entstehe zwischen zwei Menschen nämlich eine nonverbale Interaktion. Wie wir jemanden berühren, sagt dieser Person also ebenfalls viel über unsere Beziehung zu ihr. Allerdings gebe es je nach Kultur und Sozialisierung unterschiedliche Grenzen und Toleranzen für Berührungen, so Simon. Und dann gibt es natürlich auch Unterschiede je nach Alter, Geschlecht und Lebensstil. Aber womöglich ist ja der Weltknuddeltag am Freitag (21. Januar) auch für die zurückhaltendsten Menschen eine gute Gelegenheit, seinen Liebsten mit Berührungen zu zeigen, wie wichtig sie einem sind.

Ashley J. Thomas, Daniel Nettle, Brandon Woo, Elizabeth Spelke, Rebecca Saxe: Early concepts of intimacy: Young humans use saliva sharing to infer close relationships

(kie)