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MDR KLIMA-UPDATE | 27. Januar 2023Der Klimawandel beschleunigt die Evolution von KrankheitserregernAusgabe #73 vom Freitag, 27. Januar 2023

27. Januar 2023, 12:58 Uhr

Liebe Lesende,

aus dem Chemie-Unterricht wissen sie bestimmt noch, dass man in vielen Experimenten Wärme benötigt, um eine Reaktion in Gang zu setzen. Ist es sehr warm, verstärkt sich die Reaktivität vieler Substanzen. Der Klimawandel hat also das Potenzial, chemische Prozesse in der Umwelt zu beschleunigen.

Dadurch könnten auch Krankheitserreger aggressiver werden. Hier liefert nun eine neue Studie Hinweise, dass bestimmte pathogene Pilze für Menschen schädlicher werden, weil sich ihr Erbgut durch zusätzliche Wärme verändert. Dazu passt eine weitere Meldung, wonach Birkenpollen aggressiver für Allergiker sein könnten, wenn die Luftqualität an einem Ort schlechter ist.

Klimawandel und Umweltverschmutzung machen also auch Keime und Allergene aggressiver und stellen so weitere Probleme für die menschliche Gesundheit dar. Das ist wenig erfreulich. Etwas erfreulicher dagegen ist die...


Zahl der Woche:

1,7 Prozent

... des Mikroplastiks in den Weltmeeren könnte jedes Jahr von natürlich vorkommenden Bakterien einfach verdaut werden. Das legt eine aktuelle Untersuchung von niederländischen Forschenden nahe, die nach einer Antwort auf das sogenannte "Missing Plastic Paradox" gesucht haben. Paradox ist, dass Forschende in den Ozeanen viel zu wenig Mikroplastik finden, gemessen an den Plastikmengen, die Menschen jährlich in die Ozeane entsorgen. Die niederländischen Forscher stellten nun bei Laborexperimenten fest, dass das Bakterium Rhodococcus ruber die kleinsten Plastikteile unter anderem zu CO2 verdauen kann. Das ist eine gute Nachricht im Kampf gegen das Plastikproblem einerseits. Und eine schlechte für die globale CO2-Produktion andererseits.

Hitze und Luftverschmutzung machen Schadstoffe gefährlicher

Schon vor einem halben Jahr ist eine Metastudie erschienen, die zusammenfasste, was über den Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen in der Atmosphäre und die Verbreitung von Infektionskrankheiten bekannt ist. Ergebnis: Tropenkrankheiten, die durch Vektoren wie Mücken übertragen werden oder Keime, die sich bei steigenden Wassertemperaturen wohl fühlen wie Cholera-Bakterien, fühlen sich durch den Klimawandel auch in Deutschland zunehmend wohl. 58 Prozent der bekannten Krankheiten werden durch den Klimawandel gefährlicher, so die Forscher.

Forscher um Asiya Gusa von der Duke University in den USA haben nun die Auswirkungen von Hitzestress auf einen bestimmten pathogenen Pilz näher im Labor untersucht. Cryptococcus deneoformans ist eine bekapselte Hefe, also ein durch die Luft fliegender Mikroorganismus, der beim Menschen die Kryptokokkose auslösen kann.

Bildrechte: IMAGO / Science Photo Library

Höhere Temperaturen beschleunigen die Evolution der pathogenen Pilze

Bei den meisten Menschen verläuft diese Infektion ohne Symptome. Manchmal werden nur die Atemwege angegriffen, die Patienten bekommen dann einen leichten Husten. Aber sind Personen immungeschwächt, kann die Ansteckung in einer Entzündung von Lungen und Gehirn münden und auch Haut, Knochen und Organe in Mitleidenschaft in Mitleidenschaft ziehen. 

Asiya Gusa und Kollegen haben nun verglichen, was mit dem Pilz auf genetischer Ebene passiert, je nachdem, ob die Umgebungstemperatur bei 30 oder bei 37 Grad Celsius liegt. Ergebnis: Bei den höheren Temperaturen nahm in den Genen die Bewegung mobiler DNA-Elemente, sogenannter Transposons, zu. Das wiederum kann dazu führen, dass der Pilz häufiger mutiert, um sich so besser an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Die Forscher schließen daraus, dass höhere Temperaturen die Evolution des Krankheitserregers begünstigen. 

Ob der Pilz dadurch gefährlicher für Menschen wird oder ob er sich besser anpasst und zu weniger Symptomen führt, lässt sich zwar nicht vorhersagen. Klar ist aber, dass eine beschleunigte Evolution von Mikroorganismen die Gefahr erhöht, dass beherrschbar geglaubte Pathogene plötzlich völlig neue Varianten und damit Herausforderungen schaffen. Der Klimawandel wird die Mikrobiologie wohl nachhaltig beschäftigen.

Verstärkt Luftverschmutzung die Bildung von Allergenen?

Ein Schutz des Klimas und der Umwelt dient also der menschlichen Gesundheit. Das trifft auch auf Allergien zu. In Großstädten mit viel Feinstaub und Stickoxiden durch Straßenverkehr gibt es mehr Allergiker als auf dem Land. Natürlich spielen dabei nicht nur die schädlichen Stoffe eine Rolle, sondern oft auch der Mangel an Kontakt mit Tieren und Pflanzen in der Natur. Solche regelmäßigen Kontakte, vor allem in der Kindheit, bremsen die Gefahr, dass Menschen Allergien entwickeln.

Aber möglicherweise verändern sich auch die Allergene selbst in belasteten Umgebungen. Forschende aus Polen stellen jetzt die These auf, dass die Pollen der Birke aggressiver sind, wenn die Luft in der Umgebung des Baums stärker verschmutzt ist. Die Wissenschaftler hatten bei vergleichenden Untersuchungen festgestellt, dass die Bäume in der verschmutzten Umgebung größere Mengen des Proteins Bet v1 entwickelten, das als Hauptauslöser der allergischen Reaktionen beim Menschen gilt.

Unabhängige Forscher weisen zwar auf verschiedene methodische Probleme der Studie hin. So gibt es Unklarheiten dabei, welche Indikatoren für Luftverschmutzung verwendet und verglichen wurden oder ob die von den Bäumen genommenen Proben wirklich vergleichbar sind. Bet v1 entwickelt sich während des Reifungsprozess sehr schnell, sodass die beobachteten Unterschiede auch auf die verschiedenen Zeitpunkte der Probenentnahme zurückführbar sein könnten. Trotzdem ist das Muster auffällig, dass die Werte des Proteins umso niedriger lagen, je weniger Straßenverkehr es in der Umgebung eines Baumes gab.


🗓 Klima-Termine

Freitag, 27. Januar – Dresden

Lesung und Gespräch "Sturmnomaden - wie der Klimawandel uns Menschen die Heimat raubt. Vortrag um 18 Uhr an der Dresdner Volkshochschule, der Eintritt ist frei. Infos hier.

Donnerstag, 2. Februar – Online

Ein deutschlandweites Bündnis von Kommunen setzt sich dafür ein, dass die Städte und Gemeinden mehr rechtliche Spielräume bekommen, innerorts Tempolimits für den Autoverkehr festzulegen. Bei der Online-Konferenz will sich die Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angepasste Geschwindigkeiten" präsentieren und mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. 16 bis 18.30 Uhr, alle Details hier.

Freitag, 3. Februar - Leipzig

Dokumentarisches Theaterstück "Klima-Monologe" am Neuen Schauspiel in Leipzig um 19.30 Uhr. Menschen aus unterschiedlichen Weltregionen erzählen davon, wie sie die Folgen des Klimawandels in ihrem Leben spüren. Details und Tickets hier.

Sonntag, 5. Februar – Franzigmark (Petersberg)

Erster Besucherinnensonntag im Jahr 2023 im Umweltzentrum Franzigmark mit Tierführungen und weiteren Programmpunkten. Alle Infos hier.


📰 Klimaforschung und Menschheit

Trotz Aufforstung: Regenwälder erzeugen auch zehn Jahre nach Abholzung Kohlenstoffemissionen

Das Totholz lebt: Werden tropische Regenwälder gerodet und wieder aufgeforstete, sind sie trotzdem noch viele Jahre eine Quelle für Kohlenstoffemissionen. Dabei geben sie überraschenderweise mehr Kohlenstoff ab, als sie binden können, das zeigt eine aufwendige Untersuchung in Malaysia. Bisher war die Annahme verbreitet, dass schnell nachwachsende Regenwälder durch die erhöhte Holzproduktivität mehr Kohlenstoff binden als sie freisetzen. Mikroorganismen würden allerdings dafür sorgen, dass durch die Zersetzung von organischer Bodenmaterie oder nach Rodung zurückgelassenem Totholz ein Überschuss an Kohlenstoff freigesetzt wird. Die Rodung schadet also trotz Aufforstung nicht nur dem Ökosystem und Lebensraum, sondern auch der Kohlenstoff-Bilanz. Fachleute sehen in den Ergebnissen eine Bestätigung, dass die CO2-Bilanzierung eines Waldes sehr vielschichtig ist. Aus diesem Grund seien die Effekte regional sehr unterschiedlich und können nicht verallgemeinert werden.

Erwärmung in Deutschland beschleunigt sich

Die Zahlen für 2022 machen es ganz klar. Die Klimaerwärmung beschleunigt sich. Und dieser Trend in Deutschland wird sich dem Deutschen Wetterdienst (DWD) zufolge fortsetzen. "Wir erleben inzwischen Hitzeperioden und -intensitäten, die wir aus den Klimamodellen eigentlich erst in ein paar Jahrzehnten erwartet hätten", sagte Andreas Becker, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung des DWD, am Montag anlässlich der finalen Klimabilanz für das vergangene Jahr. "Seit dem Jahr 1881 haben wir nun einen Anstieg der Jahresmitteltemperatur in Deutschland von 1,7 Grad", sagte Becker. "Seit Anfang der 70er-Jahre hat sich dieser Erwärmungstrend deutlich beschleunigt und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich dieser in den nächsten Jahren verlangsamen wird." Der finalen Bilanz zufolge war 2022 das sonnenscheinreichste und gemeinsam mit 2018 wärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen 1881. Die Jahresmitteltemperatur lag bei 10,5 Grad. Vor 2014 habe es in Deutschland nie eine Jahresdurchschnittstemperatur von mehr als 10 Grad gegeben. Dabei sei das vorangegangene Jahr einmal mehr nicht nur zu warm, sondern auch deutlich zu trocken gewesen – mit teils gravierenden Auswirkungen für Landwirtschaft und Wälder.

Studie: Der Westantarktische Eisschild könnte noch nicht verloren sein

Durch den CO2-Treibhauseffekt und die resultierende Klimaerwärmung hat sich die Schmelze der Eismassen in der Antarktis seit den Neunzigerjahren deutlich beschleunigt. Ein Team von britischen und amerikanischen Forschenden um Freazer Chrostie von der University of Cambridge hat mit Hilfe von umfangreichen Satellitendaten nun eine neue Analyse erstellt, wie sich der westantarktische Eisschild im Klimawandel weiterentwickeln könnte. Bei der Untersuchung zeigte sich, dass das Eis in den verschiedenen Regionen entlang der westantarktischen Küste unterschiedlich schnell schmilzt. Während sich die Gletscherschmelze entlang der Bellinghausensee zwischen 2003 und 2015 deutlich beschleunigte, verlangsamte sich die Entwicklung entlang der Amundsen See. Ursache sind veränderte Windmuster, die die Ozeanströmungen beschleunigen oder bremsen. Unter dem Eisschelf an der Amundsensee bremsen sie den Zustrom warmer Wassermassen und damit auch die Gletscherschmelze. Nach Ansicht der Forscher gibt diese Erkenntnis Anlass zur Hoffnung, dass einige der Schmelzprozesse in der Antarktis vielleicht noch gestoppt werden könnten, wenn es gelingt, die globalen CO2-Emissionen auf netto-null zu senken. Passiert das nicht, droht ein Kollaps wichtiger Gletscher in der Antarktis mit der Folge eines Anstiegs der Meeresspiegel um mehrere Meter in den kommenden hundert Jahren. Mehr bei MDR WISSEN

Umweltschutzorganisation BUND verklagt die Bundesregierung

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verklagt die Bundesregierung wegen Verfehlung der Klimaziele in den Bereichen Verkehr und Gebäude. Die Umweltschützer verlangen den Beschluss von Sofortprogrammen, wie sie das Klimaschutzgesetz vorsieht. Die Klage reichten sie beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am Dienstag ein. Deutschland hatte sein Ziel, bis 2020 insgesamt 40 Prozent an Treibhausgasen einzusparen im Vergleich zu 1990, nicht erreicht - und zwar auch 2021 nicht. Nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende ist dies 2022 ebenfalls nicht gelungen. Insbesondere in den Bereichen Verkehr und Gebäude klafft eine Lücke, worauf schon der Expertenrat der Bundesregierung hingewiesen hatte. Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung, das dies adressieren soll, steht immer noch aus.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Das Thema CO2-Rückholung im vergangenen Newsletter hat viele von Ihnen sehr beschäftigt. Dazu haben wir unter anderem folgendes Feedback von Ihnen erhalten:

  • Befinden wir uns nicht in einer Zwickmühle? Ist die Natur nicht schneller im Handeln als alle Technik? Es wird nur immer von einem Immer Mehr gesprochen, was zu immer mehr Zerstörung und Vernichtung führt. Wann wird endlich mal über Einsparen gesprochen? Geschwindigkeit, kleine Fahrzeuge, Energieverbrauch usw. - Manfred Kappler
  • CO2 aus der Luft holen durch Bäume pflanzen ist total richtig. Aber: Wo Windräder sind, können keine Bäume wachsen! Und um Windräder im Thüringer Wald zu errichten, müssten sogar Bäume gefällt werden. Das ist paradox, finde ich. - Uwe Behrens
  • Brennstoffkraftwerke, die ihr erzeugtes CO2 direkt komprimieren und in Tiefbohrung verpumpen, sind noch klimaschädlicher als andere, weil sie etwa 30 Prozent mehr Energie für eine Kilowattstunde Strom benötigen. Ein viel sinnvollerer Ansatz wäre, alle Gefäße, die mit "ProzessWärme" arbeiten per Isolation sparsamer zu machen. - Wolfgang Gerlach

Vielen Dank für die Zuschriften!

Ich will heute zum Abschluss einen Blick in Richtung München werfen, wo Forscher zeigen, dass es nicht immer strengere Vorschriften oder Gesetze braucht, um den CO2-Ausstoß zu senken. Manchmal helfen einfache Informationen schon weiter. Untersucht wurde, wie sich Besucher einer Mensa entscheiden, wenn die CO2-Bilanz des jeweiligen Gerichts in Ampelfarben dargestellt wird und die Umweltkosten benannt werden. Der Effekt: Viele Besucher wählten CO2-ärmere Gerichte. In der Gesamtbilanz konnte der CO2-Ausstoß des Mittagessens um bis zu zehn Prozent gesenkt werden.

Vielleicht braucht es einfach mehr Entscheidungs-Ampeln im Leben.

Herzlichst
Clemens Haug

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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.