Alte VHS-Kassetten auf gelbem Grund, Text Das MDR Klima-Update
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MDR KLIMA-UPDATE | 10. März 2023 Ein Hoch auf die Digitalisierung, zum Henker mit ihr!

Ausgabe #79 vom Freitag, 10. März 2023

13. März 2023, 08:50 Uhr

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Liebe Lesende,

das Internet war ja mal so gedacht, dass man eine Adresse eingibt und dann auf einer Seite mit Informationen (und vielleicht ein paar lässigen Schriftarten) landet. Wenn man die Adresse nicht wusste, gab es dafür gedruckte Nachschlagewerke, die als kulturhistorisch wertvolle Kuriositäten sicher im Laufe des Jahrhunderts ihren Weg in die Antiquariate finden werden. Nun musste ich aber feststellen, dass die Menschen offenbar überhaupt keine Ambitionen mehr haben, Internetadressen einzutippen, auch wenn sie die genau kennen, sondern die Weiterleitung den Suchmaschinen überlassen. Winke winke, Wewewe-Punkt, die 2000er waren schön mit dir.

Irgendwann hatte ich auch mal beobachtet, wie jemand „vw.de“ in die Suchmaske eingetragen hat. Und stellte voller Unverständnis fest, dass Bequemlichkeit ganz offensichtlich über Umständlichkeit geht. Und über den Klimaschutz. Wir schauen uns das gleich mal an. Aber auch, warum die Welt mit CD-Plastikhüllen und auf Papier gedruckten Nachrichten vielleicht eine bessere war. Und wie wir die Kurve kriegen, ohne unser digitales Schlaraffenland wieder verlassen zu müssen.

Aber erstmal die hier:


Zahl der Woche:

5

… mal so schnell müsste der Windkraftausbau auf Land verlaufen (und mehr als sechseinhalb Mal so schnell auf See), um die Ausbauziele zu erreichen. Das sagen die aktuellen Live-Daten rund um den Windkraftausbau, die Sie jederzeit bei MDR WISSEN abrufen können. Live bedeutet auch: Unsere Zahl der Woche könnte sich morgen schon wieder geändert haben. Sehen Sie’s uns nach.

Dieser Klima-Newsletter ist vielleicht gar nicht mal so gut fürs Klima

So, ich habe mal nachgeschaut: 0,2 Gramm CO2 stößt eine Suchanfrage beim Big Brother vom Dienst, der beliebtesten Suchmaschine der Welt aus. Das hat Google selbst mal ausgerechnet, ist aber schon 14 Jahre her. Was das bedeutet, hat die Netzkünstlerin Joana Moll vor ein paar Jahren schlicht, aber eindrucksvoll visualisiert und unter CO2GLE veröffentlicht. Die Installation zeigt, wie viel CO2 Google seit Öffnen der Seite ausgestoßen hat. Und unter DEFOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOREST zeigt sie, wie viel Bäume es braucht, um das wieder geradezubiegen. Pro Sekunde sind es so 23.

Das betrifft natürlich auch andere Suchmaschinen (auch wenn zumindest eine von ihnen tatsächlich Bäume pflanzt). Die und die ganzen anderen Internetdienste rund um Streaming, Kommunikation, Datenaustausch und sonniger Selbstdarstellung betreiben riesige Serverfarmen, welche immense Ressourcen verbrauchen. (Man kann ja im Grunde keine Dinge im Internet speichern, sondern nur auf irgendwelchen ans Netz angeschlossenen Rechnern – die Cloud schwebt also am Boden.) Dazu kommen wir gleich, aber lassen Sie uns ganz kurz sortieren, wo genau durch die Digitalisierung überhaupt Ressourcen verbraucht werden:

🏭 eben besagte Serverfarmen: sowohl was die Herstellung der dortigen Rechner betrifft als auch ihr Energieverbrauch und die Kühlung der Geräte (nicht zu unterschätzen!)
📡 Infrastruktur: also alle notwendige Übertragungstechnik und -leistungen, z.B. Überseekabel, Funkmasten, Internetanschluss – auch hier: Herstellung und Energieverbrauch
📱 Endgeräte: Herstellungsressourcen und Energieverbrauch

Sie sehen, es wird kompliziert. Und wenn man’s ganz genau nimmt, müsste man den CO2-Ausstoß des Baggers zum Verlegen neuer Glasfaserkabel unter die Trottoir-Platten auch mit einrechnen, aber lassen wir mal den Bagger und schauen auf Deutschland.

Grafik zeigt folgende Daten und Energiewerte in den Jahren 2010 und 2020. Festnetz-Internet 4,6 Milliarden auf 76 Milliarden Gigabyte, Mobiles Internet 65,4 Millionen auf 3972 Millionen Gigabyte, Energieverbrauch in deutschen Rechenzentren 10 Milliarden auf 16 Milliarden Kilowattstunden.
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Die Deutschen sind erstmal gut ausgestattet. Im Schnitt besitzt jede und jeder ein Mobiltelefon und einen Computer, die auch genutzt werden wollen. 2020 hatten die Server in deutschen Rechenzentren einen Energiehunger von 16 Milliarden Kilowattstunden. Diese Zahlen sind aber nicht so wichtig, weil die ressourcen- und energiehungrige Kommunikations- und Informationstechnologie nur global gesehen werden kann. Die meisten Serverfarmen für Dienste, die wir nutzen (Suchmaschinen, Social Media, Messaging, Streaming, Cloudspeicher, pipapo) stehen nicht in Deutschland. Weltweit lässt sich das gar nicht so leicht erfassen, aber derzeit ist von 200 bis 500 Milliarden Kilowattstunden auszugehen – wobei diese Zahl aus dem Jahr 2019 längst überholt sein könnte. Andere Schätzungen gehen von 200 Milliarden Kilowattstunden nur fürs Streaming aus.

Streamingdienste verursachen allein 300 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, sagte 2019 das Französische Shift Project. Das waren zu dem Zeitpunkt ein Prozent aller menschgemachten Emissionen. Runtergerechnet auf den Einzelabruf eines zweistündiges Filmchens verursacht nur das Rechenzentrum die Emissionen einer Autofahrt von zehn Metern. Bei der Teilnahme an einer einstündigen Videokonferenz sind es schon 15 Meter Autofahren.

Blick aufs große Ganze

Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn auch die Empfangsgeräte benötigen Energie, der Übertragungsweg zwischen Servern und Endgerät ebenso. Außerdem dürfen die Ressourcenaufwendungen für die technische Ausstattung und deren Nutzungsdauer nicht ausgelassen werden. Eine komplizierte Rechnung, von der sich das Öko-Institut hat nicht abschrecken lassen und sie deshalb 2021 im Auftrag des Umweltbundesamtes angestellt hat. Die erwähnte Videokonferenz schlägt dann mit 55 Gramm CO2-Äquivalenten zu Buche, wenn man einen Laptop benutzt und 90 Gramm bei einem Desktop-PC. Das sind schon ein paar Meter mehr: 380 bis 630 mit dem Auto.

Bezieht man das mit ein, was zur Digitalisierung auch noch gehört – beim Homeoffice sind das z.B. Energieverbrauch für Licht und Heizung – läppert sich das. Ein Tag im Homeoffice entspricht dann acht Kilometern mit dem Auto. Heizung und Energieverbrauch ist natürlich etwas, was im Büro ebenfalls anfällt (aber eben durchs Homeoffice nicht eingespart wird). Trotzdem stellt sich die Frage:

Halt irgendwie doch das geringere Übel?

Die klugen Köpfe unter Ihnen werden mahnend darauf verweisen, den Ressourcenverbrauch der Alternativen zu bedenken. Und das stimmt! Nur weil die Digitalisierung kein weltklimatisches Bullerbü ist, heißt das nicht, dass sie der Holzweg sein muss. Bleiben wir noch mal bei besagter Videokonferenz. Wird dafür ein Desktop-PCs genutzt, ist die Videokonferenz dann klimafreundlicher, wenn ein physisches Treffen mindestens 1,12 Kilometer weit entfernt gelegen hätte und die Anreise mit den Öffentlichen erfolgt wäre. Würde sie zu Fuß oder mit dem Rad erfolgen, wäre die Videokonferenz immer schädlicher. (Beim Arbeitsweg mit dem Auto scheint die Videokonferenz hingegen eigentlich immer das geringere Übel zu sein.)

Allerdings: So eine Konferenz ist häufig schneller per Video angesetzt als Vis-à-vis. Und unser aller müden viereckigen Augen verraten, dass wir nicht nur Videokonferenzen, sondern auch sonst weit mehr Videoinhalte konsumieren als in den goldenen Tagen des linearen Fernsehens. Zum Beispiel die Bewegtbildhäppchen bei TikTok, Instagram Reels und YouTube Shorts verleiten zu einem übermäßigen, vielleicht auch maßlosen Konsum, den es ohne Digitalisierung nicht gegeben hätte. Diesen Effekt nennt man: Rebound, auf Deutsch Rückschlag.

Dieser Rebound-Effekt 📈

Er beschreibt, dass durch die Übernutzung digitaler Güter – weil sie so schön einfach zugänglich sind – ein möglicher ökologischer Vorteil zunichtegemacht wird. Eben maßlos vorm Bildschirm zu hängen, oder durch niederschwellige Einkaufsmöglichkeiten und kostenfreie Retouren viel mehr Klamotten bestellen als eigentlich notwendig gewesen wäre. Wie groß dieser Rebound-Effekt ist? Puh, da fragen Sie was. Aber hey, das Umweltbundesamt ist derzeit dran, den Rohstoffbedarf der Digitalisierung genau zu erfassen. Ich sage Ihnen, das wird spannend. Ein Fact-Sheet zum Thema gibt schon jetzt einen Ausblick, welche Herausforderungen hier auf die Politik zukommen: Zum Beispiel die Verschärfung des Wettbewerbsrechts, um Beeinflussung und Verführung im Onlinehandel (Influencerinnen und Influencer, Instant Shopping und Social Commerce) von Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Griff zu bekommen – und damit den Rebound-Effekt durch die Digitalisierung des Handels.

Bleibt noch der Elefant im Raum, aber nur kurz: Den hier immer wieder mal angerissenen Aspekt des Ressourcenaufwands für unsere Kommunikations- und Unterhaltungselektronik haben wir schon vor zwei Wochen besprochen – und das Konzept des Rohstoffrucksacks. Zur Erinnerung: Der Ressourcenaufwand eines Smartphones oder eines Computers ist gewaltig, betrifft in seinem umwelt- und klimaschädliche Resümee aber Länder fernab von Deutschland. Also, erstmal. Mehr Details zum Thema im Klima-Update #77.

Wie immer die Frage, was man jetzt als kleines Netflix- und Reel-süchtiges, zum Homeoffice angehaltenes Menschlein überhaupt tun kann.

➡️ Nehmen Sie einfach unsere Checkliste mit handlichen Empfehlungen zur Hand – die finden Sie weiter unten.


🗓 Klima-Termine

Sonnabend, 11. bis Sonntag, 12. März – Burgstädt

Die Naturschutzstation Herrenhaide lädt an diesem Wochenende zum Tag der offenen Station samt Rundgang.

Dienstag, 14. bis Mittwoch 15. März – online

Grundkurs Atomenergie: In einem zweitägige Grundkurs werden leicht verständlich die Funktionsweise, Bedeutung und Risiken der Atomenergie erklärt – auch als Hilfestellung zum Einordnen der aktuellen Debatten. Infos, Anmeldung

Donnerstag, 16. März – Leipzig

Kostenfreie Lesung: Klima im Kopf und Weltuntergang fällt aus in der Aula des Schiller-Gymnasiums. Infos

Freitag, 24. März – Leipzig

Anmeldung bis 14.3.: Beim Dialogforum: RevierUPGRADE diskutieren junge Menschen aus dem mitteldeutschen und Lausitzer Revier, wie sozialer und ökologischer Strukturwandel aussehen kann. Infos und kostenlose Anmeldung


📰 Klimaforschung und Menschheit

Scholz: Mehr Tempo beim ökologischen Umbau – sagt auch die Wissenschaft

Bei der Klausurtagung der Ampel-Regierung auf dem brandenburgischen Schloss Meseberg hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag betont, dass es mehr Tempo beim ökologischen Umbau der Wirtschaft und Energieerzeugung brauche. Täglich müsse man zum Beispiel vier bis fünf neue Windräder bauen. Dafür brauche es sehr viele Arbeitskräfte, auch aus dem Ausland. Wirtschaftsminister Habeck (B'90/Grüne) sprach von großen Herausforderungen, aber auch von einem "gigantischen Industrie- und Beschäftigungsprogramm". Am gleichen Tag hatte die deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina Druck gemacht – in einem Papier forderte sie dringendes Handeln, da sich das Zeitfenster zum Erreichen der Pariser Klimaziele bald schließen würde. Mehr bei der tagesschau — Und in einem Kommentar von Telepolis heißt es: Die schon sehr hoch angesetzte Windradzahl reiche vorn und hinten nicht.             

Meereis in der Antarktis auf Rekord-Minimum

Die von Eis bedeckte Fläche auf den Meeren rund um die Antarktis ist so klein wie noch nie seit Beginn der satellitengestützten Messungen vor rund 45 Jahren. Wie der Klimawandel-Dienst des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus (C3S) mitteilte, erreichte die Gesamtausdehnung des Meereises um den Südkontinent zum Ende der sommerlichen Schmelzperiode am 16. Februar 2023 nur noch 2,06 Millionen Quadratkilometer. Laut Copernicus lag das antarktische Packeis, also jener aus dicht angeordneten Eisschollen bestehende Teil des Meereises, im gesamten Februar 34 Prozent unter dem Durchschnitt. Es ist bereits das achte Jahr in Folge, dass die Meereisbedeckung im südlichen Ozean im Februar unterhalb des langjährigen durchschnittlichen Minimums lag.

Teufelskreis: Waldbrände schädigen Ozonschicht

Große Waldbrände wie der in Australien um den Jahreswechsel von 2019 zu 2020 können das Ozonloch vergrößern. Diese These haben verschiedene Forschende in den vergangenen Jahren aufgestellt, unter anderem auch der Meteorologe Albert Ansmann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung TROPOS in Leipzig. Jetzt bestätigt eine neue Simulation von Forschenden am renommierten MIT in den USA den möglichen Mechanismus, der zu dem Phänomen führen könnte. Demnach aktiviert die chemische Zusammensetzung des Rauchs der Brände aggressive Chlormoleküle, die zu einer Zersetzung von Ozon führen können. Allerdings vermuten die Wissenschaftler, dass noch weitere chemische Reaktionen eine Rolle spielen.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Sie müssen ja jetzt nicht jeden der nachfolgenden Punkte erfüllen (und dürfen sich trotzdem Vorzeigemensch nennen). Hier also ein paar große und kleine Taten zur Inspiration rund um eine klimafreundlichere Digitalisierung – auch, um das mitunter gebeutelte Energiebudget der Haushaltskasse etwas aufzubessern.

  • Nutzen Sie Suchmaschinen nur dann, wenn Sie eine brauchen: Versuchen Sie mal wieder, eine URL einzutippen, oft vervollständigen Browser ohnehin von allein
  • Nutzen Sie Ecosia als Standardsuchmaschine – der Dienst versucht die klimaschädlichen Auswirkungen durch Bäumepflanzen zu kompensieren und speichert keine personenbezogenen Daten – aber suchen Sie nicht mehr als sie müssen, nur um mehr Bäume zu pflanzen, das wäre dann ein Rebound-Effekt
  • Nutzen Sie einen grünen und datensparsamen E-Mail-Dienst (z.B. Posteo, Ownbay, Mailbox)
  • Lehnen Sie Videokonferenzen ab, auf die Sie beruflich verzichten können – lassen Sie keine großen Konferenzen nebenher laufen, wenn Sie nicht bewusst zusehen
  • Setzen Sie nur die Kolleginnen und Kollegen in Kopie (Cc), die Ihre E-Mail auch wirklich bekommen müssen
  • Daddeln Sie nicht rum – reduzieren Sie Ihren Konsum von Social Media und anderen Netzinhalten
  • … insbesondere den täglichen Marathon an Kurzvideos/Reels
  • Zappen Sie nicht durch Mediatheken und die Bibliotheken von Streaming-Anbietern, sondern wählen Sie Ihre Streaminginhalte bewusst und genießen Sie das Ausgewählte
  • Nutzen Sie nur die Videoqualität und -auflösung, die sie benötigen – das spart auch Strom zu Hause!
  • Sollten Sie sich Inhalte künftig mehrfach ansehen wollen, kaufen Sie lieber einen Download statt zu streamen
  • Nutzen Sie Digitalradio (DAB+) oder UKW statt Internetradio, wenn die gewünschten Sender bei Ihnen terrestrisch empfangbar sind
  • Hören Sie bewusst Musik, auch bewusst nebenbei, aber sparen Sie sich die permanente Dauerbeschallung (erst recht in Abwesenheit), die Sie sich mit CDs oder MP3s auch nicht angetan hätten
  • Sie speichern viel in der Cloud? Vielleicht muss es ja nicht ganz so viel sein.
  • Bei einer Neuanschaffung: Achten Sie auf Computer mit Prozessoren, die einen niedrigen Stromverbrauch haben – diese können trotzdem leistungsstark sein
  • Kaufen Sie (zertifizierte) generalüberholte Technik: Damit sparen Sie Ressourcen und Geld, aber nicht an der Garantie der Geräte
  • Lassen Sie Ihr WLAN nachts automatisch vom Router deaktivieren
  • Betreiben Sie ihre Gerätschaften mit echtem Ökostrom
  • Lesen Sie ein Buch (unter einer LED-Lampe, hehe)

Und passen Sie auf sich und die Welt auf.

Herzlich
Florian Zinner


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