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MDR KLIMA-UPDATE | 11. Februar 2022Sprechen und Schreiben über – das Unbegreifliche

11. Februar 2022, 11:00 Uhr

Klimakrise ist nicht einfach ein Thema für Journalistinnen und Journalisten – es ist eine Herausforderung, vor allem für den Regionaljournalismus. Denn der Klimawandel, seine Auswirkungen und die gesellschaftliche Transformation ist ein Hyperobjekt. Nachdenken über den richtigen journalistischen Umgang mit der Klimakrise.

Einen schönen guten Tag! 

was Sie hier lesen, ist der E-Mail-Newsletter vom MDR. Den bekommen diejenigen ganz automatisch ins Mailfach, die ihn abonniert haben, weil sie sich für Klima-Themen interessieren. Sollte so ein Newsletter Pflichtlektüre sein? Sollten unsere Radio- und Fernsehkollegen, unsere Kolleginnen und Kollegen bei den Tageszeitungen auch jede Woche eine Klimasendung machen? Medien und das Klima: Darum soll es heute gehen.

Umweltzerstörung und Transformation

Den großen Bogen schlägt die MDR-Doku "Umwelt in Ostdeutschland – Von der Katastrophe zur Chance?"

Der Film "Umwelt in Ostdeutschland" aus dem vergangenen Oktober zeigt, wie in Ostdeutschland die Umweltbewegung nach der Wende über die gleichen Themen wie wir heute gesprochen hat:

  • den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft,
  • den Kohleausstieg,
  • die Transformation von Mobilität, Industrie und Landwirtschaft,
  • das Verhalten der Menschen.

Ein toller Film über das sogenannte Bitterfeld-Syndrom, das "ökologische Katastrophengebiet", über Zehntausende Arbeitslose, ein langfristig sauberes Atmen und einen landschaftlich grüneren Osten.

Die Folgen der begangenen Umweltsünden sind bis heute spürbar: Fast 20 Prozent der Gesamtfläche Ostdeutschlands gelten bis heute als Altlast. Ist die Transformation im Osten eine gute Vorbereitung auf die Klima-Transformation? Stellen sich die Menschen, die am eigenen Leibe schwerste Umweltzerstörung erlebt haben, den neuen, globalen Gefahren für Umwelt und Klima besonders stark entgegen? Oder wiegen eine gesunde Wirtschaft und ein sicherer Arbeitsplatz im Zweifel schwerer als die Sorge um die ökologische Zukunft

Als ich in den Film reingeschaut habe, habe ich mich an einen Schreck erinnert, den mir mein Papa als Kind eingejagt hat, als er mir irgendwann in den 1980er-Jahren nach einem Fernsehbericht mal gesagt hat: "Die Menschheit richtet sich noch selbst zugrunde."

Das ist mehr als 30 Jahre her. Was habe ich, was haben wir seitdem getan?

Wie reden wir mit unseren Kindern heute darüber? Wie reden wir als Journalisten über das Klima?

Eine E-Mail: Das Klima muss man suchen

Benjamin Zeising aus Erfurt hat mir Anfang der Woche eine E-Mail geschrieben. Die zwei für mich zentralen Sätze darin:

  • "Wer nicht gerade Ihren Newsletter abonniert hat und nicht pünktlich zur Themenwoche einschaltet, dem wird es doch sehr, sehr einfach gemacht, die immer, immer weiter voranschreitende Klimakatastrophe vollständig auszublenden oder zumindest als verharmlost präsentiert zu bekommen."
  • "Was läuft da verkehrt bei den Redakteuren und Redakteurinnen und Programmverantwortlichen des MDR, dass um das Thema Klimakatastrophe (in der 'Primetime') so ein riesen Bogen gemacht wird?"

Er verweist auf die Klimanews von FM4, dem Jugendkultursender des ORF. Dort gibt es wöchentlich Klimanews (hier ein Beispiel). Am liebsten hätte Benjamin Zeising, dass jeden Tag vor der Tagesschau Klimaberichte laufen.

Ich habe ihm zugestimmt. Aber nicht, weil eine einzelne, bestimmte Sendung fehlt (vermutlich sind die Tagesschau-Zuschauer sogar die bestinformierten, aber eben auch "nur" elf von 81 Millionen Menschen in Deutschland), sondern weil ich glaube, dass auch der Journalismus Schwierigkeiten mit der Klimakrise hat.

Ein Gedankenexperiment: 

Wie sähe zum Beispiel die Titelseite einer Tageszeitung aus, die nur alle 50 Jahre erscheint?

Timothy Morton, ein US-amerikanischer Philosoph und Literaturwissenschaftler, hat den Klimawandel schon vor Jahren als das dramatischste Beispiel eines Hyperobjektes bezeichnet – eines Problems, mit dem wir konfrontiert sind, das sich nicht nur unserer Kontrolle, sondern auch unserem Verständnis zu entziehen scheint, weil es räumlich und zeitlich nicht begrenzt ist.

Klimawandel ist so groß und allumfassend – das kann nicht nur eine Sendung oder eine Redaktion behandeln.

Reden wir richtig über den Klimawandel?

Dazu habe ich mit Antonia Mielke Möglich von der Uni Leipzig gesprochen. Dort beschäftigt sie sich mit Rezeption und Wirkung von Nachhaltigkeits- und Klimawandelkommunikation.

Ihr persönlicher Eindruck des tagesaktuellen Journalismus: "Mir fehlt oft der Bezug zu dem Sozialen. Wer trägt die Verantwortung? Der globale Norden? Die Wohlhabenden?" Es würde zwar über Katastrophen oder Risiken berichtet, aber oft würde nur das Problem beschrieben und keine Lösung gezeigt, sagt Mielke Möglich.

Was Klimawandel bedeutet, sei in großen Teilen vor allem medial erfahrbar und hochkomplex, sagt sie. Vielleicht ist diese Komplexität ein Problem bei der Berichterstattung. Mielke Möglich spricht auch die kognitive Dissonanz an.

Die erleben wir alle, wenn wir unser Wissen nicht mit unseren Gefühlen und unserem Handeln in Einklang bringen können (Ein Beispiel: Der Raucher, der zur Entspannung raucht, obwohl er weiß, dass er seiner Gesundheit schadet).

Vielleicht ist die Komplexität also nicht nur eine Herausforderung für den Journalismus, sondern für uns als Menschheit? Dabei wollen Journalisten das Komplexe seit jeher "einfacher" machen. Toralf Staud und Nick Reimer machen das in ihrem Buch "Deutschland 2050" ziemlich konkret.

Sie sagen, es wird mehr heiße Tage in Deutschland geben und betrachten jede einzelne absehbare Auswirkung:

  • Dachgeschosswohnungen und Wohnungen mit großen Fenstern werden zu heiß – Hitzewellen werden Menschenleben kosten.
  • Städte müssen kühler werden – Welche Baumarten sind die richtigen?
  • Tropische Krankheiten verbreiten sich in Deutschland – Das wird Menschenleben kosten.
  • Trockene Böden nehmen kein Wasser mehr auf – Das wird auch in Deutschland zu Konflikten führen.
  • In einer wärmeren Ostsee entwickeln sich gefährliche Bakterien – Das wird Menschenleben kosten.
  • Der deutsche Wald wird mediterraner – wenn die Pflanzen die Frosttage überstehen.
  • Anstieg der Nord- und Ostsee – Sturmfluten werden Menschenleben kosten.
  • Schienen und Autobahnbeläge gehen kaputt, Flüsse trocknen aus – Irgendetwas ist im Verkehr und der Wirtschaft immer unterbrochen.
  • Stürme, Fluten, Wetterextreme gefährden kritische Infrastruktur – das gefährdet Menschenleben.
  • Staaten, die der Klimawandel schwerer trifft, können sich keine Produkte aus Deutschland leisten – das gefährdet Arbeitsplätze hierzulande.
  • Es wird mehr Waldbrände geben – das wird direkt und indirekt Menschenleben kosten.
  • Hitzestress bei Kühen, neue Schädlinge für Äpfel und Kirschen – Bauern sind herausgefordert

Klimakrise also ziemlich konkret bei uns in Deutschland. (Und das war nur die Hälfte der Themen im Buch!)

Vielleicht sollten wir beginnen, die Klimakrise mit der gleichen journalistischen Kraft zu bearbeiten wie die Corona-Krise? Auch Corona kann ja als Klima-"Thema" erzählt werden.

Während sich unser Planet weiter erhitzt, wird auch die Debatte um Lösungen zunehmend hitzig. Aber wer engagiert sich eigentlich in dieser Debatte? Und wie lässt sich damit umgehen, dass wissenschaftliche Befunde zum Klimawandel missverstanden oder verfälscht werden? Meine Kollegin Inka Zimmermann hat die Online-Tagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der TU Ilmenau beobachtet.

Die Kommunikationswissenschaftlerin Antonia Mielke Möglich sagt:

Wir können nicht einfach nur weitergehen, sondern wir müssen wirklich radikal Dinge verändern. Und dafür reicht nicht, wenn wir zum Beispiel einfach über die Entwicklung des Strommarktes berichten.

Antonia Mielke Möglich, Uni Leipzig

Sie hat ein paar Tipps, wie sich besser über die Klimakrise kommunizieren lässt:

  • Die psychologische Distanz überwinden: Themen nahbarer und erfahrbarer machen und von vor Ort berichten, was genau die Klimakrise mit dem Publikum zu tun hat.
  • Die Perspektive auf Erfolge lenken: Was klappt, welche sozialen Gruppen sind wie aktiv, welche guten Beispiele gibt es?
  • Die Themen einordnen: In Berichten den Kontext nennen und die Transformation der Gesellschaft aufzeigen.
  • Die Konfliktlinien aufzeigen: Werden Elitenmeinungen reproduziert, kommen zum Beispiel auch Teenager zu Wort?

Der letzte Punkt ist besonders spannend, denn Kommunikation ist ja ein Austausch und setzt einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess in Gang, kann das regionale Wissen von Laien und die Meinung von Teenagern einbeziehen. Vielleicht gibt es dafür im Journalismus noch nicht die richtigen Formate. Aber wissen Sie, wo Austausch eigentlich gehen sollte? In sozialen Medien!

(Um gute Beispiele geht es auch beim Umweltpreis Sachsen-Anhalt. Wenn Ihnen also ein besonders vorbildliches Projekt oder ein herausragender Mensch aus Sachsen-Anhalt aufgefallen ist – dann nominieren Sie ihn oder sie doch einfach für den Umweltpreis.)

Das sagt das Team des MDR Klima-Updates

Sie sehen: Als Teil der Gesellschaft muss sich auch der Journalismus an den Klimawandel anpassen. Soll, darf oder muss Journalismus dabei eine Haltung haben? Klar ist ja:

Journalismus allein kann keine Probleme lösen. Das können nur Menschen durch ihr Handeln tun.

Ich glaube, gerade Regional- und Lokaljournalisten sind besonders herausgefordert, weil sie sowohl konkret "Stories" aus dem Stadtteil oder Landkreis des Publikums liefern sollen, aber gleichzeitig das Hyperobjekt Klimawandel berücksichtigen müssen.

Aber weil ich ja nicht der einzige Mensch bin, der Ihnen ab und an das MDR Klima-Update schickt, habe ich meine Kolleginnen und Kollegen um ihre Meinungen zu Journalismus und Klima gebeten:

Gerald Perschke

Klimakrise, Klimaveränderung oder Klimawandel: Ich benutze das Wort, das passt. Wenn Forscher Aussagen zum Klimawandel treffen, dann ist das das Wort. Trotzdem kann im nächsten Absatz Klimakrise vorkommen, wenn es um die Folgen geht. Der tagesaktuelle (Alltags)Journalismus muss eine angemessene Klimaberichterstattung leisten. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei. Die Latte für Medienhäuser hängt hoch und wir müssen noch trainieren.
Der Klimawandel betrifft uns alle, aber trotzdem nicht jeden auf die gleiche Weise. Allgemeine Aussagen helfen daher selten. Wen trifft was konkret? Wer muss handeln? Wo ist die oder der Einzelne gefragt, wo geht es nur im gesellschaftlichen Konsens?
Persönlich kann man mit vielen kleinen Schritte handeln und nicht in Angst erstarren: Regional konsumieren, Solardach, Fahrrad, E-Auto (mieten statt besitzen) Und das wissen wir ja nicht erst seit heute.

Julia Heundorf

Ich glaube, der Journalismus leistet seit Jahren eine angemessene Klimaberichterstattung. Seit Jahrzehnten wird immer wieder über Klimawandel, über die Notwendigkeit von Umwelt- und Klimaschutz berichtet – vor allem in langen Formaten. Ich persönlich sehe auch die Dringlichkeit, weiter darüber zu berichten. Im Journalismus geht es dennoch meist um Neuigkeiten und Aktuelles. Das ist die Krux: Der Klimawandel ist immer aktuell, aber nicht wirklich neu. Dieses Problem betrifft nicht nur die Berichterstattung, sondern auch die Nachfrage nach Informationen dazu. In den letzten Jahren hat das Thema nochmal deutlich Schwung bekommen – auch weil Fridays for Future und andere Initiativen und Aktive Anlass zur Berichterstattung geben. Es gibt neue Perspektiven auf das Thema – und neues Interesse.

Das Thema geht alle Menschen an. Aber die Rückmeldungen von Nutzerinnen  und Nutzer sind unterschiedlich:

  • Einerseits gibt es – vor allem auf diesen Newsletter – viele Rückmeldungen von Menschen, die selbst sehr im Thema stehen, sehr kritisch unsere Arbeit verfolgen und bewerten – bei denen man merkt, sie nutzen unsere Angebote als eine Quelle von vielen. Sie geben Impulse für die Berichterstattung.
  • Andererseits werden bei Social Media oft Ressentiments zum Thema geteilt. Man merkt in den Kommentaren oft, dass es nur oberflächliches Wissen und viele Vorbehalte gibt. Ein Beispiel: Unter einem Foto der Brockenbahn wurde neulich sehr viel kommentiert, weil das Foto den Rauch der Lok in Szene gesetzt hatte. Es war ein hübsches Nutzerbild, das wir ohne Bezug zum Thema Klimawandel oder Umwelt geteilt hatten. Dennoch war ein großer Teil der Kommentar zum Thema Diesel- und E-Fahrzeug, Greta Thunberg und der Partei "Die Grünen" – viele davon zynisch oder gehässig.

Florian Zinner

Klimakrise, Klimaveränderung oder Klimawandel: Das kommt ganz auf den Kontext an. In den meisten Fällen sprechen wir aber ganz automatisch von einer Krise. Denn das ist das, worauf Veränderung und Wandel in diesem Fall hinauslaufen. Hm, ich glaube, ich spreche fortan mehr von Krise.

Obwohl der Klimawandel und die -krise keine neuen Themen sind, ist die Berichterstattung mittlerweile umfangreich geworden. Sie spiegelt derzeit den Nachrichtenwert im Umfang der gesellschaftlichen Debatte wider. Wichtig ist, dass sie auf dem jetzigen Niveau auch dann bleibt, wenn es der Gesellschaft mal grad wieder nicht so wichtig ist, übers Klima zu sprechen. Ach ja: "Klima vor acht" fände ich cool.

Die Frage ist, ob Journalistinnen und Journalisten gut ausgebildet sind. Klima und Umwelt sollte ein wesentlicher Bestandteil der journalistischen Ausbildung sein.

Ich lebe in Breiten, in denen die Auswirkungen des Klimawandels vorerst recht angenehm sind. Die Auswirkungen spüre ich dann erst mal höchstens darin, dass die Gemüsepreise im Bioladen etwas angehoben werden. Dass Klimawandel in seinen vielfältigen Auswirkungen auch in Mitteleuropa nichts Angenehmes ist, zeigen die hiesigen Wälder und der vergangene Sommer. Ansonsten versuche ich meinen Alltag so anzupassen, wie es sich halbwegs verantwortungsbewusst anfühlt: Fahrradfahren, kein Fleisch futtern usw. und bin froh, dass ich mir das aussuchen kann.

Clemens Haug

Ich glaube nicht, dass zu wenig über den Klimawandel berichtet wird. Es fehlt an der Diskussion darüber, warum es uns als Menschheit offenbar so schwer fällt, mit der Zerstörung des Klimas aufzuhören. Warum spielt die Verbrennung fossiler Brennstoffe für unsere Energiegewinnung und unsere Mobilität immer noch so eine große Rolle? Warum brauchen wir überhaupt ständig neues Wirtschaftswachstum? Liegt es nur daran, dass wir nicht genug davon überzeugt sind, dass mehr Nachhaltigkeit und weniger Verbrauch und Zerstörung besser wären oder sind es die tiefen, systematischen Grundlagen unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft, die den Wandel bremsen oder sogar verhindern?

Ich kann Ihnen sagen: Der überwiegende Teil der Online-Artikel, Radio- oder Fernsehbeiträge von MDR WISSEN haben einen Klimabezug.

Trotzdem lese ich aus den Sätzen der Kolleginnen und Kollgen, dass wir uns manchmal so fühlen wie in dem Netflix-Film "Don't Look Up". Er wurde in dieser Woche für den Oscar nominiert, die Verleihung ist am 27. März. Und auch mit dem Film haben wir uns schon beschäftigt: Wie realistisch ist der?

Ich habe mir übrigens gerade eine mobile Klimaanlage gekauft (Dachgeschoss!), Ökostrom kommt aus der Steckdose – und liebäugele mit einem Balkonkraftwerk. Was sich so locker schreibt, zeigt, wie gut es mir geht. Ich habe nämlich die Zeit und die Ersparnisse, mich anzupassen und auf das Schlimmste vorzubereiten und gleichzeitig auf das Beste zu hoffen.

Ein schönes Wochenende
Alles Gute!
Marcel Roth


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