Herkunft des Menschen Genetik: Mutter Neandertaler, Vater Denisovaner

Mindestens 13 Jahre alt soll sie gewesen sein, die Neandertaler-Frau, deren Knochen in Sibirien gefunden wurden. Forscher aus Leipzig und Kanada haben nun festgestellt: Der Vater war gar kein Neandertaler.

Knochenfragment aus Denisova-Höhle
Das Fragment aus der Denisova-Höhle in Sibirien war Teil eines langen Knochens. Bildrechte: Thomas Higham, University of Oxford

Ein kleiner Knochen ist es, nur wenige Zentimeter groß, den russische Archäologen im Jahr 2012 in der Denisova-Höhle in Russland ausgegraben haben. Weil sich aufgrund seiner Proteinzusammensetzung herausstellte, dass es sich um einen menschlichen Knochen handelte, kam er nach Leipzig an das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Und dort stellten die Forscher um Hauptautor Svante Pääbo fest, dass der unscheinbare kleine Knochen ein Geheimnis barg. Das haben sie nun in einer neuen Studie veröffentlicht: Das Knochenfragment stammt von einer Frau, mindestens 13 Jahre alt, deren Mutter eine Neandertalerin war, deren Vater aber einer anderen Menschengruppe angehörte: den Denisovanern. Und was nach Außerirdischen von einem weit entfernten Planeten klingt, ist in Wahrheit neben dem Neandertaler einer der nächsten Verwandten des heute lebenden modernen Menschen.

Von den Denisova-Menschen, die vor etwa 40.000 Jahren im Süden von Sibirien lebten, ist nicht viel bekannt. Alle wissenschaftlichen Nachweise stammen aus der Denisova-Höhle in Sibirien, genauer gesagt im Altai, einem mittelasiatischen Hochgebirge in der Grenzregion zwischen Russland, Kasachstan, der Mongolei und China. Dort fanden die Forscher bei Ausgrabungen immer wieder kleine Fragmente: ein Fingerglied eines Mädchens und zwei Backenzähne eines anderen Mädchens. DNA-Untersuchungen zeigten: Die Denisovanerinnen gehören zu einer eigenen Menschen-Art, die offenbar auch Kontakt zu anderen Arten wie dem Neandertaler hatte.

Eingang der Denisova-Höhle
Eingang der Denisova-Höhle in Sibirien, Russland. Bildrechte: Bence Viola, Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie

Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass Neandertaler und Denisovaner gelegentlich Nachwuchs miteinander gezeugt haben, doch ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Glück haben könnten, auf einen direkten Nachkommen der beiden Gruppen zu stoßen.

Viviane Slon, MPI für evolutionäre Anthropologie Leipzig, Autorin der Studie

Bis vor gut 40.000 Jahren lebten beide Hominiden-Gruppen in Eurasien - die Neandertaler im Westen und die Denosivaner im Osten. Den Forschungsergebnissen zufolge kam es dabei mehr als einmal zu Vermischungen. Dabei zeigen die Funde in der Denisova-Höhle: Die Denisova-Menschen müssen die Höhle in einem Zeitraum von 50.000 bis vielleicht sogar 100.000 Jahren immer wieder aufgesucht haben. Und mehr als einmal müssen sie dort oder in der Nähe auf Neandertaler getroffen sein und sich mit ihnen vermischt haben.

Menschen mischen sich gern

Ausgrabungen in der östlichen Kammer der Denisova-Höhle.
Ausgrabungen in der östlichen Kammer der Denisova-Höhle Bildrechte: Bence Viola, Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie

Den Forschern in Leipzig gelang es, DNA aus dem neuesten Fund, dem Knochenfragment, zu extrahieren und zu untersuchen. Und diese DNA zeigte, dass die Mutter zu den Neandertalern gehörte und der Vater - obwohl ein Denisovaner - ebenfalls mindestens einen Neandertaler-Vorfahren gehabt haben musste. Weiterhin zeigen die DNA-Sequenzen, dass die Mutter genetisch näher mit den Neandertalern in Westeuropa verwandt war, als mit denen, die in und nahe der Denisova-Höhle im Mittelasien gelebt hatten. Das beweist, so schreiben die Forscher, dass die Neandertaler zehntausende Jahre vor ihrem Verschwinden zwischen West- und Ost-Eurasien migrierten.

Es ist schon beeindruckend, dass sich unter den wenigen Genomen früher Menschen, die wir bis jetzt sequenziert haben, dieses Neandertaler-Denisovaner-Kind befindet. Neandertaler und Denisovaner hatten vielleicht nicht viele Gelegenheiten einander zu treffen. Aber wenn sie aufeinandergetroffen sind, müssen sie relativ häufig Kinder miteinander gezeugt haben – viel öfter als wir bisher dachten.

Svante Pääbo, Direktor Abteilung Evolutionäre Genetik, MPI für evolutionäre Anthropologie Leipzig

Sicht ins Tal von oberhalb der Denisova-Höhle in Sibirien, Russland
Sicht ins Tal von oberhalb der Denisova-Höhle in Sibirien, Russland Bildrechte: Bence Viola, Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. Februar 2018 | 06:20 Uhr