Windräder stehen hinter einem Dorf
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MDR KLIMA-UPDATE | 10. Juni 2022 Die Windkraft wird von ihren Gegnern aus den falschen Gründen kritisiert

10. Juni 2022, 12:01 Uhr

Jetzt, wo die Windkraft verstärkt ausgebaut werden soll, kämpfen auch die Gegner der Windräder wieder härter. Dabei vertreten sie oft Ziele, die ihnen selbst kaum nützen. Stattdessen könnten sie profitieren.

Autorenfoto von Clemens Haug
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Liebe Lesende

der Krieg in der Ukraine zwingt Europa zur Abkehr von russischen Energielieferungen. Kann das die Energiewende beschleunigen? Ich glaube ja, das habe ich in diesem Newsletter schon mehrfach geschrieben. 

Doch Debatten in den vergangenen Wochen zeigen: Die Wende ist Marathon, kein Sprint. Die die nun wieder hochkochenden alten Konflikte brauchen viel Ausdauer, beispielsweise der Kampf um weitere Standorte für Windräder. Beispielsweise in Thüringen wollen viele Bürgerinitiativen neue Windkraftwerke in ihrer Umgebung immer noch unbedingt verhindern. 

In diesen Konflikten geht es um mehr, als die Frage, ob neue Windräder die Landschaft verändern oder ein Problem für den Naturschutz darstellen. Stattdessen zeigen Argumente wie die des Schleusinger CDU-Stadtrats Klaus Brodführer tief wurzelnde Glaubenssätze und von denen können Menschen bekanntlich am schwierigsten abrücken. Was also sind diese Glaubenssätze und gibt es Möglichkeiten, wie sie gewandelt und in eine klimaneutrale Zukunft geführt werden können? Dazu gleich mehr. Zunächst zur:

[#] Zahl der Woche

55

Fit for 55 heißt das ambitionierte Klimapaket, mit dem die Europäische Union erreichen will, dass Europas Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrzehnts um 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 gesenkt werden. Diese Woche hat sich das EU-Parlament über Teile des Pakets abgestimmt. Während sich die Abgeordneten auf ein Verkaufsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor einigen konnten, wurde ein Vorschlag zur Ausweitung des Handels mit CO2-Zertifikaten abgelehnt, weil er aus Sicht von Sozialdemokraten und Grünen nicht weit genug ging. Was das für das gesamte Projekt bedeutet, hat Klimareporter.de zusammengefasst.

Vom alten Kampf um die Windkraft, falschen Argumenten und verpassten Chancen

Von einem erneuten Tabubruch der Thüringer CDU war die Rede, die mit Hilfe der Stimmen von FDP und AfD einen Mindestabstand von 1000 Metern zwischen Wohnhäusern und neuen Windrädern in der Landesbauordnung festschreiben wollte. Einige Beobachter fühlten sich da erinnert an den Anfang des Jahres 2020, als die Konservativen mit den Stimmen der Rechtsaußen-Fraktion von Björn Höcke den FDP-Politiker Kemmerich für einige Tage zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt hatten.

Vordergründig geht es bei dem neuerlichen Streit um kleine Details und der Beschluss hätte in der Praxis wohl kaum Auswirkungen gehabt. Schon jetzt wird ein solcher Mindestabstand für neue Projekte empfohlen und auch von den Regionalplänen so festgeschrieben. Die Pläne haben Vorrangflächen für Windkraft in Thüringen festgelegt. 

Doch nun klagen einige CDU Politiker gegen die definierten Vorrangflächen. Daher wollte die Landtagsfraktion das Abstandsgebot nun als eine Art Sicherung festschreiben für den Fall, dass die Klagen der eigenen Parteimitglieder Erfolg haben. Denn dann wären Windkraftbetreiber theoretisch frei, Baugenehmigungen für neue Anlagen auch außerhalb der Vorranggebiete zu beantragen, "im Vorgarten", wie es der CDU-Politiker Thomas Gottweiss befürchtet.

Tatsächlich ist der Ansatz der Union nicht nur eine Regelung rechtlicher Details, die in den Worten Gottweiss' "keinen großen Einfluss haben wird auf die Entwicklung der Windkraft in Thüringen." Sondern es ist der Versuch, der Windkraft weitere Steine in den Weg zu legen durch die Schaffung neuer bürokratischer Regeln und rechtlicher Unklarheit. Bislang hat das Bundesland nur rund 0,5 Prozent seiner Landesfläche für Windenergie ausgewiesen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollten es aber mindestens zwei Prozent sein. 

Dass es geeignete Flächen auch im Freistaat gibt, wo Natur und Menschen nur wenig gestört werden, hat eine Forschungsgruppe des Instituts für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover (LUH) vergangenes Jahr gezeigt. Die Union aber hofft offenbar, sich mit ihrem Vorschlag bei den Protestlern gegen die Windkraft beliebt zu machen.

Dort, wo es solche Bürgerinitiativen gegen Windräder gibt, etwa in der Kleinstadt Schleusingen, offenbaren die Gegner teilweise, worum es eigentlich geht. "Wir Menschen brauchen auch noch Lebensraum für uns", sagt beispielsweise der Schleusinger CDU-Stadtrat Klaus Brodführer. Energie sei enorm wichtig, deshalb müsse zuallererst dafür gesorgt werden, dass immer eine Grundlast zur Verfügung steht. Windstrom, das wisse jedes Kind, stehe nicht immer zur Verfügung. Deshalb sollte die Politik auch weiter auf Atomstrom setzen.

Brodführer offenbart sich damit als Anhänger einer Zentralwirtschaft, in der wenige Großkraftwerke Elektrizität für alle produzieren. Dieses System, ideologisch eng verwandt mit der zentralen Planwirtschaft der DDR, hat sich in der Praxis aber als extrem unflexibel erwiesen. Die Existenz der Großkraftwerke verhindert den Zubau kleiner Erzeugungsanlagen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite profitieren und auch nur wenige Eigentümer von zentralistischen Strukturen.

Statt die Art und Weise zu kritisieren, mit der nun der Ausbau der Windenergie vorangetrieben wird – Ausschreibungsmodelle, bei denen nur große, finanzstarke Projektierer zum Zuge kommen können – lehnen viele Kritiker die Erneuerbaren ab mit Argumenten, die sich auf alte Konzepte stützen, von denen die Kritiker selbst gar nicht profitieren. Was hat eine Schleusinger CDU davon, wenn die Bürger ihres Ortes ihre Stromgebühren weiter an ferne Großkonzerne überweisen? 

Die Gemeinde Zschadraß in Sachsen ist in Mitteldeutschland leider nach wie vor ein Ausnahmebeispiel dafür, was die Energiewende eigentlich sein könnte. In Zschadraß ließ die Gemeinde Anfang der 2000er unter anderem selbst ein Windrad und ein Blockheizkraftwerk bauen. Seitdem profitieren ihre Bürger von der Wertschöpfung, die am Ort gehalten wird. Dass sie dabei auch das Klima schonen, ist für die Zschadrasser ein angenehmer, aber nicht entscheidender Aspekt.

In Thüringen versucht die Regierung mit weiteren Gesprächen den Streit zu entschärfen. Derweil arbeitet die Bundesregierung daran, die Abstandsregeln der Länder insgesamt unwirksam zu machen. Das überbrückt vielleicht rechtliche Hürden, löst aber nicht das Akzeptanzproblem an sich. Und das stellt auch bei den Ausschreibungen ein echtes Problem dar, wie die Bundesnetzagentur erst kürzlich feststellen musste. Bei ihr gingen deutlich weniger Angebote für neue Projekte ein, als erhofft, da deren Entwickler hohe Hürden durch den teilweise starken Widerstand vor Ort bemängeln.

🗓 Klimatermine

SAMSTAG, 11. JUNI, AB 10 UHR, CHEMNITZ

Sächsische Jugendklimakonferenz 2022 unter dem Titel "Wir.Machen.Klima." Bei der Veranstaltung können Schülerinnen und Schüler unter anderem mit dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf und dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer diskutieren.

SAMSTAG, 11. JUNI AB 18 UHR, MAGDEBURG

Magdeburger lange Nacht der Wissenschaften, unter anderem mit Veranstaltungen zu Elektromobilität, Endlagerung von Atommüll oder zur Waldbrandforschung. Das vollständige Programm gibt es auf dieser Webseite.

MONTAG, 13. JUNI BIS MITTWOCH, 15. JUNI, LEIPZIG

Erste Leipziger Klimabuchmesse in Präsenz, unter anderem in der Universität Leipzig, im Gohliser Schlösschen und bei Halle 5 e.V.. Auftakt am Montag um 18 Uhr im Audimax der Universität mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Mobilitätsexpertin Katja Diehl. Das vollständige Programm finden Sie hier.

MONTAG, 13. JUNI, 17-18.30 UHR, ONLINE

Podiumsdiskussion "Klimakrise als demokratische Herausforderung" an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Leitfrage: Wie kann die Gesellschaft für den notwendigen, umfangreichen Umbau zur Klimaneutralität gewonnen werden? Podiumsgäste: Prof. Claudia Dalbert (Leibniz-Institut für Psychologie, Trier), Prof Barbara Praetorius (Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin), Prof. Ortwin Renn (Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), Potsdam) und Prof. Insa Theesfeld (MLU Halle-Wittenberg). Mehr Informationen finden Sie hier.

MONTAG, 13 JUNI, 17-19 UHR, UFZ LEIPZIG UND ONLINE

20. Helmholtz Environmental Lecture (HEL) mit Prof. Maja Göpel: "Aufbruch in eine nachhaltige Zukunft - Warum wir unsere Welt neu denken müssen." Über den Weg aus der Krise in eine Nachhaltige Gesellschaft. Um eine Anmeldung über die Webseite wird gebeten.

DONNERSTAG, 16. JUNI, IN DRESDEN

An der TU Dresden findet wöchentlich die "Grundvorlesung ökologische Nachhaltigkeit – Klimakrise: Ursachen, Auswirkungen, Lösungsansätze". Sie ist offen für alle Interessierten. An diesem Tag wird es um das Thema "Nachhaltige Ernährungssysteme: Food Systems Transformation" gehen.

📰 Klimaforschung und Menschheit

Umweltsatellit Copernicus: Fünftwärmster Mai seit 1991

Daten des europäischen Umweltüberwachungsprogramm Copernicus zeigen: Der Mai war weltweit der fünftwärmste seit 1991, zusammen mit den Maimonaten 2018 und 2021. In Südwesteuropa hat eine Hitzewelle in diesem Monat zahlreiche Temperaturrekorde gebrochen. Auch andere Gebiete der Welt, darunter Nordindien und die USA, erlebten Extremtemperaturen, berichten die Forscher im Klima-Bulletin für den Monat Mai

Stopp aller Emissionen würde zunächst zu schnellerer Erwärmung führen

Selbst wenn alle menschengemachten Emissionen, die das Klima beeinflussen, sofort gestoppt würden, könnte die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 42 Prozent 1,5 Grad erreichen. Das geht aus einer neuen Simulationsstudie hervor. Die Forschenden fanden auch, dass ein sofortiger Emissionsstopp zunächst wohl sogar mit einer schnelleren Erwärmung einhergehen würde, weil der Kühlungseffekt durch Aerosole aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas ausfiele; erst nach einigen Jahren würde die globale Temperatur dann sinken. Die Untersuchung einer Gruppe um Michelle Dvorak von der University of Washington in Seattle ist in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" erschienen. (dpa)

Studie: Wärmeliebende Insekten profitieren regional vom Klimawandel

Der Klimawandel schreitet fort und birgt für Menschen, Tiere und Pflanzenwelt vor allem Schwierigkeiten. Einige wärmeliebende Arten profitieren in bestimmten Regionen allerdings auch, wie Forschende der Technischen Universität München (TUM) in einer Studie zeigen. Hierfür haben sie das Datenbanksystem der Artenschutzkartierung (ASK) am Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) ausgewertet, das rund 3,1 Millionen Artnachweise in Bayern umfasst.

In ihrer Studie konzentrierten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Bestandsanalyse von gut 200 Insektenarten - konkret 120 Schmetterlinge, 50 Heuschrecken und 60 Libellen. Demnach zeigte sich durchweg, dass die wärmeliebenden Arten in ihrem Bestand zunahmen, während das Vorkommen von Arten, die an kühlere Temperaturen angepasst sind, zurückging. (dpa)

Satellitenbilder zeigen: Alpen werden immer grüner und schneeärmer

Die globale Erwärmung sorgt dafür, dass die Alpen jenseits der Baumgrenze immer grüner werden. Bei fast 80 Prozent der Flächen ist das so. Zugleich hat die Schneedecke um fast zehn Prozent abgenommen. Das haben Schweizer Forscher anhand von Satellitenbildern der zurückliegenden 38 Jahre nachgewiesen, berichten sie im Fachblatt Science. Mehr dazu bei MDR WISSEN.

Studie: Abschaltreihenfolge der Kohlekraftwerke sollte geändert werden

Eine neue Studie der Thinktanks "Energy Brainpool" im Auftrag der "Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy" hat dargelegt, wie ein idealer Kohleausstieg in Deutschland bis 2030 gelingen könnte. Bei dem vorgeschlagenen Weg sei die Versorgungssicherheit trotz Abkehr von russischen Energielieferungen bis 2030 gewährleistet. Notwendig sei aber, zuerst ineffiziente Braunkohlekraftwerke und Tagebaue stillzulegen und moderne Steinkohlekraftwerke erst zum Schluss, heißt es in einer Mitteilung an die Presse.

📻 Klima im MDR

👋 Zum Schluss

Die FDP hat in den Koalitionsverhandlungen eine verbindliche Geschwindigkeitsbegrenzung für Autos verhindert. Die Deutsche Umwelthilfe ruft jetzt unter dem Titel "Für immer unter 30" alle Bürger dazu auf, in ihren Heimatorten einfach selbst für Tempolimits zu sorgen. 

Sie müssen nichts weiter tun, als die auf der Webseite der Umwelthilfe bereitgestellten Formulare auszufüllen und bei ihrer Kommunalverwaltung einzureichen. Anträge von Bewohnerinnen und Bewohnern hätten oft bessere Aussichten auf Erfolg, als die Verwaltungen zugeben würden, so Silvia Ernst, Autorin eines Gutachtens im Auftrag der Umwelthilfe.

In diesem Sinne: Viel Erfolg!

Herzlichst
Ihr Clemens Haug