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Kein Grund zum Schreien: Mathe können wir schon vor der Schule. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

MathematikDivision: Für Kinder vor der Schule kein Problem, sie machen das intuitiv

26. Februar 2022, 15:00 Uhr

Forschende der Universitiät Pennsylvania zeigen, dass Kinder die Division intuitiv beherrschen, noch bevor sie im Matheunterricht Symbole und Rechenoperation beigebracht bekommen. Möglich macht das das ungefähre Zahlensystem (Approximate Number System ANS). Die Nutzung des ANS im Unterricht könnte die Art und Weise, wie wir Mathematik verstehen und erlernen, verändern.

Menschen wie ich, die über die Jahre hin eine Abneigung gegen Mathe entwickelt haben, weil sie damit in der Schule und im sonstigen Leben Probleme hatten, reagieren im ersten Moment auf die Erkenntnis der Forschenden von der Universität Pennsylvania mit hochgezogener Augenbraue und Zweifeln. Sie sagen, dass Kinder ein ganz intuitives Matheverständnis besitzen, noch bevor sie Matheunterricht in der Schule haben. Das gilt sogar für die von vielen gefürchtete Rechenoperation Dividieren. Noch bevor Kinder überhaupt gelehrt bekommen, wie man dividiert und was das Divisionssymbol ist, können sie es.

Das ungefähre Zahlensystem

Niemals, sagt mein mathegepeinigtes Gehirn. Vielleicht gilt das für die ganzen Mathegenies da draußen, aber doch nicht für uns Ottonormalkinder. Wie kommen die nur auf so etwas? Grundlage der Forschenden war das ungefähre Zahlensystem (Approximate Number System, ANS). Dabei handelt es sich um ein kognitives System, das die Schätzung der Größe einer Gruppe unterstützt, ohne sich auf Sprache oder Symbole zu stützen.

Wo sind mehr drin? Wissen Sie, ohne zu zählen! Bildrechte: imago images/CTK Photo

Vereinfacht gesagt, Sie können mit einem Blick feststellen in welcher der Kisten mehr Äpfel sind und das ohne nachzuzählen. Dieses System ermöglicht Menschen schon im Säuglingsstadium, Größenunterschiede zwischen Gruppen festzustellen – auch bei Tieren konnte das beobachtet werden. Und die haben definitiv keine Vorstellung davon, was Zahlen sind, geschweige denn haben sie eine Sprache dafür. Natürlich ist dieses System von Mensch zu Mensch unterschiedlich stark ausgeprägt. Das heißt, die einen unterschieden schneller und sicherer als die anderen.

Vorangegangene Studien fanden bereits heraus, dass wir anhand dieses Systems in der Lage sind, zu addieren, zu subtrahieren oder Skalierungsoperationen durchzuführen. ANS-Darstellungen sind also geeignet, um derartige Rechenoperationen zu vermitteln. Aber Division ist sehr komplex. Die Forschenden wollten also wissen, ob das angeborene ungefähre Zahlensystem ausreicht, um Divisionsaufgaben intuitiv zu lösen.

Experimente bei Kindern und Erwachsenen

In einer Reihe von Rechenexperimenten testeten die Forschenden rund um Dr. Elizabeth M. Brannon, die das Developing Minds Lab an der University of Pennsylvania in Philadelphia leitet und Mitautorin der Studie ist, wie gut Kinder im Alter zwischen sechs bis neun und Universitätsstudierende symbolische (also mit Zahlen und Zeichen) und nichtsymbolische Näherungsdivisionen durchführen können.

Die Studienteilnehmenden beobachteten Punkte oder Zahlen (Dividenden), die auf einem Computerbildschirm auf eine Blume mit unterschiedlich vielen Blütenblättern (Divisor) fielen. Ihre Aufgabe war es, zu entscheiden, welche Menge größer war: die Punkte bzw. Zahlen, die auf der Blume auf der linken Seite des Bildschirms verteilt waren, oder ein einzelnes Blütenblatt mit einer neuen Anzahl von Punkten und Zahlen auf der rechten Seite des Bildschirms.

Division ohne Symbole? Können wir ganz intuitiv- Bildrechte: University of Pennsylvania

Deutliches Ergebnis

Die Studienteilnehmenden schnitten bei dem Test ziemlich gut ab und ihre Leistung lag deutlich über dem Zufall. Die Kinder wählten in 73 bis 77 Prozent der Fälle die richtige Antwort aus.

"Wir waren sehr überrascht, dass Kinder, die keine formalen verbalen oder schriftlichen Divisionsaufgaben lösen konnten – zum Beispiel: Was ist vier geteilt durch zwei? – bei der symbolischen Version unserer Aufgabe zur ungefähren Blumendivision noch recht erfolgreich waren", so Brannon. Das heißt für die Forschenden, dass auch Divisionsaufgaben durch den ungefähren Zahlensinn gelöst werden können. Bildgebende Verfahren haben zudem bestätigt, dass der ungefähre Zahlensinn sich auf die Hirnregionen stützt, die auch für die formale Mathematik eine Rolle spielen.

Intuitives Rechnen in den Unterricht einbinden

Doch was bedeuten all diese Erkenntnisse für den gegenwärtigen Matheunterricht, wie könnten sie ins Klassenzimmer einfließen? "Das ANS ist universell und Wege zu finden, das ANS zu nutzen, könnte einer von vielen wichtigen Wegen sein, um die Leistungslücke zu schließen", sagte Dr. Elizabeth M. Brannon.

Die Forschenden stellten zum Beispiel auch fest, dass Kinder bei den nicht-symbolischen und Erwachsene bei den symbolischen Rechenbeispielen besser abschnitten. Sollten Kinder vielleicht erst später mit Symbolen rechnen und sich noch ein wenig länger mit dem ungefähren Zahlensystem beschäftigen? Würde das ihre spätere mathematische Leistung beeinflussen? Zumindest sind die Forschenden der Meinung, dass Kinder, die oft intuitive Rechenoperationen ausführen, also ein starkes intuitives Modell für Divisionen oder Multiplikationen entwickeln, auch eine solide Grundlage für das Erlernen abstrakter mathematischer Konzepte haben könnten. Eine weitere spannende Frage ist, ob nicht beides im Matheunterricht kombiniert werden könnte. So gibt es Theorien darüber, dass intuitive Rechenaufgaben als Aufwärmübung verwendet werden könnten, um das Gehirn auf formale Rechenübungen vorzubereiten.

Hoffnung auf weitere Forschung

Die Forschenden hoffen, dass ihrer Ergebnisse weitere Forschung anregen. Diese sollte die Wirksamkeit eines Mathematikunterrichtes testen, der den Schwerpunkt auf die Verankerung hochabstrakter mathematischer Konzepte in intuitive mathematische Fähigkeiten legt.

Vielleicht würde so der Matheunterricht auch für Menschen wie mich ein wenig verständlicher, weil intuitiver. Vielleicht würde man so eine Grundlage dafür schaffen, dass man sich im Matheunterricht nicht wie in einer völlig fremden Welt vorkommt – mit fremder Sprache, unbekannten Bräuchen und schwitzigen Händen.

JeS

Link zur Studie

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