Grafik Klimaupdate - Sanduhr auf Wüstenboden
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MDR KLIMA-UPDATE | 24. März 2023 Die Zeit läuft ab: Sie verlassen jetzt die Komfortzone

Ausgabe #81 vom Freitag, 24. März 2023

24. März 2023, 11:26 Uhr

Es war eine Woche der Klimanachrichten: Erst hatte der Weltklimarat in seinem Synthesebericht zur 6. Berichtsperiode schlechte Neuigkeiten, dann machte auch der DWD klar, dass Deutschland die Komfortzone verlässt.

Porträtaufnahme einer weißen Frau mit zurückgebundenen Haaren, einer großen Brille und grüner Bluse
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Hallo liebe Lesende,

eine ereignisreiche Woche liegt hinter uns. Sie haben es bestimmt mitbekommen, am Montag hat der Weltklimarat seinen Synthesebericht für die sechste Berichtsperiode vorgestellt. Und ganz kurz zusammengefasst, sagt der: Die Zeit läuft ab! Schon in den 2030er-Jahren könnte die 1,5 Grad-Schwelle global überschritten werden. Beim Blick auf den Kalender stellen wir also fest: Das ist nun wirklich nicht mehr lange hin. Was also, wenn wir diese kritische Grenze überschreiten? Dann gibt es auch wieder einen Weg zurück, zeigen Overshoot-Szenarien. Was es damit auf sich hat, verrate ich Ihnen gleich.

Vorher schauen wir noch kurz auf den aktuellen Stand der Erwärmung. Denn den hat der Deutsche Wetterdienst in dieser mit Klima-Nachrichten vollgepackten Woche bekannt gegeben: Wir stehen bei 1,15 °C Erwärmung. Das entspreche einer Steigerung von 0,06 Grad innerhalb von zwei Jahren. Andreas Becker, der Abteilungsleiter der Klimabeobachtung beim DWD, hat die Situation passend zusammengefasst: "Wir kommen raus aus der Komfortzone." Es wird auch in Deutschland langsam aber sicher ungemütlicher, jetzt, da sich die ersten Folgen der Klimaerwärmung zeigen: Trinkwasserreglementierungen, Waldbrände und Ernteausfälle seien die negativen Folgen, so Becker.

Ich hätte Sie heute sehr gern mit erfreulicheren Neuigkeiten ins Wochenende geschickt, aber es nützt ja auch nichts, die Augen vor der Realität zu verschließen. Umso mehr gilt es im Hinterkopf zu haben: Jedes Zehntel zählt. Noch gibt es keinen Grund, den Kopf frustriert in den Sand zu stecken – ganz im Gegenteil. 


Zahl der Woche:

600

… Millimeter Niederschlag sind in der Region São Paulo in Brasilien in nur 24 Stunden registriert worden - eine 60 Zentimeter hohe Wasserschicht. Das ist mehr Regen, als es in einem ganzen Jahr in Leipzig gibt, sagt Meteorologie-Professor Johannes Quaas von der Universität Leipzig. Es ist eigentlich auch seine Zahl der Woche, denn eine Mitarbeiterin mit brasilianischen Wurzeln hat den extremen Starkregen vor Ort miterlebt. Die Wassermassen haben zu Überschwemmungen und Erdrutschen geführt. Mindestens 40 Menschen sind ums Leben gekommen, zahlreiche weitere werden noch immer vermisst. Starkregen in diesem Ausmaß droht nur in den Tropen, erklärt Quaas. Die Landstriche in Äquator-Nähe haben das höchste Risiko für solche durch die Klimaerwärmung ausgelösten Extremwetter-Ereignisse - ausgerechnet solche Regionen also, die meist selbst recht wenig Anteil an den weltweiten Emissionen zu verzeichnen haben.

Über die kritische Schwelle: Was ist ein Overshoot und warum muss ich das wissen?

Mit den Zielen ist das so eine Sache. Wenn man übers Ziel hinausschießt, dann geschieht das meist in guter Absicht. Wenn jedoch das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen gerissen wird, ist gar nichts gut. Der Begriff ist nicht ideal - vielleicht sollte man es lieber (kritische) Schwelle nennen. Und wo wir gerade bei Begriffen sind, auch diesen sollten Sie sich merken: Overshoot.

Sie ahnen es: Beim Overshoot wird die 1,5 Grad-Schwelle überschritten - zumindest vorübergehend. Voraussichtlich wird es in den 2030er-Jahren soweit sein, sagt der Leipziger Meteorologie-Professor Johannes Quaas. Wenn es bis dahin oder dann gelinge, nicht nur keine Treibhausgase zu emittieren, sondern womöglich die Temperatur wieder abzusenken, dann hätte man die 1,5 Grad-Schwelle nur kurz überschritten. Dieser Zeitraum, in dem die Temperatur höher ist und sich dann wieder abkühlt, wird als Overshoot bezeichnet - also als Überschreitung.

Sehr viele Klimamodelle und auch die Szenarien des IPCC prognostizieren Zeiträume dieser Klimaüberschreitung teils über Jahre. Und dennoch: "Das würde die die besonders dramatischen Klimaauswirkungen noch stärkerer Erwärmung verhindern", sagt Quaas. Denn solange die Schwelle bei 1,5 Grad liege, seien irreversible Schäden unwahrscheinlich. Doch Quaas ergänzt: "Wenn es dann zu einer noch stärkeren Erwärmung kommt über zwei Grad Celsius oder sogar noch stärker hinaus, dann wird es bei Ökosystemen - denkt man zum Beispiel an den Regenwald - tatsächlich zu einigen irreversiblen Schäden kommen, also unumkehrbaren Schäden."

Ich habe ganz ausführlich mit Prof. Johannes Quaas über den sechsten Synthesebericht des Weltklimarats gesprochen. Das ganze Interview gibt es hier zum Anhören:

Mann mit schwarzen, kürzeren Haaren, schwarzer eckiger Brille, hellem Sakko und hellem Hemd, freudiger Gesichtsausdruck, im Grünen mit Park-Atmosphäre unscharf im Hintergrund 13 min
Prof. Dr. Johannes Quaas Bildrechte: Universität Leipzig

Das Ziel ist weniger als Null

Doch auch wenn der Weltklimarat mit den Overshoot-Szenarien kalkuliert, weisen die Fachleute daraufhin, dass die Idee, dass die Welt sich den Overshoot leisten könne, ein gefährlicher Trugschluss sei. Denn jede Überschreitung der kritischen Schwelle berge die Gefahr, dass sensible Systeme wie Korallenriffe, Gletscher oder das polare Eis dadurch unwiederbringlich verloren gehen könnten, heißt es. Forschende weisen außerdem darauf hin, dass beim Overshoot die Wahrscheinlichkeit, dass sogenannte Kipppunkte ausgelöst werden, erheblich steige.

Und damit wären wir wieder bei den Zielen. Denn damit der Overshoot auch wirklich einer ist und die Temperatur nach der Überschreitung wieder unter die kritische Schwelle sinkt, müssen das Ziel zunächst Nullemissionen sein, sagen die Fachleute. Der CO2-Ausstoß muss bis 2030 um rund 48 Prozent gesenkt werden, bis 2050 dann um 99 Prozent. Doch das ist eben noch nicht genug: Das Ziel vieler Staaten lautet nämlich mittlerweile nicht mehr Netto-Null, sondern Netto-Negativ. Das heißt, sie wollen der Atmosphäre Treibhausgase entziehen. 

Aber wie kommen CO2 oder Methan wieder raus aus der Luft? Möglich machen sollen das zum Beispiel Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS). Dabei wird das CO2 quasi eingefangen und gelagert. "Zum Beispiel in den ehemaligen Erdgasvorkommen, wo man also dann statt des Erdgases dann das CO2 verpresst, sodass es dauerhaft im Boden bleibt", erläutert Johannes Quaas die Technologie und bilanziert: "Das ist eine notwendige Technologie, die wir mit Sicherheit brauchen werden." Doch noch ist die CCS-Technik weder effizient, noch ist klar, wie sicher die Lagerung unter der Erde eigentlich wäre. Aber es bleibt keine Wahl: Damit es "nur" zum Overshoot, nicht aber zum dauerhaften Überschreiten der 1,5 Grad-Schwelle kommt, braucht es solche oder ähnliche Technologien. Denn es wird voraussichtlich weiter in geringerem Umfang Treibhausgas-Emissionen geben, meint Quaas. Denn: "Solange wir Fleisch und gerade Rindfleisch konsumieren, wird es Methanemissionen geben." Man werde also nicht umhinkommen, das zu kompensieren. 

Kemferts Klima-Podcast 44 min
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44 min

MDR AKTUELL - Das Nachrichtenradio Die Klima-Zeitbombe

Die Klima-Zeitbombe

Der Weltklimarat hat einen neuen Bericht zum Klimawandel vorgelegt. "Heftig" findet Claudia Kemfert das, was drinsteht. Sie erläutert, was wir nachfolgenden Generationen aufbürden. Und was jetzt passieren muss.

MDR AKTUELL Mi 22.03.2023 16:26Uhr 43:57 min

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🗓 Klima-Termine

Sonntag, 26. März – Dresden

Dresden ist aktuell der europäische Mittelpunkt der Physik: Auf zwei großen internationalen Tagungen treffen sich dort Tausende Physikerinnen und Physiker. Der perfekte Zeitpunkt also, um ein paar Fragen in Sachen Klima loszuwerden. Eine Möglichkeit dazu bietet der öffentliche Vortrag "Kipp-Punkte im Klimasystem" mit Prof. Dr. Ricarda Winkelmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung am Sonntag, den 26. März 2023 um 18:30 Uhr im Audimax der TU Dresden. Mehr Infos hier

Donnerstag, 30. März – Brand-Erbisdorf

Die Klimakrise ist nur ein Thema für die Menschen in der Stadt? Ganz und gar nicht! Das sieht man auch in der Stadt- und Kreisbibliothek von Brand-Erbisdorf so und hat den Ökologen Paul Dörfler zu einer Lesung eingeladen. Der stellt sein Buch "Aufs Land - Wege aus Klimakrise, Monokultur und Konsumzwang" vor. Dörfler skizziert darin inspirierende Perspektiven auf Nachhaltigkeit und Selbstversorgung, heißt es. Die Lesung startet am Donnerstag, den 30. März um 18 Uhr.

Freitag, 31. März - Jena

Jena soll bis 2035 klimaneutral werden und hat dafür einen Klima-Aktionsplan aufgestellt. Darüber und über die Frage "Wie wollen mir miteinander leben?" wird am 31. März 2023 ab 19:00 Uhr in Schillers Gartenhaus auf einer Podiumsdiskussion ohne Podium gesprochen. Das heißt, alle sind eingeladen, sich an einer Diskussion zu beteiligen, Fragen zu stellen und sich über den Weg zur Klimaneutralität zu informieren. Mehr dazu hier


📰 Klimaforschung und Menschheit

Forscher entdecken neuen Mechanismus für biologische Solarzellen

Was hat die Photosynthese mit Solarenergie zu tun? In Zukunft womöglich ganz schön viel. Denn ein deutsch-britisches Forschungsteam hat einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt, der dafür sorgt, dass bei natürlicher Photosynthese, mehr Elektronen geerntet werden. Diesen "Hack" können Forschende nun als eine Art Abkürzung nutzen, um Energie zu gewinnen. Damit würde künstliche Photosynthese bald viel effizienter und könnte in Form von biologischen Solarzellen preiswerte erneuerbare Energien liefern - sozusagen mit der Superkraft der Pflanzen. 

       

"Hitze-Tool" bewertet Maßnahmen zur Hitzeanpassung in Städten

Mit steigender Klimaerwärmung wird hierzulande die Zahl der heißen, sonnigen Tage und der tropischen Nächte künftig weiter ansteigen. Das kann vor allem für die Menschen in den Städten gefährlich werden, da sich hier die Hitze besonders staut. Deshalb müssen die Städte an das sich verändernde Klima angepasst werden: mehr Schatten, Entsiegelung von Flächen und Begrünung sind einige der notwendigen Maßnahmen. Aber wie effektiv ist das Ganze? Solche Fragen beantwortet das digitale Planungsinstrument "HRC-Hitzetool". Es ist eine Entwicklung des Verbundprojekts HeatResilientCity. Auch Privatleute können mithilfe des Online-Tools abschätzen, was im eigenen Umfeld am effizientesten hilft. 

Lebensgrundlage von Millionen Menschen in Flussdeltas bedroht

Die Deltas von Flüssen gelten als fruchtbarste und produktivste Regionen der Welt und sichern die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Doch genau diese Gebiete sind durch globale Umweltveränderungen stark gefährdet. Das hat jetzt eine Studie der Stanford University in den USA ergeben. Das Problem sei vor allem, dass der Boden in diesen Gebieten absinke, so das Forschungsteam. Das werde unter anderem durch das Abpumpen von Grundwasser und die Förderung von Erdöl und Erdgas verursacht. Die umfangreichen Bodensenkungen sind, so das Ergebnis der Untersuchung, für die Regionen sogar gefährlicher als der Anstieg des Meeresspiegels.


📻 Klima in MDR und ARD

Wissen

Stilisierter Erdball tanzt auf einer Flüssigkeitsoberfläche, während ein Komet auf ihm einschlägt. Als Wasserzeichen die Zahl 10 im Hintergrund. 11 min
Woher kommt das Wasser? Bildrechte: MDR
11 min

Große Fragen in zehn Minuten Woher kommt das Wasser?

Woher kommt das Wasser?

Klar, aus dem Hahn! Aber mal ganz grundsätzlich: War das Wasser schon immer auf der Erde? Oder kam es erst später mit Kometen aus dem All?

Mi 15.03.2023 11:28Uhr 11:12 min

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👋 Zum Schluss

Zum Schluss habe ich noch einen Hinweis in Sachen Bildungsauftrag. Ich muss nämlich zugeben, dass ich beim Schreiben dieser Zeilen etwas getrödelt habe, da ich abgelenkt vom neuen interaktiven Lernspiel der Kolleginnen und Kollegen von "Planet Schule" war. Das ist also eigentlich für Schülerinnen und Schüler gedacht, macht aber auch Erwachsenen Spaß. Allein schon die zauberhafte Grafik ist einen Besuch wert. Die "Klima-Challenge" schickt die Spielenden zu vier entlegenen Forschungsstationen, wo junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, wie Klimaforschung funktioniert. Und Mitforschen muss man natürlich auch. Schauen Sie doch mal hier vorbei und probieren die "Klima-Challenge" aus!

Ich hoffe, Sie haben all die schlechten Nachrichten jetzt spielerisch verarbeiten können und sind wieder etwas optimistischer gestimmt. Und vielleicht denken Sie ja auch nochmal an die Sache mit dem Rindfleisch und den Methan pupsenden Kühen, wenn Sie dieses Wochenende am Herd stehen. Das wäre doch eine gute Gelegenheit, mal wieder etwas Leckeres ohne Fleisch zu zaubern. Wenn Sie keine Idee haben was, dann lohnt es sich, mal hier vorbeizuschauen. Ich jedenfalls bin jetzt kulinarisch inspiriert. Also Guten Appetit!

Ein entspanntes Wochenende wünscht,
Kristin Kielon


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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

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