KunstschneeWintersport nur mit Schneekanonen, Schneedepots und Bakterien?
Ruhpolding und Klingenthal wissen ein Lied davon zu singen: Ohne Kunstschnee keine Wintersport-Großveranstaltung. Aber wie entsteht dieser Kunstschnee eigentlich? Und ist er die Lösung im Klimawandel? Und was hat er mit Bakterien zu tun?
Wenn der Schnee von oben ausbleibt, dann nehmen wir eben Kunstschnee. Wer den Biathlon-Weltcup in Ruhpolding gesehen hat, könnte denken, dass es so einfach ist. Ist es aber natürlich nicht, wie man am Beispiel Klingenthal sieht, wo am selben Wochenende professioneller Wintersport stattfinden sollte. Der musste jedoch verschoben werden. Erst nach dem zusammenkratzen der Schneereserven gab es grünes Licht für das kommende Wochenende (21.-22. Januar). Weil auch im französischen Chaux-Neuve keine Wettkämpfe möglich sind, hatte der Internationale Skiverband FIS angeboten, dass Klingenthal einspringen könnte.
Das Problem ist, dass auch künstlich hergestellter Schnee einen Hauch von Winter braucht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit müssen mitspielen. Für eine sinnvolle technische Beschneiung, wie die Arbeit der Schneekanonen offiziell heißt, sind als Faustregel konstante leichte Minusgrade um etwa minus 2 Grad Celsius und weniger als 80 Prozent Luftfeuchte nötig. Wobei gilt: Je trockener die Luft, desto höher darf die Umgebungstemperatur sein.
Natürlicher Schnee im Zeitraffer
Im Prinzip funktioniert die Schneeproduktion per Kanone ganz genau wie die in der Natur, nur in viel kürzerer Zeit. Wasser wird unter Druck zerstäubt ("verdüst") und in die Luft geschleudert. Während ihrer kurzen Reise gefrieren die Wassertröpfchen, es bilden sich Schneekristalle.
Sehr gebräuchlich ist es, mit Niederdruck-Geräten zu arbeiten, wo das Wasser bzw. der Wasserdampf durch einen Propeller beschleunigt und durch zwei Arten von Düsen gepresst wird. Durch sogenannte Nukleatordüsen wird der Gefrierprozess beschleunigt, weil sich schon früher Eiskeime bilden, die dann zu Schneekristallen heranwachsen.
Das mit den Keimen, aus denen dann Kristalle werden, ist in der Natur ganz genauso. Nur ist die Reise des Schnees dort vom Himmel bis zur Erde so lang, dass sehr große Kristalle entstehen. Kunstschneeflocken wachsen dagegen kaum über die Größe eines kleinen Eiskorns hinaus. Dadurch hat eine Kunstschneedecke auch weniger Luftzwischenräume und fühlt sich als Wintersport-Unterlage härter an.
Bakterien-Zusatz bei höheren Temperaturen?
Seit 2016 ist die Wirkung des Bakteriums Pseudomonas syringae erforscht. Dieses hat eine äußere Proteinschicht, die für einen höheren Schmelz- bzw. Gefrierpunkt sorgt. Das Bakterium ist durch Wechselwirkung mit bestimmten Aminosäuresequenzen in der Lage, den Ordnungszustand und die Dynamik von Wassermolekülen zu beeinflussen. Auch nimmt die Proteinschicht Wärmeenergie aus dem Wasser auf und leitet sie in das Bakterium. Dadurch schließen sich die Wassermoleküle schneller zu einem Eiskristall zusammen.
So löst Pseudomonas syringae schon bei minus zwei Grad Celsius die Eisbildung in Wassertropfen aus. Bei natürlichem Schnee mit Kondensationskeimen aus Mineralstaub oder Ruß hingegen setzt der Gefrierprozess erst ab Temperaturen von etwa minus 15 Grad Celsius ein.
Das folgende kurze Youtube-Video zeigt die frostige Wirkung von Pseudomonas syringae im Reagenzglas in kürzester Zeit.
Ein Produkt, dass sich diese Eigenschaften bei der technischen Beschneiung zunutze macht, ließ nicht lange auf sich warten. Die Beigabe von "Snomax" macht die Schneeproduktion auch bei höheren Temperaturen möglich. Was wie ein Allheilmittel für Wintersportorte im Klimawandel klingt, könnte aber Gefahren für die Umwelt bergen. Zwar greift das Produkt auf abgetötete Bakterien zurück, die sich also nicht mehr vermehren können, aber noch ist die Unsicherheit groß, welche Auswirkungen die Eiweiße nach der Schneeschmelze auf Flora und Fauna haben. Schließlich ist es genau diese (wenngleich lebende) Bakterienart Pseudomonas syringae, die für großes Kastaniensterben und andere Krankheiten bei Pflanzen sorgen kann.
Greifbar wird die derzeitige Unsicherheit bei den unterschiedlichen Richtlinien in Wintersportländern. In den USA werden mit der Methode ganze Skigebiete beschneit, in der Schweiz und in Frankreich ist die Schneeherstellung mit Snomax auch erlaubt, in Deutschland und Österreich aber beispielsweise verboten. Hier darf bislang nur reines Wasser ohne Zusätze zum Beschneien verwendet werden. Aber wenn die Wintertemperaturen so hoch bleiben, wird der eine oder die andere sicherlich nochmal verstärkt über bakterielle Hilfe nachdenken.
Schneedepots nur punktuell sinnvoll
Der zurückliegende Biathlon-Weltcup in Ruhpolding war vor allem deshalb möglich, weil sogenanntes "Snowfarming" betrieben wurde. Das heißt, im vergangenen Winter wurde bei günstigem Wetter viel Kunstschnee hergestellt und dann "eingelagert". Dazu braucht man große Flächen, auf denen der Schnee angehäuft und mit Holzspänen, Styropor oder anderen isolierenden Materialien abgedeckt wird. So erreicht man, dass Anfang des nächsten Winters noch immer etwa 70 bis 80 Prozent der ursprünglich angehäuften Schneemenge vorhanden und nutzbar sind.
Diese Variante des Schnee-"Hortens" lohnt sich finanziell und logistisch aber nur für punktuelle Großveranstaltungen mit einem überschaubaren Schneebedarf für Langlauf- bzw. Biathlonloipen oder Sprungschanzen. Für alpine Pisten ist das nicht zu stemmen. Dort muss weiter tagesaktuell beschneit werden, wenn möglich.
Quo vadis, Wintersport?
Die aktuellen Bilder von schmalen weißen Bändern in ganz und gar nicht winterlicher Umgebung werfen bei Betrachtern unweigerlich die Frage auf, ob professioneller Wintersport und privater Skiurlaub denn überhaupt noch sein müssen.
Die einen bejahen das, vor allem jene, für die künstliche Loipen und Pisten gewissermaßen der letzte Strohhalm sind, um Passion, Profession oder einen ganzen Geschäftszweig überhaupt noch am Leben zu erhalten.
Andere verneinen es und verweisen auf die Absurdität, mit der Spaß und Kommerz in einer offensichtlich immer ungeeigneteren Landschaft künstlich am Leben erhalten werden.
Langfristig wird sich, bei fortschreitender Erwärmung, sicherlich einiges ändern müssen. Zumal Kunstschnee einen nicht unerheblichen Energie- und Wasserbedarf hat.
Interessant dabei ist aber, dass laut einer Studie, über die unsere Kollegen vom Bayerischen Rundfunk berichtet haben, der Energieaufwand für die Kunstschneeproduktion das "Kraut gar nicht so fett" macht, wie man vielleicht denkt. Betrachtet man den gesamten Tourismus in einem Skigebiet, dann entfallen auf die Beschneiung nur etwa vier Prozent des gesamten Energieaufwandes, auf die An- und Abreise der Touristen (meist individuell mit dem Auto) hingegen etwa 38 Prozent. Wenn man den Skiurlaub in Zukunft also nicht gleich ganz verteufelt, liegt bei An- und Abreise der Urlauber ein deutlich größeres Energiesparpotenzial.
(rr)
Dieses Thema im Programm:Das Erste | BRISANT | 18. Januar 2023 | 17:15 Uhr