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Der Antrieb des Nanosatelliten setzt sich aus einzelnen Modulen zusammen, deren Anzahl und Zusammensetzung nach dem Baukastenprinzip variiert werden kann. Bildrechte: Morpheus Space GmbH

Autonom und kollisionssicherDresdener Startup: Weniger Weltraumschrott dank Mini-Satellitenantrieb

11. Juli 2020, 11:00 Uhr

Satellitenreste, Raketentrümmer und Metallteile – schätzungsweise 8.000 Tonnen Weltraumschrott treiben durchs erdnahe All. Hier wird der Müll zur Gefahr, denn bei einer Kollision kann selbst ein zentimetergroßes Objekt einen Satelliten abstürzen lassen. Der selbstlenkende Mini-Satellitenantrieb des Dresdner Startup Morpheus Space soll Abhilfe schaffen: Er kann Hindernissen ausweichen und den Satelliten am Ende seines Lebens vernichten. Macht das die Raumfahrt sicherer und nachhaltiger?

von Lea Schröder

Am Nachmittag des 12. März 2009 schrillt ein Alarm an Bord der Internationalen Raumstation ISS. Ein nur gut einen Zentimeter großes Stück Weltraumschrott befindet sich auf möglichem Kollisionskurs mit der ISS und rast in einer Geschwindigkeit von mehreren zehntausend Kilometer pro Stunde auf die Raumstation zu. Trotz seiner Winzigkeit würde ein Zusammenstoß mit diesem Objekt fatale Folgen haben – bei seinem Aufprall könnte das Metallstück wie das Projektil einer Schusswaffe die Außenhülle der ISS durchschlagen, den Druck im Inneren vermindern und so das Leben der Menschen an Bord gefährden. Die Besatzung flüchtet sich in eine Raumkapsel. Doch sie haben Glück: Das Metallstück fliegt an der ISS vorbei.

Im All wird’s eng

Laut Schätzungen bringt der Weltraumschrott im Orbit der Erde 8.000 Tonnen auf die Waage. Bildrechte: ESA

Vom Metallsplitter bis zum ausrangierten Satelliten – im Orbit schießen ungefähr 150 Millionen Objekte, Trümmerstücke und Fragmente in atemberaubenden Geschwindigkeiten um den Globus. Zwar sind davon nur 30.000 Objekte größer als zehn Zentimeter, doch selbst ein winziges Stück Weltraumschrott kann bei einer Kollision ernste Schäden anrichten.

Seit dem Beginn der Raumfahrt kreisen Überbleibsel von abgeschlossenen Missionen und inaktiven Satelliten durch den Kosmos. In den folgenden Jahrzehnten sorgte dessen zunehmende Nutzung für eine enorme Zunahme des Weltraumschrotts. Mittlerweile machen aktiv genutzte Satelliten und Raumfahrzeuge nur noch fünf Prozent der menschengemachten Objekte im All aus. Das Problem: Je mehr Objekte sich um die Erde bewegen, desto höher wird die Kollisionsgefahr. Und wenn zwei Objekte kollidieren, zersplittern sie in tausende neue Trümmerteile, die wiederum auf ihre eigene Hochgeschwindigkeitsreise um die Erde gehen.

Wenn dieser Lawineneffekt nicht gebremst wird, könnte laut ESA, die sich auf einen Bericht der OECD bezieht, "ein ökologischer Wendepunkt" erreicht werden, "der bestimmte Umlaufbahnen unbrauchbar machen könnte". Im Bericht wird ebenfalls vor den unmittelbaren Konsequenzen für die Menschen auf der Erde gewarnt: Wettervorhersage, Klimaüberwachung, Geowissenschaften und weltraumgestützte Kommunikation könnten stark beeinträchtigt werden, wenn dieser sogenannte "Kessler-Effekt" eintreten würde.

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Satelliten-Autopilot schützt vor Kollisionen

"In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sich die Anzahl an Satelliten um das zehn- bis zwanzigfache erhöhen", sagt Daniel Bock, CEO und Mitgründer des Dresdner Startups Morpheus Space GmbH. "Das Ausweichen und die Kollisionsvermeidung wird somit immer wichtiger." Aus diesem Grund haben er und sein Team einen Satellitenantrieb im Mini-Format konstruiert, der die Raumfahrt sicherer machen soll. Dafür wurden sie gerade von der Landesregierung Sachsens mit dem Sächsischen Gründerpreis ausgezeichnet.

Weltraumforschung 2.0Neue Technologien für die Raumfahrt aus Dresden

mit Video

"Wir haben die Forschung unserer Antriebe vor nahezu zehn Jahren an der TU Dresden begonnen", erzählt Bock. "Schließlich haben wir es geschafft, den weltweit kleinsten und effizientesten Satellitenantrieb zu entwickeln – seit 2018 ist er im All". Das Besondere an diesem Antrieb ist nicht nur die Größe, sondern auch der integrierte Autopilot, den das Unternehmen zukünftig anbieten möchte.

Mit zwei zusätzlichen Tools soll der Satellit eigenständig zum gewünschten Ziel navigieren, steuern und Hindernissen ausweichen. Ein Novum für kleinere Satellitenformate:

Wir geben auch den kleinsten Satelliten erstmalig die Möglichkeit, aktiv gesteuert zu werden und anderen Satelliten ausweichen zu können. Sie stellen dadurch keine Gefahr mehr für andere Satelliten dar – zuvor waren diese kleinen Satelliten vollständig unkontrolliert unterwegs.

Daniel Bock, CEO und Mitgründer Morpheus Space GmbH

Bocks Zunkunftsvision sind autonome Satelliten-Flotten, die synchron wie ein Fischschwarm durchs All gleiten: "Wir werden es auch ermöglichen, aus mehreren hundert Satelliten bestehende Konstellationen neu auszurichten und zu organisieren."

Schlanker Antrieb dank Metall-Treibstoff

In herkömmlichen Satelliten bahnt sich der meist gasförmige Treibstoff durch Drucktanks, Ventile und Gasleitungen seinen Weg, bevor er ionisiert wird und den Satelliten als Ionenstrahl antreiben kann. Der komprimierte Ionenstrahl-Antrieb von Morpheus Space spart Platz und Kabelsalat: Die Satelliten bewegen sich nicht mit Gas vorwärts, sondern mithilfe von Gallium. Das Metall wird in festem Zustand im Triebwerk gelagert und muss nur auf seinen Schmelzpunkt von dreißig Grad erhitzt werden, um zum Einsatz zu kommen.

Neben dem kleinsten Satellitenantrieb der Welt sieht selbst eine Getränkedose riesig aus. Bildrechte: Morpheus Space GmbH

Ein weiterer Vorteil des Antriebs ist seine Effizienz. Bereits mit sehr geringen Mengen des Galliums könne der Satellit seine Umlaufbahn vollständig verändern, so Bock. Wegen seiner höheren Dichte ist das Metall viel ergiebiger als Gas: Bereits eine fingerhutgroße Menge reicht aus, um ein Triebwerk 2.000 Stunden lang in Gang zu halten. So steht in den Antrieben genügend Treibstoff für die gesamte Lebenszeit des Satellitens bereit – einerseits für geplante und kurzfristige Missionen, andererseits für spontane Ausweichmanöver vor umherfliegenden Trümmern.

Die ausgedienten Satelliten gesellen sich nicht – wie üblich – zu dem restlichen Weltraumschrott. Wenn die Mission beendet ist, gibt der Antrieb dem Satelliten das letzte Geleit: Er verlässt mit dem verbleibenden Treibstoff den Orbit, um in der Atmosphäre der Erde zu verglühen.

Mission: Kosmos aufräumen und Ordnung halten

Da sich der Schrott im Weltall nicht einfach in Luft auflösen oder davonfliegen wird, muss er mit neuen Missionen entsorgt werden. Mittels einer Sonde möchte die ESA 2025 eine etwa hundert Kilogramm schwere Raketenoberstufe einfangen und in der Atmosphäre entsorgen. Dieses Projekt soll zentrale Erkenntnisse liefern, wie die Entsorgungsmissionen der Zukunft effizienter und günstiger werden könnten – der Preis dieser Mission beträgt stolze 120 Millionen Euro.

Die ClearSpace-Raumsonde soll eine Raketenoberstufe aus dem Orbit holen. Bildrechte: ClearSpace

Mit dem Einsatz selbstentsorgender Satellitenantriebe wie der von Morpheus Space kann der bereits vorhandene Müll zwar nicht reduziert werden, aber er trägt immerhin nicht zu dessen Vermehrung bei. Durch die autonome Steuerung wird das Risiko für Kollsionen, die in Lawineneffekten immer mehr Weltraumschrott produzieren, erheblich minimiert. Die Nutzung von kollisionsfreien und sich selbst entsorgenden Satelliten in Verbindung mit extraterrestrischen Müllabfuhr-Missionen könnte die Lösung sein, um unseren Orbit nach und nach aufzuräumen und dauerhaft in Ordnung zu halten.

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