Schrift "Das MDR Klima-Update", Ortsschild mit Aufschrift "Fette Zukunft" und durchgestrichen mit abgeblättertem Lack "Fette Jahre", im Hintergrund unscharf schwarz-weiß Kühltürme von Kohlekraftwerk
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MDR KLIMA-UPDATE | 8. April 2022 Die fetten Jahre sind vorbei — na endlich! 😎

Ausgabe #33 vom Freitag, 8. April 2022

08. April 2022, 11:44 Uhr

Der neue Weltklimabericht liegt auf dem Tisch. Und sagt, wie wir ganz schnell das Ruder rumreißen sollten, ohne in eine Katastrophe zu wandeln. Eine Lebensstiländerung muss von oben kommen. Fürchten müssen wir uns dabei nicht – sie kann Spaß machen.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Liebe Lesende,

erlauben Sie mir kurz dieses drollige Wortspiel: Ich saß am Sonntag doch arg auf heißen Kohlen. Eher ungünstig, wenn man auf den neusten Forschungsstand zur Bewältigung der Klimakrise wartet. Aber der Weltklimarat ließ diesmal besonders lange warten – auf die Ergebnisse des dritten Teils der aktuellen Ausgabe des Weltklimaberichts. Oder auch: Das Papier der Arbeitsgruppe III zum 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC – wie man in professionellen Kreisen so zu sagen pflegt.

Nachdem wir vergangenen Sommer erfahren haben, in welcher klimatisch ungünstigen Situation wir uns doch wirklich befinden und es Ende Februar um Temperaturverläufe, Anpassungsmöglichkeiten und das Zusammendenken des großen Ganzen ging, standen diesmal die aus wissenschaftlicher Sicht folgerichtigen Handlungsempfehlungen auf dem Plan.

Vorab: Im Grunde wissen wir das alles schon. Nur, dass das Wörtchen "aber" nun gestrichen scheint. Na denn, stürzen wir uns mal rein mit der …

Zahl der Woche:

2

Eine ausgesprochen niedrige Zahl, stimmt schon. Aber eigentlich nicht niedrig genug. Zuletzt hat man so den Eindruck bekommen können, dass zwei Grad das neue Einskommafünf ist. Klar ist: Es gibt noch Pfade, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sofern die Kehrtwende im Klimaschutz gelingt. Diese Schlupflöcher verengen sich zunehmend und rasch. Wahrscheinlich ist aber auch, dass wir das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, vorerst überschreiten und uns im späteren Jahrhundert mit technischen Lösungen behelfen müssen, diese lästigen Treibhausgase wieder loszuwerden. So dass da 2100 trotzdem nur eine Einskommafünf steht.

Kohle, Öl und Gas sind fortan ein Schuss in den Ofen — und was wir sonst noch lernen

Die aktuelle energiepolitische Krise – entfacht durch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine – erschwert es freilich, bei diesem Thema einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber der aktuelle Weltklimabericht zeigt es eindringlicher denn je: Das fossile Zeitalter ist vorbei. Es gibt keinen Spielraum mehr für neue Kohlekraftwerke (auch nicht im Sinne des verbleibenden CO2-Budgets) und dass Öl und Gas keine so gute Idee für Heizung und Mobilität mehr sind, nun – diese Annahme hat sich ja nun auch in anderer Hinsicht bekräftigt. Dass dann doch recht Ermutigende an der Chose ist, dass wir das können. Jetzt schon. (Und es passiert tatsächlich was: Stichwort "Osterpaket" der Bundesregierung – mehr dazu weiter unten.)

1. Der Elektrifizierung steht nix mehr im Weg

Mit erneuerbaren Energien und Batterietechniken, von denen Akku-Fans in den Neunzigern noch nicht zu träumen gewagt hätten, sind wird viel besser gewappnet, als es der fünfte Weltklimabericht Mitte des vergangenen Jahrzehnts noch mutmaßte. Und von wegen Alleswirdteurer! Schauen Sie sich mal die Preise für Mega- und Kilowattstunden in diesen Bereichen an:

vier Diagramme zeigen deutlichen Preisrückgang pro Megawattstunde bei Photovoltaik, Onshore-Wind und Offshorewind sowie pro Kilowattstunde bei Lithium-Ionen-Batterien pro Kilowattstunde.
Klimafreundliche Technik: Im Vergleich zu den Preisen vor zwanzig Jahren gibt es die heute für nen Appel und ein Ei. Bildrechte: IPCC, MDR/Florian Zinner

Falls Sie jetzt schnell weiter gescrollt haben, weil Ihnen nicht der Sinn danach steht, mehr als zwei Sekunden mit einer Diagrammkurve zuzubringen: Sonnenenergie ist inzwischen zehnmal so billig wie vor zwanzig Jahren. Und Lithium-Ionen-Akkus gibt's inzwischen für nen Appel und ein Ei.

2. Alle müssen mittun

Oder wie es der Nachhaltigkeitsforscher Felix Creutzig (selbst IPCC-Leitautor) sagen würde:

Mehr Wohlstand ist empirisch nicht haltbar.

Was Herr Creutzig damit sagen will: Die fetten Jahren sind vorbei, zumindest für die auf der Welt, die sie bis jetzt erleben durften und fett in dem Sinne, wie wir das Wort bisher definiert haben. Felix Creutzig saß im aktuellen IPCC-Bericht an dem Kapitel, das sich mit den sozialen Aspekten der Bekämpfung des Klimawandels und einer Lebensstiländerung auseinandergesetzt hat. 

In Zukunft werden wir uns anders fortbewegen, anders heizen und anders ernähren – müssen! Wenn alle jetzt schon mit anpacken, wird es leichter.

Aber:

3. Die Politik muss jetzt Vorraussetzungen schaffen

Die Verantwortung auf jede Einzelne und jeden Einzelnen abzuschieben, das funktioniert so leider nicht. Weichenstellung muss auf vielen Ebenen erfolgen – vor allem diesen drei:

  1. Verhaltensänderungen – z.B. der Konsum von weniger Fleisch
  2. Relevante Infrastrukturen schaffen – z.B. neue Fahrradwege und Sammeltaxi-Angebote
  3. Übernahme von Endnutzungstechnologien – z.B. der Einbau von Wärmepumpen in Häusern 

🚇🚌

Das derzeit vielbesprochene 9-Euro-Ticket ist da ebenfalls ein ganz gutes Beispiel: Eine Verhaltensänderung (1.) vom Individual- zum Nahverkehr wird durch die Menschen in Deutschland nicht automatisch passieren. Es braucht Infrastruktur (2.): Eine Ticket-Infrastruktur, die für fast alle bezahlbar ist (9-Euro-Monatsticket), eine Finanzierungsinfrastruktur für die Verkehrsunternehmen und eine Investition in die Verkehrsinfrastruktur: Neue Linien, engere Takte, höhere Kapazitäten. Auch Technologien (3.) spielen eine Rolle: Zum Beispiel autonom fahrende Systeme oder digitale Auf-Abruf-Angebote, um einen effektiveren Nahverkehr im ländlichen Raum zu ermöglichen.

✈️

Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Lösungen noch nicht auf dem Tisch liegen. Einer der größten Punkte ist die Luftfahrt. Elektro-Flugzeuge eigenen sich derzeit nur für Kurzstrecken und E-Fuels als Treibstoff sind auch nur eine halbe Lösung. Hier müssen Forschung und Entwicklung ranklotzen, um uns künftig ein nachhaltigeres Reisen zu ermöglichen. Und auch dafür Förderung und Voraussetzungen schaffen.

4. Keine Steinzeit, sondern Mehr Lebensqualität für alle

Sehen Sie es mal so: Ein Weiterwiebisher ist sicherlich der bequemste Weg, aber – abgesehen von seinen katastrophalen Folgen – auch der langweiligste. Felix Creutzer findet, die Abkehr der Klimakrise sei "machbar, ohne in die Steinzeit zurückzufallen". Sondern vielmehr in ein System zu fallen, "indem wir eine bessere Lebensqualität haben." Also: Architektur mit grünen Fassaden, weniger schlechte Luft in Innenstädten, spannende neue Gerichte auf dem Teller – der Umwandlungsprozess zu einer klimapositiven Gesellschaft kann aufregend sein. 

Meine weiteren Notizen zum Weltklimabericht lesen Sie hier:

Da fällt mir grad ein: Nutzer/-in Eulenspiegel hat in einem Kommentar zu oben verlinktem Text indirekt darauf hingewiesen, dass wir korrekterweise nicht danach fragen sollten, ob die Erde noch zu retten ist. Sondern die Menschheit.

Klar, die Erde ist am Ende stärker als ihre Menschenkinder.

🗓 Klima-Termine

SONNABEND, 9. APRIL

9. Königsbronner Gespräche zum Thema "Folgen klimatischer Veränderungen für die Außen- und Sicherheitspolitik". Die Veranstaltung gibt's auch im Livestream. Infos beim Deutschen BundeswehrVerband.

MONTAG, 11. APRIL

Der MDR-Polittalk Fakt ist! kommt heute aus Erfurt – zum Thema "Essen oder Energie – Kampf ums Ackerland". Mitdiskutieren erwünscht! Infos zur Sendung hier. Hintergründe zum Thema gibt's auch bei uns

DIENSTAG, 12. APRIL

Senckenberg Museum Görlitz: Vortrag "Landwirtschaft und Biodiversität: Gewinne, Verluste und Konsequenzen für unsere Ökosysteme". 19:30 Uhr geht's los, Infos hier.

DONNERSTAG, 14. APRIL

Machen Sie den Gründonnerstag dieses Jahr doch einfach zum grünen Donnerstag. Und nutzen Sie dieses lässige Wortspiel, um sich an Themen ranzuwagen, die für Sie bisher undenkbar sind: Heute mal den Verbrenner stehen lassen und schauen, wie man sonst von A nach B kommt? Heute mal kein Fleisch, Fisch und keine Wurst in der Kantine und zum Abendbrot? Den Ostereinkauf heute nicht beim Discounter sondern im Bio-Supermarkt erledigen? Oder heute endlich mal den Wechsel zu einer grünen Bank in Angriff nehmen? 🐰🌱.

📰 Klimaforschung und Menschheit

OSTERPAKET ALS RIESIGE KLIMAGESETZ-NOVELLE 

Nicht nur die Erderwärmung macht politischen Druck, auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine: Rund 600 Seiten, fünfzig Maßnahmen und fünf Gesetzesänderungen sollen den Erneuerbaren künftig ein überragendes gesellschaftliches Interesse bescheinigen und die Ausbauziele deutlich anheben. Bis 2030 sollen mindestens achtzig Prozent des Stroms aus grünen Quellen kommen. Die Hintergründe gibt's bei der tagesschau.

SMARTPHONES SIND RECYCELBAR

Alle zwei Jahre ein neues Smartphone – in Deutschland ist das der Schnitt. Neugeräte sind aber eine große Belastung für Umwelt und Menschheit, v.a. wenn sie nach der Nutzung in der Schublade oder dem Müll landen. 85 Prozent der vielfältigen Rohstoffe in den Geräten lassen sich aber wiederverwenden. Das hat die FAZ herausgefunden.

KLIMAWANDEL ALS INNOVATIONSMOTOR

Die Anpassung an die Klimakrise muss für Unternehmen nicht nur eine große finanzielle Last sein, sondern kann zu neuen Entwicklungen führen – auch in ganz neuen Bereichen, legen Forschende aus Deutschland nahe. Die Infos gibt's bei hier bei uns.

👋 Zum Schluss

Ach hach. Manchmal grenzt unsere Berichterstattung an Hätte-hätte-Fahrradkette. Muss sie zwar auch, aber ein paar konstruktive Gedanken sind trotzdem angebracht. Schon im Dezember haben wir Ihnen fünf smarte Ideen gegen den Klimawandel präsentiert. Nächste Woche geht es weiter: Dann widmen wir uns unter dem Titel Neue Energien fürs Klima den Möglichkeiten, wie niedriger Energieverbrauch jetzt schon ganz einfach möglich ist – in der Industrie zum Beispiel.

In der Hoffnung, dass Sie uns gewogen bleiben und auf sich und die Welt aufpassen:

Herzlichst
Ihr Florian Zinner

Sie haben eine Frage oder Feedback?

Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

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