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Spitzenforscher warnen:Klimawandel kostet Gesundheit - aber noch können wir handeln

09. November 2020, 11:42 Uhr

In Sachen Klimakrise ist es längst fünf nach zwölf sagt die Wissenschaft: Wird das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht eingehalten, wirkt sich das auf unsere Gesundheit aus, warnen Spitzenforscher der Dachorganisation der europäischen Wissenschaftsakademien. Sie fordern die Politik dazu auf, sofort zu handeln - um die Klimaziele einzuhalten und sich gleichzeitig Veränderungen vorzubereiten, die schon in vollem Gange sind. Was droht uns da?

von Kristin Kielon

Sebastian Vollmer ist eigentlich Professor für Entwicklungsökonomie an der Georg-August-Universität Göttingen. Zuletzt hat er sich allerdings intensiv mit dem Thema Gesundheit auseinandergesetzt: Als Vertreter der Deutschen Wissenschaftsakademie Leopoldina hat er am gemeinsamen Bericht von 27 europäischen Wissenschaftsakademien mitgearbeitet - also kein Appell von irgendwem, sondern von führenden Experten aus ganz Europa. Das Team hat zahlreiche unabhängige Studien analysiert. Der Aspekt der Auswirkungen der Klimaveränderungen auf unsere Gesundheit wird seiner Meinung nach in der Debatte bisher völlig vernachlässigt.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit sind nicht so präsent. Beim Thema Gesundheit werden vielfach Entscheidungen auf nationaler Ebene getroffen. Eine gemeinsame Herausforderung wie der Klimawandel würde koordinierte Entscheidungen und Absprachen auf europäischer Ebene erfordern. Das findet derzeit in der Form nicht statt.

Prof. Dr. Sebastian Vollmer, Uni Göttingen

Im Jahr 2050 jährlich 90.000 Hitzetote?

Dabei zeigen sich schon jetzt Auswirkungen: In Südeuropa etwa gibt es im Sommer bereits Hitzetote. Da Länge, Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen zunehmen, werde auch die Zahl der Todesfälle zunehmen, sagen die Forscher. Wird jetzt nichts unternommen, steigt in Europa die Zahl von voraussichtlich 26.000 Todesfällen im Jahr 2020 auf 90.000 im Jahr 2050, schreiben die Forscher. Lebten heute rund 30 Prozent der Weltbevölkerung in einer Region, in der Hitze für erhöhte Sterblichkeit sorgt, könnten es bei weiter steigenden Emissionen im Jahr 2100 ganze 74 Prozent sein. Gelinge es, den Treibhausgas-Ausstoß drastisch zu verringern, seien das nur 48 Prozent - und auch das ist fast die Hälfte der Weltbevölkerung.

Gesundheitsgefahren sind bekannt, aber wen kümmert's?

So ähnlich ist es mit den meisten aufgeführten Gesundheitsgefahren im Bericht: Sie sind irgendwie bekannt, aber wie sehr sich die Situation offenbar verschärfen würde, überrascht dann doch. Aber die Fakten seien unumstritten, sagt Professor Dr. Sebastian Vollmer.

Man kann wirklich von einem Konsens der Wissenschaft in Europa sprechen. Die Übereinstimmung der Wissenschaft ist doch erheblich groß. Also viel größer als die Übereinstimmung in der öffentlichen, politischen Debatte. Also die wissenschaftliche Evidenz ist sehr, sehr klar.

Prof. Dr. Sebastian Vollmer

Tropenkrankheiten - ganz ohne Flugreise

Dengue-Fieber, E-Coli-Infektionen - bisher eher Begleiterscheinungen bei Reisen in tropische Gefilde Bildrechte: Colourbox.de

Für erhöhte Gesundheitsgefahren sorgen dem Bericht zufolge unter anderem auch Extremereignisse wie Hochwasser oder Dürre. Das sei für Mitteleuropäer verstärkt mit Infektionskrankheiten verbunden. Studien deuteten darauf hin, dass wir bei steigender Temperatur häufiger Antibiotikaresistenzen ausbildeten. Nicht nur einst exotische Krankheiten würden dann zum Problem, wie etwa das Dengue-Fieber. Das wird durch Mücken übertragen und die fühlen sich schon jetzt in Südeuropa wohl und werden auf absehbare Zeit auch bei uns ankommen, so Vollmer.

Infektionen mit E-Coli, Salmonellen, Campylobacter oder Noroviren, gegen die es dann womöglich kaum ein Mittel mehr gebe, wenn jetzt nicht gehandelt würde, sind nur einige Beispiele, die der Bericht auflistet.

Dürren gefährden Ernährung Bildrechte: imago/Christian Ohde

Auch unsere Ernährung wird problematisch: Wenn Teile unseres Planeten unbewohnbar werden, Dürre herrscht und Wasser knapp wird, könne nicht genug Nahrung für alle Menschen produziert werden. Das zwinge Menschen zur Migration in weniger betroffene Gebiete, erinnern die Forscher an die Folgen. Auf dieses Szenario müsse Europa vorbereitet sein.

Die Kernaussagen des Berichtes sind: Der Klimawandel ist ein Fakt. Er ist von Menschen gemacht, er hat bereits jetzt Auswirkungen auf die Gesundheit in Europa und in der Welt. Diese Auswirkungen werden schlimmer, wenn wir nicht handeln. Aber die gute Nachricht ist: Wir können handeln. Wir haben die technischen Möglichkeiten Veränderungen herbeizuführen und alles, was es bedarf, ist politischer Wille.

Prof. Dr. Sebastian Vollmer

Die Frage sei nicht mehr ob, sondern wie wir den Prozess der Umstellung und der Anpassung an das veränderte Klima gestalten wollten. Eine CO2-freie Wirtschaft etwa könne Hunderttausende vorzeitige Todesfälle verhindern. Und das hat dem Bericht zufolge "oberste Priorität": Unsere Treibhausgas-Emissionen so schnell wie möglich zu verringern.

Dieses Thema im Programm:MDR aktuell | Radio | 04. Juni 2019 | 19:50 Uhr