"Alpensymphonie" Der Berg ruft - aber der Klimawandel verändert die Töne

18. Januar 2021, 13:52 Uhr

Der Berg ruft – im wahrsten Sinne des Wortes, denn Berge machen Geräusche. Die bringen jetzt bei schmelzenden Gletschern und wärmeren Temperaturen Erkenntnisse, was tief im Inneren des Gesteins vor sich geht. Diese Informationen können wichtig sein, um sich auf Abbrüche von Gipfelkuppen oder Handrutschungen vorzubereiten.

Hochvogel 5 min
Bildrechte: imago images/Kickner

Am Gipfel des Bergs Hochvogel im Allgäu klafft ein Riss. Ganze fünf Meter breit ist er und 30 Meter lang. Dieser Riss verändert sich ständig, haben Forscher des Geoforschungszentrums Potsdam mit Hilfe von speziellen Mikrophonen herausgefunden. Sie hören den Hochvogel-Berg ab – nicht nur, um rechtzeitig vor einem Abbruch warnen zu können, sondern auch, um zu verstehen, was am und im Berg am Tage und in der Nacht passiert.

Wir haben ein ganz sonores Brummen des Gipfels gemessen. Dieses Brummen entsteht dadurch, dass der Gipfel durch ganz verschiedene Quellen angeregt wird – durch Wind oder sehr entfernte Erdbeben.

Dr. Michael Dietze, Deutsches GeoForschungsZentrum

Michael Dietze ist Geomorphologe am Geoforschungszentrum in Potsdam. Bei der Geomorphologie geht es um die Form und die formbildenden Prozesse der Erdoberfläche. Und die kann er im Berg akustisch wahrnehmen, zum Beispiel in Form sirrender Töne. "Was sich so ein bisschen anhört wie das Geräusch eines Geigerzählers, sind die seismischen Signale von brechendem Fels über mehrere Wochen bis Monate hinweg", erklärt Dietze.

Wanderer sitzt auf Felsen, Aussicht vom Gipfel des Hochvogel
Ein Wanderer sitzt auf dem Hochvogel-Gipfel vor dem Riss im Berg. Bildrechte: hh

Ganze 2.592 Meter hoch ist Allgäuer Berg Hochvogel. Quer über seinem Gipfel klafft derzeit der Riss. Bricht der Gipfel auseinander, droht der Abgang von rund 260.000 Kubikmetern Gestein den Hang herunter. Das entspricht der Masse von rund 260 Eigenheimen. Grund für die Bewegungen im Berg ist der Klimawandel: Die höheren Temperaturen sind in Gebirgsregionen drei Mal stärker als im flachen Land. Die Folge dieses alpinen Temperaturanstiegs ist eine sogenannte Sedimentkaskade, also eine Kette von Mechanismen, die die Berge abtragen und das Gestein über die Hänge in die Flüsse transportieren. Und die bringen das Sediment wiederum bis ins Meer.

Und wenn wir wissen wollen, wie der Klimawandel diese Kaskade in seinen einzelnen Bausteinen verändert, dann müssen wir die Ursache, die Auslöser und die Abläufe solch großer Felsbewegungen besser verstehen können. Und der seismische Ansatz ist dazu ideal geeignet.

Dr. Michael Dietze, Deutsches GeoForschungsZentrum

Üerall in Deutschland steigen die Temperaturen in Folge des Klimawandels: im Erzgebirge, dem Thüringer Wald, dem Harz und in anderen Gegenden nimmt die Schneesicherheit inzwischen von Jahr für Jahr immer mehr ab.

Das ungebremste Aufheizen der Berggipfel und -hänge hat nicht nur Folgen für den touristischen Betrieb, sondern für die Berge selbst und die Menschen, die an den Bergen leben. Darum werden die Gipfel mit Geophonen abgehört, um nahezu in Echtzeit zu sehen, welche Vorgänge im Inneren der Felsmasse ablaufen, erläutert Dietze. Dieses zyklische Bewegen des Felses nenne man "stick slip motion" oder auch "Halten und Rutschen". Und er ergänzt: "Das ist ein ganz typischer Vorgang zur Vorbereitung von großen Massenbewegungen." Sieben Geophone umspannen derzeit den Gipfel des Hochvogel wie ein Netz mit 40 Metern Umfang. So können die Forschenden rund um die Uhr überwachen, was auf dem Gipfel des Hochvogels passiert. Der Berg, meint der Geomorphologe, schwinge nicht immer gleich, weder am Tag noch in der Nacht.

Wir haben in der Messzeit eine ganze Reihe von interessanten Signalen gemessen. Wie zu erwarten auch Erdbeben, kleine Blitzeinschläge, kleinere und größere Steinschläge, und eben auch die Schritte von Bergsteigern, die sich zum Gipfel aufgemacht haben.

Dr. Michael Dietze, Deutsches GeoForschungsZentrum
Kreideküste auf Rügen
Auch die Kreideküste auf Rügen kündigt Abbrüche akustisch an. Bildrechte: imago images/Shotshop

Um den Bergton hörbar zu machen, spielten die Forscher den sägezahnartigen Ton etwa 20 Mal schneller ab als in Echtzeit. So entstand der Ton C. Verändert sich der Ton durch das Absacken der Frequenz und steigt wieder an – also das "stick slip motion" – kann das ein Vorbote drohender Massenabbrüche sein. Doch die Forschungen sind nicht nur für die am Berg liegenden Dörfer wichtig – auch andere Landschaftsformen profitieren davon.

Beispielsweise haben wir so an der Kreideküste der Insel Rügen über zwei bis drei Jahre hinweg zeigen können, dass die Kliffrutschungen vor allem durch die Durchfeuchtung des Kliffs [...] passieren.

Dr. Michael Dietze, Deutsches GeoForschungsZentrum

Und diese Durchfeuchtung geschah zeitlich und räumlich unterschiedlich, ineinander verschachtelt, so der Geoforscher. Das machte die Hänge instabil.

Die Zeit drängt, denn Hänge rutschen immer öfter. Darum wollen die Forschenden am Geoforschungszentrum Potsdam in Zukunft die seismischen Anwendungen nicht nur auf andere Alpenbereiche ausweiten, sondern auch an weiteren Küsten hören, in welchen Stadien die Erosionsprozesse dort sind.

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https://www.mdr.de/mdr-garten/pflanzen/klimakrise-gehoelze-der-zukunft-100.html

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