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Bildrechte: imago images / Christian Ohde

Kein Zurück: 3 Grad Erwärmung unvermeidbarIst der Point-of-no-return in der Klimakrise schon überschritten?

12. November 2020, 17:35 Uhr

Egal wie sehr wir uns auch anstrengen, die Treibhausgas-Emissionen zu senken, es wird das Klima nicht mehr retten. Eine Erderwärmung um drei Grad Celsius ist nicht mehr zu verhindern, sagen Forschende in einer aktuellen Untersuchung. Ist der Point-of-no-return - der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt - wirklich schon längst überschritten?

Es ist ein besorgniserregendes Papier, das die norwegischen Forscher vorlegen: Selbst wenn die Menschheit sofort alle menschgemachten Treibhausgas-Emissionen stoppen und auf Null setzen würde, könnte das den Temperaturanstieg bei fortschreitendem Klimawandel nicht oder nur wenig begrenzen, schreiben sie. Der Zeitpunkt, bis zu dem die Klimaerwärmung noch verlangsamt oder gestoppt werden kann, sei längst verstrichen. Das schließen sie aus einem vereinfachten Klimamodell mit "reduzierter Komplexität", wie die Forscher schreiben. Die Untersuchung ist im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht worden. Andere Klimaforscher sehen die Studie und das Modell allerdings sehr kritisch.

3 Grad bis zum Jahr 2500?

Die Berechnungen von Jørgen Randers und Ulrich Goluke von der BI Norwegian Business School haben ergeben, dass es egal ist, ob das (hypothetische) Ziel von null Emissionen schon in diesem Jahr oder Ende des Jahrhunderts erreicht würde, die mittlere Temperatur würde trotzdem noch lange weiter ansteigen.

Nur der Anstieg des Meeresspiegels könnte noch begrenzt werden, so die Studie. Bildrechte: imago/Steinach

Im Jahr 2500 läge sie demnach dann bei drei Grad mehr als im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Einen Einfluss hätte das nur auf den Anstieg des Meeresspiegels, der sich um etwa einen halben Meter Höhe unterscheiden würde: Es wäre dann ein Anstieg um 2,5 Meter (wenn wir jetzt schon bei Null Emissionen wären) statt 3 Meter (bei Null Emisionen im Jahr 2100). Die drei Grad Erwärmung seien den Norwegern zufolge nur dann noch aufzuhalten, wenn die Menschheit sofort damit beginnen würde, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen - und zwar in erheblichen Größenordnungen: 33 Gigatonnen pro Jahr müssten das sein. Zum Vergleich: 2019 sind weltweit insgesamt 36,7 Gigatonnen CO2 ausgestoßen worden.

Ihr vereinfachtes Klimamodell habe den Forschern gezeigt, dass der Ausstieg aus den Treibhausgas-Emissionen schon zwischen 1960 und 1970 hätte abgeschlossen sein müssen, um den weltweiten Temperaturanstieg zu stoppen. Nun aber seien sogenannte Kipppunkte überschritten, so die Klimaforscher. Als Hauptgründe nennen sie das fortschreitende Schmelzen von arktischem Eis und das Auftauen des stark kohlenstoffhaltigen Permafrostbodens. Daraus ergeben sich den Wissenschaftlern zufolge drei Einflussfaktoren, die für eine anhaltende Erwärmung sorgen würden.

1. Rückgang der Albedo

KlimawandelEs wird wärmer, dann schmilzt das Eis - und es wird noch wärmer

Wenn das arktische Eis und der Permafrostboden weiterhin schmelzen, wird auch die sogenannte Albedo der Erde weiter zurückgehen. Das heißt, die helle Eisfläche, an der Wärme und Licht von der Sonne reflektiert werden, nimmt ab. Die dunkleren Flächen absorbieren die Sonneneinstrahlung hingegen, wodurch es wiederum wärmer wird.

Was bedeutet Albedo?

Die Albedo ist ein Maß für die Helligkeit eines Körpers. Je heller der Körper ist, desto größer ist die Albedo. Eine wichtige Folge ist, dass mehr von der einfallenden Sonnenstrahlung reflektiert (d.h. "zurückgeschickt" wird) wird, je heller der Körper ist. Die reflektierte Strahlung steht für die Erwärmung des Körpers nicht zur Verfügung. Der Rest der Strahlung wird von dem Körper absorbiert ("aufgenommen") und erwärmt ihn. An einem heißem Sommertag ist zum Beispiel der dunkle Asphalt auf der Straße wesentlich wärmer als die grauen Gehwegplatten, weil die helleren Platten mehr Strahlung reflektieren.

Quelle: Climate Service Center Germany

2. Mehr Wasserdampf

Aufgrund der steigenden Temperaturen wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt: Wird es wärmer, verdampft mehr Wasser und gelangt in die Atmosphäre, wodurch es wiederum noch wärmer wird. Wasserdampf sei für den Treibhauseffekt nämlich enorm wichtig, so die Forscher.

3. Emissionen des Permafrostbodens

Der Projektion zufolge werden die Permafrostböden noch Jahrhunderte lang weiter auftauen. Dabei würden massive Mengen CO2 und Methan in die Atmosphäre emittiert, die die gefrorenen Böden gebunden hatten.

Deutliche Kritik von Klimaexperten

Andere Klimaforscher nehmen die düstere Prognose der Norweger eher mit Kopfschütteln auf.

Dr. Helge Goessling, Leiter der Arbeitsgruppe Nahtlose Meereisvorhersage am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) meint sogar, dass im Falle der aktuellen Studie der "Peer Review"-Prozess nicht in ausreichendem Maße gegriffen habe. "Peer Review" bedeutet, dass eine Publikation bevor sie in einem Fachmagazin erscheint, von anderen Forschenden aus dem Gebiet auf ihr Plausibilität und mögliche Fehler analysiert wird. Doch in der aktuellen Studie gebe es dennoch einige Ungereimtheiten, die einer genaueren Prüfung und Klarstellung bedurft hätten, so Goessling.

Trotz verbleibender Unsicherheiten halte ich es daher nicht für wahrscheinlich, dass wir bereits einen Kipppunkt überschritten hätten, an dem Emissionen aus tauendem Permafrost allein eine Jahrhunderte fortlaufende zusätzliche Erwärmung verursachen würden. Wir sollten weiter darauf setzen, die menschgemachten Treibhausgasemissionen schnellstmöglich zu senken, um die globale Erwärmung in Grenzen zu halten.

Dr. Helge Goessling, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung

Aber was macht andere Klimaforscher so skeptisch? Es ist vor allem das stark vereinfachte - um nicht zu sagen unterkomplexe - Modell, das Dr. Stefan Hagemann vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht (Zentrum für Material und Küstenforschung, HZG) Bauchschmerzen bereitet. Das Modell zeige einen "Runaway"-Treibhauseffekt, erläutert er. Doch ein solcher Effekt sei üblicherweise mit einer sehr hohen Klimasensitivität verbunden. "Meines Wissens ist eine derart hohe Klimasensitivität in aktuellen umfassenden Erdsystemmodellen (...) nicht zu beobachten", so Hagemann. Außerdem kritisiert er, dass das einfache Modell keine regionalen Unterschiede mache. "Das Klimasystem ist sehr komplex, stark nichtlinear und regionale Unterschiede spielen teilweise eine große Rolle", sagt Hagemann. "Zum Beispiel die stark verschiedenen Klimate in den Tropen und der Arktis, mit unterschiedlichen Effekten eines Vegetationsanstiegs auf die Albedo in diesen Regionen."

Und dann wäre da noch der Kipppunkt an sich: Die Autoren gingen davon aus, dass die fortschreitende Erwärmung bei einem Temperatur-Plus von nur 0,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau ausgelöst würde. So ein Effekt sei aber bisher noch von keinem anderen Erdsystemmodell gezeigt worden, erläutert Klimaforscher Hagemann. "Ich bin sicher, dass es im Klimasystem sogenannte Kipppunkte (Tipping Points) gibt, aber es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass dieser Punkt bereits mit einer Erwärmung von 0,5 Grad erreicht wurde." Insgesamt hält Hagemann das Modell für ungeeignet, um Aussagen über die Zukunft zu treffen. So fehlten etwa auch Informationen über Wüsten oder Wolkenbildung. Dennoch sei die Studie spannend, um Denkprozesse und Studien mit komplexeren Erdsystemmodellen anzustoßen und zu motivieren. "Und dieses ist ja auch die Absicht der Autoren, wie sie in ihrem finalen Statement bekräftigen", ergänzt der Forscher.

Durch die Nutzung (...) eines Modells mit niedriger Komplexität sind dessen Ergebnisse aber in keinster Weise geeignet, um daraus irgendwelche Politik-relevanten Schlüsse zu ziehen.

Dr. Stefan Hagemann, HZG

AWI-Forscher Goessling zweifelt dagegen an der methodischen Gründlichkeit dieser Studie. Mehrere andere Untersuchungen der vergangenen Jahre hätten etwa im Falle der Permafrostböden keine Evidenz dafür geliefert, "dass die Emissions-Budgets für die üblichen Temperaturziele bereits jetzt mehr als ausgeschöpft sein könnten". Gemeint sind die vom Weltklimarat gesetzten Maximal-Emissionen, um innerhalb der gesteckten Klimaziele zu bleiben. Außerdem habe er mehrere unplausible Stellen in der Publikation entdeckt, etwa hinsichtlich der Methankonzentrationen in der Atmosphäre, der Effekte des Wasserdampfs und der Oberflächenalbedo.

Auch Prof. Holger Kantz vom Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme und der TU Dresden glaubt, dass das einfache Modell unzulänglich sei und deshalb die Zukunft nicht korrekt abbilde. Das zeige schon die starke Diskrepanz zum Multimodell-Ergebnis des IPCC - also des Weltklimarates. Immerhin fließen dem Physik-Professor zufolge zwölf bis mehr als 25 Modell-Rechnungen in die IPCC-Ergebnisse ein.

Um annähernd Aussagen über besonders lange Zeiträume - wie in der aktuellen Studie bis fast 500 Jahre in die Zukunft - treffen zu können, brauche es mindestens Erdsystemmodelle mittlerer Komplexität. Doch die laufen nicht wie das der Norweger auf einem normalen Desktop-PC. Für ein halbwegs realistisches Modell brauche es da schon eher einen Tag lang einen Supercomputer, erläutert Kantz. "Insofern ist es plausibel, dass dieses Modell zu stark vereinfacht."

Es geht also hier um Details. Das ist vergleichbar mit der Reproduktionszahl R der aktuellen Pandemie: Ob R 0,9 oder 1,1 ist, macht langfristig einen riesigen Unterschied. So ist es auch in diesen Rückkopplungsschleifen des Erdsystems – kleine Parametervariationen können sehr große Auswirkungen haben.

Prof. Dr. Holger Kantz, MPI PKS / TU Dresden

(kie)

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