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Ein Mitarbeiter des Gesundheitssystems in Brasilien versucht mit Rauch gefährliche Mücken zu bekämpfen, die das Dengue-Fieber übertragen. Bildrechte: imago/Imagespic Agency

Pandemien durch ErwärmungRegelmäßige Mückenplagen: Exotische Krankheiten breiten sich durch Klimawandel aus

09. August 2022, 16:01 Uhr

Laut einer Metastudie wird mehr als die Hälfte aller bekannten Krankheitserreger durch den Klimawandel gefährlicher für Menschen, weil sich Überträger-Mücken ausbreiten und Menschen und Tiere dichter zusammenrücken.

von Clemens Haug

Der Klimawandel bedroht die Gesundheit der Menschheit nicht nur durch Hitzewellen, die das Herz-Kreislauf-System von älteren Menschen überlasten. Die Erwärmung der Erdatmosphäre wird auch die Übertragung von mehr als der Hälfte aller bekannten Krankheitserreger wahrscheinlicher und zudem Krankheitsverläufe bedrohlicher machen. Das ist das Ergebnis einer neuen Metastudie des hawaiianischen Forschers Camilo Mora und seines Teams, die heute in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" erschienen ist.

58 Prozent der bekannten Krankheiten werden durch den Klimawandel gefährlicher

Gerade erst hatte Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, davor gewarnt, das Infektionskrankheiten wie Dengue oder das West-Nil-Virus aber auch Malaria in Deutschland (wieder) heimisch werden könnten. Diese Krankheiten werden von Mücken übertragen, die sich Deutschland aufgrund der steigenden Temperaturen nun als Lebensraum erschließen. Die Asiatische Buschmücke oder die Asiatische Tigermücke etwa siedeln sich seit einigen Jahren bei uns an. Und auch die Mücken, die es hier schon lange gibt, werden nun Überträger für Krankheiten wie das West-Nil-Virus, das nun regelmäßig Tiere und immer wieder auch Menschen nach Mückenstichen infiziert.

In der jetzt in "Nature Climate Change" veröffentlichten Studie haben Camilo Mora und Kollegen von der University of Hawaii systematisch 830 Arbeiten anderer Forscher ausgewertet zu mehr als tausend Wegen, auf denen sich Krankheiten durch den Klimawandel weiter verbreiten könnten. Dazu zogen sie die offizielle, behördliche Liste mit 378 für die Menschen relevanten Pathogenen (Krankheitserreger) heran. Bereits bei 218 (58 Prozent) davon konnte in mindestens einer Studie nachgewiesen werden, dass sie durch Extremwetter und Klimaveränderungen gefährlicher geworden sind.

Zerstörung von Lebensräumen: Tiere drängen in menschliche Siedlungen

Larven von Stechmücken in ihrem Brutgewässer. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Die Forscher fanden dabei Hinweise für alle möglichen Arten von Pathogenen, von Viren wie Sars-CoV-2, über Bakterien, Pilze, andere Einzeller oder Gifte von Tieren und Pflanzen. Auch alle Übertragungswege waren vorhanden. Neben den bereits erwähnten Vektoren, also Überträgerarten wie Mücken, umfasst das auch die Aerosolübertragung wie bei Corona oder Erreger, die im Trinkwasser vorkommen können wie die Legionärskrankheit.

Die Auswertung zeigte zudem eine ganze Reihe problematischer Klimaeffekte. Zum einen schwinden durch Raubbau Wildlebensräume wie Wälder, was dazu führt, dass sich verschiedene Wirtsspezies auf engerem Raum drängen und dabei Pathogene austauschen. Mitunter nähern sich die Tiere auch den menschlichen Siedlungen an, da dies die letzten Räume sind, in denen sie Lebensgrundlagen wie Wasser und Nahrung finden. Solche Effekte gelten als Ursache für die Zunahme von Borreliose-, Dengue- der Malaria-Fällen.

Umgekehrt sorgen steigende Meeresspiegel und Überschwemmungen dafür, dass Siedlungen aufgegeben werden und die Menschen näher an die Lebensräume der Tiere heranrücken. Dies gilt etwa als Ursache dafür, dass das in Westafrika heimische Lassa-Fieber sich in den vergangenen Jahren weiter verbreitet hat.

Dürren könnten Mückenpopulationen zusetzen – oder regelrechte Brutstätten entstehen lassen

Renke Lühken, Leiter der Arbeitsgruppe Arbovirus-Ökologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg, war an der aktuellen Studie nicht beteiligt, beobachtet die Ausbreitung vieler Pathogene allerdings auch. "Dies ist besorgniserregend, da nur für wenige diese Erreger zugelassene Impfstoffe existieren."

Zwar sei bei vielen Krankheiten aus Lühkens Sicht noch nicht abschließend klar, wie sich eine Klimaveränderung auswirken werde. "Dürreperioden können beispielsweise die Prävalenz von Malaria oder des Chikungunya-Fiebers durch die Verringerung der Brutstätten von Stechmücken reduzieren. Aber in anderen Fällen kann Dürre zu einer erhöhten Dichte an Stechmücken in weniger Brutplätzen führen." Diese höhere Dichte wiederum könne regelrechte Brutstätten für Krankheiten entstehen lassen.

Denkste: Irrtümer des Alltags Von wegen, Tigermücke!

Bildrechte: imago images/Blickwinkel | imago images / Westend61

Gegenmaßnahme: Aggressive Minderung von Treibhausgasen

Anpassungsmöglichkeiten an diese Entwicklung gibt es nach Ansicht der meisten Forscher kaum. Natürlich sei es sinnvoll, Maßnahmen zur Vorbeugung zu entwickeln, so Renke Lühken, "beispielsweise zur Stechmückenbekämpfung. In Zentraleuropa können wir dabei insbesondere von den Ländern im Mittelmeerraum oder des globalen Südens lernen, die schon viele Jahre mit den sich aktuell ausbreitenden Krankheitserregern konfrontiert sind."

Doch aufhalten lasse sich die Entwicklung dadurch nicht. "Wie auch die Autorinnen in ihrem Abschlussstatement hervorheben, sind insbesondere aggressive Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgasemissionen notwendig, um die zukünftigen Risiken durch Krankheitserreger zu reduzieren. Parallel müssen Überwachungssysteme etabliert werden, um Änderungen in der Prävalenz der Krankheitserreger frühzeitig erfassen zu können."

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