Vermenschlichung, Infektionskrankheiten und Qualzucht Wie Menschen ihre Haustiere zu Tode lieben

19. Mai 2019, 06:00 Uhr

Unsere Haustiere werden geliebt und verwöhnt. Doch das kann für unsere vermeintlich besten Freunde sogar lebensgefährlich werden. Jedes Jahr kommen Tausende von ihnen auf mysteriös Weise ums Leben: weil sie rätselhaften Keimen zum Opfer fallen, krank gezüchtet oder aus falsch verstandener Tierliebe gequält werden. Dann landen Sie oft auf dem Obduktionstisch des Berliner Tierpathologen Achim Gruber. Der hat diesen still Leidenden in seinem Buch "Das Kuscheltierdrama" eine Stimme gegeben.

Er ist ein echter Social Media-Star: Doug the Pug ist wohl der beliebteste Mops im ganzen Internet. Unglaubliche 3,8 Millionen Menschen folgen ihm auf Instagram, eine Viertel Million auf Youtube. Doug ist aber nicht irgendein Mops, denn er trägt lustige Klamotten, dreht witzige Videoclips und trifft sogar Prominente. Und wie Doug röchelt und hechelt, finden seine Fans total niedlich. Ist halt typisch Mops! Doch was viele für "rassetypisch" halten, kann ein ernstes gesundheitliches Problem sein: Der Mops bekommt nämlich mit seiner kurz gezüchteten Nase oftmals schlichtweg nicht richtig Luft. Aber weil der Mensch es süß findet, wird es eben gezüchtet.

Es läuft etwas schief zwischen Haustier und Mensch

Manch einer dieser überzüchteten Hunde landet dann am Ende auf dem Obduktionstisch von Professor Achim Gruber, dem Direktor des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin. Auf seinem Obduktionstisch sieht er jeden Tag Schicksale von Haustieren, bei denen er den Drang verspürt, den Tierbesitzern und der gesamten Gesellschaft mal mitzuteilen, was schief läuft im Verhältnis zwischen uns und unseren Haustieren, sagt er.

Denn da liege nämlich einiges im Argen. Und während wir unsere Aufmerksamkeit auf den Schutz von Nutz- oder Wildtieren richten, leiden unsere Haustiere still vor sich hin, meint Gruber. Deshalb habe er auch "Das Kuscheltierdrama" geschrieben - mit Fällen aus seinem Alltag als Tierpathologe, die zeigen sollen, was schief läuft. Er wolle vor allem aufklären. "Ich habe oft den Eindruck, dass wir sie bei der Vermenschlichung von Haustieren und bei der Aufnahme in unsere Familie - oft werden ja auch Haustiere Sozialpartner - ihrer tierischen Natur berauben, ohne, dass wir es merken", sagt der Veterinärmediziner.

Wir glauben, dass diese Tiere dann in die Familie aufgenommen werden. Wir denken, dass wir sie dann auch wie Menschen füttern können, wie Menschen unterbringen können, dass sie auch sauber sind und hygienisch wie Menschen. Und im Rahmen dieser Vermenschlichung haben wir viele unserer Tiere um wesentliche Aspekte ihrer eigenen Natur und ihrer eigenen Bedürfnisse beraubt.

Prof. Dr. Achim Gruber, Freie Universität Berlin

So müssten beispielsweise Katzen unbedingt jagen oder Vögel fliegen, um gesund zu bleiben. Bei einer Obduktion kann Gruber Rückschlüsse auf eine ganze Menge an Details aus dem Leben der Tiere ziehen, erklärt er: Unter welchen Krankheiten sie gelitten haben etwa oder auch, wie sie gefüttert wurden.

Eine Katze frisst Trockenfutter
Katzen brauchen Fleisch. Vegetarische oder vegane Ernährung kann sie töten. Bildrechte: Colourbox.de

Am Beispiel Ernährung zeige sich das Haustier als vermenschlichter Sozialpartner und Projektionsfläche ganz eindeutig: "Wenn wir unsere Weltbilder in Bezug auf unsere eigene Ernährung zu sehr auf die Tiere übertragen." So erlebe der Veterinär es immer wieder, dass vegetarisch oder vegan lebende Menschen ihre Tiere, die eigentlich Raubtiere oder Fleischfresser sind, entgegen deren Natur völlig pflanzlich ernährten. "Und die können dann auch Mangelerscheinungen davon entwickeln und können sogar daran sterben.

Insbesondere Katzen sollte man auf keinen Fall vegetarisch oder vegan ernähren.

Prof. Dr. Achim Gruber, Freie Universität Berlin

Für die Fleischfresser kann diese falsch verstandene Tierliebe nämlich tödlich sein.

Mehr als 250 Krankheitserreger können übertragen werden

Die Vermenschlichung von Haustieren bringt für Tier und Mensch gesundheitliche Risiken mit sich: In seinem Buch berichtet Gruber etwa über Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden können. "Die bereiten uns auch zunehmend Sorge", erklärt er. Denn mit der Vermenschlichung von Tieren würden oft auch die wichtigsten Hygieneregeln nicht mehr beachtet. "Tiere schlafen im Bett, Tiere werden am Tisch gestreichelt – mit derselben Hand beißt man dann ins Brötchen", so Gruber.

Die Tiermedizin kenne heute weit über 250 Infektionserreger, die zwischen Tier und Mensch übertragen werden könnten, viele davon könnten sogar tödlich verlaufen. Der Fuchsbandwurm zum Beispiel sei ein Erreger, den Hunde, die viel im Wald sind, mittlerweile in ganz Deutschland beim Kuscheln an ihre Besitzer weitergeben.

Doch auch anders herum kann es gefährlich werden: Gibt zum Beispiel ein Mensch mit Herpes einem Chinchilla oder einem Kaninchen einen Kuss, kann das für das Tier das Todesurteil sein. Die Tierpathologen sprechen sogar vom Todeskuss.

Der Berliner Tierpathologe Prof. Achim Gruber lehrt mehreren Studierenden im Obduktionssaal das Sezieren von Tieren.
Der Berliner Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber bei der Lehre mit Studierenden. Bildrechte: Nadine Borau

Professor Reiner Ulrich hat sich jahrelang mit solchen Erregern beschäftigt. Seit April ist er neuer Direktor des Instituts für Veterinär-Pathologie an der Universität Leipzig. Sein Büro ist noch ziemlich leer, in der Ecke hat sich sein Hund für ein Nickerchen zusammengerollt. Auch er sieht in diesem Bereich ein mangelndes Problembewusstsein.

Das Wissen um die Gefahr durch meinen allernächsten Hausgenossen wird wahrscheinlich gar nicht so gesehen, weil mein Tier mein Familienmitglied ist und da denkt man nicht an solche negativen Möglichkeiten.

Prof. Dr. Reiner G. Ulrich, Universität Leipzig
Mann mit Hund im Bett
Der Hund hat im Bett nichts verloren, raten Veterinärmediziner. Bildrechte: colourbox

Wenn gerade die Geflügelpest in den Schlagzeilen sei, dann hätte jeder Angst, einen heruntergefallenen Spatz in die Mülltonne zu werfen, obwohl das Infektionsrisiko verschwindend gering sei. Aber wenn man eine Ratte aus einer illegitimen Zucht aus Osteuropa kauft, kann man sich da die Pocken mit reinziehen, so Ulrich. Auch der Leipziger kann bestätigen, dass es Besitzer gibt, die ihre Haustiere vermenschlichen. Manche würden ihnen wohl sogar das Wahlrecht zugestehen, scherzt er. Einen Trend könne er jedoch nicht erkennen.

Es gibt auch sehr viele sehr gut informierte Tierbesitzer, die sich aus Liebe zu ihrem Tier auch ganz gezielt informieren und sehr viel Ahnung haben und ihre Tiere sehr gut behandeln. Ich glaube das ist auch ein sehr großer Prozentsatz der Tierbesitzer.

Prof. Dr. Reiner G. Ulrich, Universität Leipzig

Kein Ende der Defektzucht in Sicht

Die gibt es natürlich, sagt auch sein Berliner Kollege Gruber. Doch in einem Punkt, gebe es von diesen verantwortungsvollen Haltern noch viel zu wenig: bei der Zucht. Die Defektzucht sei noch immer ein großes Thema – und das obwohl Tierärzte seit fast 50 Jahren versuchten aufzuklären.

Trotzdem würden etwa große Hunde immer größer, bunte immer bunter und Schnauzen immer kürzer: "Mit vielen von diesen Extremzuchten sehen wir auch eine Reihe von neuen Krankheiten, die diese Tiere auch wirklich belasten", sagt Tierpathologe Gruber. "Mit Schönheit ist häufig auch Taubheit verbunden und wir sehen eine ganze Reihe von genetisch bedingten Problemen - also Krankheiten, die bei den Tieren durch Zucht verursacht werden."

Zumindest beim Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) ist diese Botschaft angekommen. Hier hat man Belastungstests für Flachnasen wie die Französische Bulldogge eingeführt. Beim Mops werde derzeit gemeinsam in einem Pilotprojekt mit vier Universitäten erforscht, wie er gesund weiter gezüchtet werden könne.

Doch der Zuchtanteil des VDH an solchen Rassen sei relativ klein und es gebe auf dem Markt sehr viele schwarze Schafe, erklärt Geschäftsführer Jörg Bartscherer. "Die Leute, die bei uns im Verband züchten, die unterwerfen sich freiwillig strengeren Kriterien, weil sie den Anspruch haben, tierschutzgerecht zu züchten", sagt er. Bei der English Bulldog hätten sie vor einigen Jahren sogar mal einen Verein ausgeschlossen, weil die Zustände schlimm gewesen seien.

Ich denke, was ganz wichtig wäre und was es nicht gibt, wäre, dass von Züchtern Sachkunde verlangt wird, bevor die züchten dürfen.

Jörg Bartscherer, Verband für das Deutsche Hundewesen e. V.

Bisher brauchen nämlich nur gewerbliche Züchter eine behördliche Erlaubnis. Privat kann gezüchtet werden, was immer das Tierschutzgesetz erlaubt. Auch ein europaweites Zuchtregister würde sich Bartscherer wünschen, um problematische Fälle direkt auf ihren Ursprung zurückverfolgen zu können. Doch der Politik fehlt da offenbar der Wille, beklagt der VDH-Geschäftsführer.

Der Leipziger Tierpathologe Ulrich beruhigt in Sachen Defektzucht: Zumindest in Deutschland habe sich die Situation schon verbessert: "Also die Extremformen, die kommen bei uns nicht mehr vor", sagt er. "Da sind die Menschen schon sehr sensibel."

Unsere Tiere verstehen lernen

In Berlin beobachtet Achim Gruber dagegen, dass immer wieder unnötig Haustiere auf seinem Obduktionstisch landen, deren Tod hätte vermieden werden können. Ihn macht das wütend, sagt er, denn viele dieser Tiere hätten zu Lebzeiten still gelitten – obwohl sie geliebt wurden. "Wir müssen eigentlich mehr lernen, unsere Tiere da zu verstehen und uns in unsere Tiere hineinversetzen zu können", ergänzt Gruber. Das gelinge uns nicht immer, viele Menschen könnten sich ja nichtmal in andere Menschen hineinversetzen.

Und manchmal höre ich auch von den Patientenbesitzern: Mensch, ich weiß doch, wie es meiner Katze geht und ich verstehe meinen Hund vielleicht besser als meinen Partner und andere Menschen. Ich glaube, das ist oft nicht so. Ich glaube, viele Menschen machen sich da was vor.

Prof. Dr. Achim Gruber, Freie Universität Berlin

Und Hunde wie Doug the Pug – der lustige Mops aus dem Internet? Der dürfte für diese Theorie sprechen. Denn ob der wirklich Spaß an Verkleidungen und Video-Drehs hat, dürfte eher fraglich sein. Vielleicht würde er ja viel lieber mal ganz tief durchatmen?!

Buchcover von Das Kuscheltierdrama in hellblau mit einem Hund und einer Katze, die traurig nach oben schauen.
Bildrechte: Verlagsgruppe Droemer Knaur

Informationen zum Buch: Prof. Dr. Achim Gruber: "Das Kuscheltierdrama"
Erschienen bei Droemer Knaur
312 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-426-27781-2

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 19. Mai 2019 | 03:22 Uhr