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MDR KLIMA-UPDATE | 12. Mai 2023Individuelles Handeln verändern – aber wie eigentlich?Ausgabe #88 vom Freitag, 12. Mai 2023

15. Mai 2023, 12:31 Uhr

Wenn wir die Klimakrise aufhalten wollen, müssen wir auch unser privates Verhalten ändern. Ein aktuelles Gutachten des Umweltrates erklärt, wie Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung uns dabei helfen könnten.

Hallo liebe Lesende,

die Umweltkrisen unserer Zeit lassen sich nur bewältigen, wenn wir unser individuelles Verhalten ändern, schreibt der Sachverständigenrat für Umweltfragen diese Woche in einem Gutachten. Das wussten Sie schon? Vermutlich! Spannend wird es allerdings, wenn wir darüber diskutieren, wie Menschen konkret dazu gebracht werden können, fürs Klima anders zu leben. Die Essenz des Umweltrat-Gutachtens: Unser Verhalten ist maßgeblich eine Frage der politischen Rahmenbedingungen.

Einfach gesagt: Klar ist es gut, wenn Einzelne von sich aus klimafreundlich unterwegs sind, aber die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, mit denen Rücksicht aufs Klima gefördert, unterstützt und belohnt wird. Und, das macht der Bericht deutlich: Hier ist noch ordentlich Luft nach oben. Denn eigentlich wünschen sich viele Menschen, dass klimafreundliches Verhalten einfacher wird. In einer aktuellen Befragung der Uni Erfurt äußerten immerhin 74 Prozent diesen Wunsch. Besonders toll am Gutachten des Umweltrates finde ich, dass es zwei nüchterne Fragen stellt, die meiner Meinung nach nicht oft genug gestellt werden.

1) In welchen Bereichen ist es besonders wichtig, dass wir unser Verhalten ändern? 2) Wie funktioniert menschliches Verhalten und wo kann man da ansetzen?

Die Psychologin Prof. Cornelia Betsch sagt: "Das Gutachten basiert auf dem Grundsatz, dass menschliches Verhalten verstanden werden muss, um es zu verändern." Das begrüße sie. Zunächst aber zur ...

Zunächst aber zur...


Zahl der Woche:

50

… Prozent weniger Zuwachs bei Kohlekraftwerken als gedacht. Fürs Klima sind das good news. Eine aktuelle Studie unter Leitung des Berliner Klimafolgenforschungsinstituts MCC hat geprüft, wie viele der weltweit geplanten Kohlekraftwerke künftig tatsächlich umgesetzt und in Betrieb genommen werden. Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass es womöglich doch nur halb so viele werden, wie gedacht. Mitte letzten Jahres war man davon ausgegangen, dass alle geplanten oder im Bau befindlichen Kohlekraftwerke insgesamt auf 476 Gigawatt Kapazität kommen werden – was das Erreichen eines 2 oder 1,5 Grad-Zieles für die globale Erwärmung klar zunichte gemacht hätte. Nun gibt die aktuelle Analyse des MCC im Journal Environmental Research Letters Grund zur Hoffnung, weil einige Länder ihre geplanten Kohlekraftwerke gecancelt haben.

90 Prozent der im Bau befindlichen oder offiziell geplanten neuen Kohlekraftwerke entfallen auf Bangladesch, China, Indien, Indonesien, Laos, die Mongolei, Pakistan, die Türkei, Vietnam und Zimbabwe. Bangladesch und die Mongolei haben ihre Kohle-Planungen am meisten eingestampft, China dagegen kaum.

💪 Den richtigen Hebel finden

… muss das Ziel sein, wenn wir den Klimawandel politisch aufhalten wollen. Oft geht es dabei um die Produktion (von Konsumgütern, Energie oder Nahrungsmitteln) – eng damit verbunden ist unser Verhalten als Konsumentinnen und Konsumenten. Dieses Verhalten ist ein wichtiger Hebel in der Klimakrise – der jedoch nicht sinnlos genutzt werden sollte. Das Gutachten des Umweltrates nennt fünf Situationen, in denen individuelles Verhalten besonders wichtig ist.

Beispielsweise dann, wenn die Zeit drängt. Mitunter reichen technologische Lösungen nicht mehr aus, um Umweltschäden zu verhindern. So etwa im Flugverkehr: So lange die Branche weiterhin wächst und die Emissionen steigen, hilft – nach Einschätzung des Umweltrates – nichts außer Verzicht. Oder wenn Verhaltensänderungen ein besonders starker Hebel sind, also sehr effektiv. So ist es beispielsweise bei unserer Ernährung: Wenn wir weniger Fleisch essen, ist das ein enorm effizienter CO2-Senker.

Bildrechte: MDR Wissen

Ein weiterer Punkt, der für die Veränderung unseres Verhaltens spricht: Manche Veränderungen in der Produktion wirken nur in Kombination mit einem anderen Nutzungsverhalten. Wenn beispielsweise langlebigere Smartphones produziert werden, braucht es auch Nutzerinnen und Nutzer, die sie länger in Betrieb haben. Manchmal bietet eine Veränderung unseres Verhaltens auch zusätzliche Vorteile (man spricht von Co-Benefits). Umweltfreundliches Verhalten kann nämlich Nebenvorteile haben. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Mein neues Fahrrad hat mein Leben verändert. Mehr Gesundheit, mehr Lebensqualität, mehr Klimaschutz.

Außerdem gilt es zu berücksichtigen, dass bestimmte Produktionen ins Ausland abwandern können, wenn wir sie im Inland regulieren, die Nachfrage aber weiterhin hoch bleibt. Man spricht von "Leakage". So werden womöglich sogar noch geringere Umweltstandards eingehalten und die Schäden lediglich verlagert.

Wie funktioniert menschliches Verhalten?

Eine Sache, die wir immer im Hinterkopf behalten sollten, wenn es um klimafreundlicheres Verhalten geht: Unser Konsumverhalten ist keineswegs "natürlich" oder statisch, sondern ergibt sich auch aus externen Einflüssen. Abgeleitet aus der Verhaltenspsychologie schlägt der Umweltrat drei Ansätze vor, die politisch genutzt werden können, um klimafreundliches Verhalten zu fördern.

1) Kontextbedingungen
Der Kontext, das sind Infrastruktur, Fördermittel, Preisanreize oder auch Verbote. Das alles beeinflusst maßgeblich, wie wir uns verhalten. Politisch lässt sich hier vieles verändern, beispielsweise indem umweltfreundliches Verhalten staatlich subventioniert und somit preiswerter wird. In Teilen geschieht das aktuell schon, beispielsweise mit dem 49 Euro-Ticket für den ÖPNV. Prof. Cornelia Betsch vom Center for Empirical Research in Economics and Behavioral Sciences an der Uni Erfurt sagt, viele Menschen (und diese Zahl werde eher unterschätzt) seien durchaus bereit, ihr Verhalten fürs Klima zu ändern – eine Änderung der Kontextbedingungen könne helfen, diese Handlungsbereitschaft in Verhalten umzusetzen.

2) Grundlegende Einflussfaktoren
Normen, Werte, Verantwortungsgefühl und Identifikation beeinflussen ebenfalls, wie wir uns verhalten. Politisch könnte dieser Hebel umgelegt werden, indem Bildungsangebote oder Kampagnen geschaffen werden, die das Umweltbewusstsein stärken. Das ist allerdings ein längerfristiger Prozess.

3) Entscheidungssituationen
Wenn Menschen sich entscheiden, wie sie sich in einer konkreten Situation verhalten, zählt auch, was für Fähigkeiten sie für diese Entscheidung haben. Ein Beispiel: Wenn im Supermarkt auf den ersten Blick klar ist, welches Produkt die bessere Wahl für die Umwelt wäre, kann das die Kaufentscheidung verändern. Häufig ist es gar nicht so einfach, auf den ersten Blick zu sehen, welches Verhalten am besten fürs Klima ist. Auch hier könnten wir politisch noch Weichen stellen, beispielsweise mit einem entsprechenden Sigel, das die nötigen Informationen gibt.

To push 👉 or to pull 🤛?

Grundsätzlich unterscheidet man in der Klimapolitik zwischen Pull- und Push-Maßnahmen. Umgangssprachlich könnte es auch "Zuckerbrot und Peitsche" heißen. Pull-Maßnahmen sind Anreize für klimafreundliches Verhalten, wie beispielsweise ein günstiges ÖPNV-Ticket, Push-Maßnahmen sind Strafen für klimaschädliches Verhalten, beispielsweise eine Steuer auf CO2-trächtige Produkte. Cornelia Betsch erklärt, Push-Maßnahmen seien grundsätzlich das effektivere Mittel. Aber weil sie nicht unbedingt populär sind, müssen sie politisch gut kommuniziert, transparent gestaltet und sozialverträglich sein. Das gelte insbesondere für Maßnahmen, die tief in unser Leben eingreifen, betont die Psychologin.


🗓 Klima-Termine

Freitag, 12. Mai — Dessau

Im Foyer des Bauhausmuseums in Dessau wird an diesem Freitag über den Einsatz von Lehm beim Bauen gesprochen. Das Ziel: Den massiven Lehmbau in Mitteldeutschland fördern. Beginn ist um 18 Uhr, mehr Informationen hier.

Mittwoch, 17. Mai – Sömmerda

Das Thüringer Nachhaltigkeitsforum lädt zur ganztägigen Veranstaltung "Erneuerbare Energien, an denen Kommunen und Bürgerinnen und Bürger mitverdienen". Beginn ist um 9.30 Uhr, das Ende für 16.30 Uhr geplant, Ort ist das Bürgerzentrum "Bertha von Suttner" in Sömmerda. Infos hier

Mittwoch, 24. Mai – Leipzig

Wie setzen sich rechtsextreme Parteien und Gruppierungen in Sachsen mit Klima- und Umweltschutzfragen auseinander? Das diskutieren Referentinnen und Referenten des Kulturbüro Sachsen im Pöge-Haus in der Hedwigstraße 20 in Leipzig. Mehr Informationen.

Diesen Sommer — Leipzig

Seit dem 20. April läuft die Aktion Leipzig gießt. Vielen Stadtbäumen fehlt aufgrund der klimawandelbedingten Dürre das Wasser und sie geraten in Trockenstress. Um die Situation in diesem Sommer abzumildern, hat die Stiftung Ecken Wecken eine Gieß-App erstellt, mit der jeder und jede helfen kann, Bäume zu versorgen. Mehr dazu hier.


📰 Klimaforschung und Menschheit

Umweltsatelliten beobachten Rauch von Waldbränden in Kanada über ganz Nordamerika

Rauch von starken Waldbränden in Kanada breitet sich inzwischen über weite Teile Nordamerikas aus und erreicht bereits die Ostküste. Das zeigen Daten der europäischen Copernicus Umweltsatelliten. Seit Anfang Mai konnte der Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS) in der Provinz Alberta die Entstehung von mittlerweile 29 einzelnen Brandherde beobachten. In der Region mussten rund 30.000 Menschen vor den Feuern in Sicherheit gebracht werden.

Aktuellen Schätzungen zufolge wurden rund 383.000 Hektar Wald zerstört, das entspricht etwa einem Viertel der Fläche Thüringens. Auch in Zentralsibirien können die Umweltsatelliten Brände beobachten. Diese seien für die Saison zwar nicht ungewöhnlich. Doch aufgrund extremer Trockenheit, besonders in Kanada, haben sich die Feuer extrem schnell ausgebreitet. Den Höhepunkt der Saison erwarten die Forschenden im Sommer.

Welche Zugvögel Probleme mit Windparks auf dem Meer bekommen könnten

Die Wirkung von Offshore-Windparks auf Zugvögel hat ein Forschungsteam der Christian-Albrecht-Universität Kiel untersucht. 143 Brachvögel, 30 Ringelgänse und 87 Nonnengänse auf einer Hallig wurden mit Sendern ausgestattet und ihre Bewegungen sechs Jahre lang beobachtet. Die Auswertung der Daten zeigte: Alle Tiere zogen über den Ostseeraum und durchquerten dabei auch Windparkflächen.

70 Prozent der Brachvögel stiegen demnach vor den Turbinen auf oder änderten ihren Kurs und wichen so den Windkraft-Anlagen aus. 30 Prozent durchquerten die Windparks jedoch ohne solche Manöver. Diese Tiere hätten demnach ein Risiko, mit Windrädern zu kollidieren. Die Forschenden raten, das Wissen über die Zugrouten und -Zeiten der Tiere zu nutzen, um die Windparks während der kurzen Zeit des Vogelzugs anzuhalten.

Forschende hadern mit "Letzte Generation vor den Kipppunkten"

Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" treten aktuell auch unter dem Label "Letzte Generation vor den Kipppunkten" auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen das kritisch in Bezug auf den Stand der Forschung zu Kippelementen im Klimasystem. In der Öffentlichkeit gebe es die Annahme, ein Überschreiten bestimmter Temperaturmarken könne eine Dominoreaktion in Gang setzen, bei der sich das Weltklima schlagartig und unwiederbringlich um mehrere Grad Celsius erwärme. Doch gerade was die Irreversibilität anbelangt, gibt es unter Forschenden noch eine offene Debatte. Demnach ist eigentlich nur sicher, dass der Verlust der tropischen Korallenriffe unumkehrbar wäre. Das Abschmelzen der Meereisflächen an den Polen wiederum könnte zumindest theoretisch rückgängig gemacht werden, wenn es gelingt, das Weltklima wieder deutlich abzukühlen.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Das ernüchternde Fazit unseres Newsletters ist diese Woche: Wenn die Politik nicht handelt, unterstützt und fördert, werden wir das Klima auch auf individueller Ebene nicht retten können. Hoffen wir, dass der Bericht des Umweltrates auf offene Ohren trifft. Falls das nun ein beklemmendes Gefühl bei Ihnen auslöst, empfehle ich Ihnen für dieses Wochenende einen Film aus der – meiner Meinung nach – wohltuendsten Doku-Reihe im deutschen TV, der Nordstory. "Die Klimaretter von Osnabrück" zeigt, wie die Stadt sich für maximale Klimaziele einsetzt, alle ziehen an einem Strang, es ist noch nicht alles verloren. Danach sind Sie wieder voller Hoffnung, versprochen 🌈.

Liebe Grüße, ich wünsche ein schönes Wochenende!

Inka Zimmermann


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Schreiben Sie uns an klima@mdr.de.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 04. Mai 2023 | 08:39 Uhr