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Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Oliver Killig

AnatomieWürden Sie Ihren Körper spenden?

23. Juli 2019, 09:49 Uhr

Die einen gruselt die Vorstellung, die anderen begeistert sie: Nach dem Leben Körperspender sein im Dienste der Wissenschaft. Warum werden Menschen Körperspender, andere nicht? War das schon immer Alltag in der Medizin?

Ohne Kurse in Anatomie ist in Deutschland ein Medizinstudium noch nicht denkbar: Weder Bücher noch Virtual-Reality-Brillen vermitteln das, was angehende Mediziner im Alltag, ob im OP-Saal oder in der Arztpraxis, brauchen: Umfangreiche Kenntnisse über den Körper, seine Organe und das Zusammenspiel aller Körperteile und ihrer Funktionen, bis hin zur kleinsten Zelle. Professor Ingo Bechmann, Direktor des Anatomie-Instituts der Universität Leipzig, erklärt, warum:

Man kann die Anatomie des Menschen nicht anders lernen als durch präparieren. Das jeder Körper anders ist, dass man sehr achtsam sein muss, wenn etwas nicht auftaucht, wo man es vermutet.

Ingo Bechmann

Wer lässt Studierende in seinen Körper gucken?

Es sind Freiwillige, die zu Lebzeiten eingewiligt haben, ihren Körper der Medizin zur Verfügung zu stellen. Eine 83-jährige Leipzigerin, erklärt im Gespäch mit MDR Wissen, warum: "Um der Menschheit zu helfen, um der Medizin zu helfen, dass alle Menschen, die eine Krankheit haben, dass sie das erforschen können und wissen, warum das geschehen ist und deshalb machen wir das. Mein Mann war Körperspender und ich bin es auch." Ihr Mann war einer von insgesamt 152 Toten, die in diesem Juli in Leipzig bestattet wurden. Alle hatten ihre Körper der Medizin zur Verfügung gestellt und waren schon vor mehreren Jahren gestorben. Einmal im Jahr beerdigt die Universität die Körperspender in einer gemeinsamen Trauerfeier mit den Angehörigen. Immer sind auch hunderte Medizinstudenten dabei, wenn die Namen der Gestorbenen verlesen werden, denn ohne die Körperspender wäre das Medizinistudium nur halb so viel wert, oder wie Professor Bechmann es beschreibt: "Sie leisten einen unersetzlichen Beitrag für den Erhalt und den Fortschritt der Human- und Zahnmedizin."

Forschung an toten Körpern erweitert Medizinwissen

Dank der Bereitschaft von Menschen, sich nicht zu beerdigen, sondern erforschen zu lassen, werden medizinische Fortschritte möglich. Anatom Bechmann schildert das Beispiel eines Kollegen, der so eine neue Operationsmethode bei Muttermundkrebs entwickelt hat und diese anderen Chirurgen beibringt. Dafür braucht er echte menschliche Körper. Zweimal im Jahr zertifiziert er so gynäkologische Chirurgen aus der ganzen Welt in dieser Operationsmethode. An einem Präparat werden fünf oder sechs solcher Spezialisten ausgebildet. Sie operieren wiederum mit dieser Methode täglich mehrere Frauen. Bechmann rechnet vor: ein Körperspender kann dadurch 2.600 Menschenleben retten.

Das Tabu um den toten Körper

Angehende und ausgebildete Mediziner haben es heute leicht, denn Kurse, bei denen sie an toten Menschenkörpern arbeiten und üben, waren nicht immer möglich. Der flämische Medizinstudent Andreas Vealius hatte zum Beispiel 1536 heimlich die Leiche eines Hingerichteten seziert. Sein mehr als 600 Seiten starkes Buch mit zahlreichen Abbildungen - "De humani corporis fabrica libri septem" - Die sieben Bücher vom Bau des menschlichen Körpers - wurde zu einem Grundstein der modernen Medizin. Bis dahin galten tote Menschen aus religiösen und kulturellen Gründen als unanantastbar. Dieses Tabu ist längst Geschichte - wurde aber noch einmal heiß diskutiert, als Gunter van Hagens mit seiner viel besprochenen, in der ganzen Welt gezeigten aber eben auch umstrittenen "Körperwelten"-Schau in den 1990er-Jahren Schlagzeilen produzierte.

Endgültiger Abschied nach mehreren Jahren

Wer seinen Körper der Medizin spenden will, muss dies zu Lebzeiten schriftlich festhalten. Formulare dazu gibt es auf den Internetseiten an den Medizin-Fakultäten, die Prozedere und Bedingungen genau erklären. Von dieser Erklärung können potentielle Spender auch jederzeit zurücktreten, falls sie es sich anders überlegen. Je nach Universität fallen Kosten für den Spender an, zum Beispiel der Transport vom Todesort in die Klinik und die abschließende Beerdigung. Zwischen Todeszeitpunkt und endgültiger Abschiedsfeier liegen dann mehrere Jahre.

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Dieses Thema im Programm:MDR aktuell | Radio | 14. Juli 2018 | 08:20 Uhr