Mäuse embryonen
Stammzellforschung: Ein Maus-Embryo aus Stammzellen, ein natürlich gewachsener Maus-Embryo Bildrechte: Amadei and Handford

Stammzellforschung Maus-Embryonen aus Stammzellen gezüchtet

25. August 2022, 17:43 Uhr

Für Forschung wie Ethik gleichermaßen eine gewaltige Schlagzeile: Einem Forschungsteam ist es gelungen, aus Stammzellen Maus-Embryonen mit schlagendem Herzen und Gehirn zu züchten, ohne Ei, Samenzelle und Gebärmutter.

Ein internationales Forschungsteam hat aus Stammzellen Maus-Embryonen gezüchtet. Forscherin Magdalena Zernicka-Goetz erläutert, was ihr und ihrem Team von der Uni Cambridge und dem California Institute for Technology (kurz: Caltech) genau geglückt ist: "Unser Mausembryomodell entwickelt nicht nur ein Gehirn, sondern auch ein schlagendes Herz und alle Komponenten, aus denen der Körper später besteht."

Die Embryonen entstanden dabei ohne Ei-, ohne Samenzellen und ohne Gebärmutter. Benutzt wurden drei Arten von Stammzellen, die in der frühen Entwicklung von Säugetieren vorkommen. Die Gebärmutter ersetzte ein Inkubator, der die natürlichen Lebensbedingungen simulierte. Die Stammzellen wurden in der künstlichen Umgebung bis zu dem Punkt gebracht, an dem sie selbst miteinander agieren und sich mechanische und chemische Signale schicken. Biologin Zernicka-Goetz zufolge ist genau das der kritische Punkt einer jeden Schwangerschaft: "Wenn hier was schiefgeht, geht auch die Schwangerschaft schief." Die künstlichen Embryonen entwickelten sich in dieser künstlichen Umgebung nun bis zum 8,5. Tag und damit bis zur Hälfte der 19-tägigen Mäuseschwangerschaft. Der Inkubator wurde im Labor von Jacob Hanna am Weizmann-Institut in Israel entwickelt, Mitautor einer ähnlichen Studie, die aber mit anderen Zelltypen gearbeitet hatte.

Mäuse aus Stammzellen – synthetische Organe aus Menschen-Stammzellen?

Ob sich dies bei der Maus entwickelte Modell künstlich gezüchteter Embryonen auf den Menschen übertragen lässt, weiß man derzeit noch nicht. Ein Forschungsziel ist es in jedem Fall; nicht nur Forscherin Magdalena Zernicka-Goetz hofft das. So könnten zum Beispiel Organe aus menschlichen Stammzellen gezüchtet werden und das jahrelange Warten auf Spenderorgane überflüssig machen.

Dr. Michele Boiani leitet die Arbeitsgruppe "Mouse Embryology" am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Er sagt: "Technisch gesehen ist die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen aus meiner Sicht gut vorstellbar, obwohl die Bioreaktoren (Rollflaschen) nicht Tage oder Wochen, sondern Monate halten müssten. Das stellt eine fast unüberwindbare Herausforderung dar, es sei denn, die menschliche Entwicklung verläuft in vitro viel schneller als in vivo." Und er sieht einen weiteren möglichen Forschungs-Ansatz: Wenn das mit gesunden Stammzellen funktioniert, könnte das auch mit Mutationen getestet werden. Dann könnte man auch die Auswirkungen von Mutationen in den ersten Phasen der Entwicklung der Embryonen beobachten. Alles Dinge, die sich bisher im Verborgenen, in der Gebärmutter, abspielten.

Prof. Dr. Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein zufolge zeigt die Studie vor allem, dass es möglich ist, synthetische Embryonen bis in die mittlere Schwangerschaft zu entwickeln. Das heiße aber noch nicht, dass der nächste Schritt menschliche Embryonen sein werden. Die Züchtung dieser Embryonen sei um ein Vielfaches komplizierter.

Mäuse-Embyonen aus Stammzellen: Ein Meilenstein wie Klonschaf Dolly

Zwar beißt das Maus-Embryo noch keinen Faden ab, aber die Welt der Wissenschaft ist, was die Technik angeht, hellauf begeistert. Dr. Lluís Montoliu, Forschungsprofessor am Nationalen Zentrum für Biotechnologie in Madrid spricht von einer technischen Revolution, vergleichbar mit der Geburt des geklonten Schafes "Dolly". "Atemberaubend", sagt auch Dr. Michele Boiani in Münster. Sowohl, dass das Ganze ohne Gebärmutter funktioniert, als auch, dass die synthetischen Embryonen bis zur Hälfte der natürlichen Entwicklungszeit überlebten.

Vom Mäuse-Embryo zum Menschen-Embryo: Ethische Fragen vorher oder nachher?

Und was ist mit den ethischen Fragen? Biomediziner Michele Bouinai verweist auf die aktuellen Richtlinien für Stammzellforschung: Sie erlaubten zwar die Herstellung synthetischer menschlicher Embryonen, verböten aber deren Übertragung auf die Gebärmutter. Das galt bisher immer als wichtigste Barriere zur Verhinderung unethischer Experimente. Die aktuellen Mäusestudien machten sie zu einem zahnlosen Tiger, sagt Bouiani, sie zeigten, dass es auch ohne die Übertragung in eine Gebärmutter geht. Bleibt Bouiani zufolge die Frage: "Wie weit könnte die (humane) Organogenese in einer Rollflasche im Vergleich zu einer Gebärmutter gehen? Das ist meine Hauptfrage und Sorge. Zum Beispiel der Ansatz, dass allein aus Stammzellen rekonstruierte synthetische Embryonen das reproduktive Klonen von Menschen ermöglichen könnten, vor dem so viele von uns vor Jahren Angst hatten."

Forschung mit menschlichen Embryonen sollte erlaubt werden

Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen fordert: "Forschung an frühen menschlichen Embryonen in der Petrischale sollte in Deutschland erlaubt werden." Schon heute sei der menschliche Embryo nicht unter allen Umständen vom Gesetz geschützt. So dürften zum Beispiel frühe menschliche Embryonen in vitro verworfen werden. Die Kultivierung solcher Embryonen zu Forschungszwecken sollte in Deutschland möglich sein. Die Forschung könnte etwa dazu beitragen, die Ursachen von Unfruchtbarkeit oder die Entstehung von genetischen Mutationen besser zu verstehen.

Momentan jedenfalls zeigt diese Studie einen Technikansatz, der Einblicke in einen bislang komplett unsichtbaren Entwicklungsmoment von Säugetieren ermöglicht. Zellbiologe Dr. Jesse Veenvliet am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik sagt: "Ich bin sicher, dass es einen Wettlauf um die Herstellung der ersten menschlichen Strukturen geben wird." Angesichts der Unterschiede in der Entwicklung von Maus und Mensch werde das zwar nicht leicht sein. Für ihn sei die Frage nicht ob, sondern wann die Übertragung dieser Erkenntnisse mit Mausstammzellen auf menschliche Stammzellen erfolgen wird. Und er fragt sich: Kommt die Debatte angesichts der ethischen und rechtlichen Bedenken, die aufploppen, wenn es um die Herstellung ähnlicher menschlicher synthetischer Embryonen geht, vor oder nach der Embryonen-Herstellung? Ein wichtiger Fakt für die Debatte aus seiner Sicht: "Synthetische Embryonen haben kein organismisches Potenzial: Sie können nicht zu einer Lebendgeburt führen."

Links/Studien

Die Studie "Stem cell-derived mouse embryos develop within an extra-embryonic yolk sac to form anterior brain regions and a beating heart" lesen Sie hier im Original.

(lfw/msc)

Osteuropa

Logo MDR 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Lebende Roboter Video 4 min
Bildrechte: Courtesy Sam Kriegman, Josh Bongard, UVM
4 min

Wissenschaftler haben mit Hilfe von Froschzellen lebende Roboter gebautse winzigen 'Xenobots' können sich selbstständig bewegen, ein Ziel umkreisen und sich nach dem Schneiden selbst heilen.

Mo 13.01.2020 09:58Uhr 03:32 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/aktuell/lebende-roboter-100.html

Rechte: Courtesy Sam Kriegman, Josh Bongard, UVM

Video