Beitrag zur Ernährung einer wachsenden WeltbevölkerungKlimafreundliche Ernährung: Proteine und Vitamine aus dem Bioreaktor
Forschenden der Uni Tübingen ist es gelungen, aus Kohlendioxid und Hefe Proteine und Vitamine herstellen. Damit könnte künftig die Mangelernährung der wachsenden Weltbevölkerung gelindert werden – und das klimaneutral.
Die Vereinten Nationen erwarten bis 2050 fast zehn Milliarden Menschen auf der Erde. Schon jetzt werden fast 50 Prozent der Landfläche von der Landwirtschaft genutzt und etwa durch Düngung stark beansprucht. Die natürlichen Ressourcen sind also begrenzt. Noch mehr Flächen, auch für Vieh und den Anbau von Tierfutter, sind kaum mehr möglich.
"Wir müssen deshalb über Alternativen nachdenken, wie wir künftig verantwortungsvoller Nahrungsmittel herstellen können", betont die Tübinger Forscherin Lisa Marie Schmitz. Ihr ist wichtig, dass sie und ihre Kollegen die Landwirtschaft mit ihrem aufregenden Ansatz nicht ersetzen wollen. Sie haben lediglich eine weitere Eiweiß-Quelle entdeckt. "Wenn wir Menschen das direkt zu uns nehmen, brauchen wir keine zusätzlichen Tiere mehr, die heute vornehmlich die Proteine liefern."
Lebenswichtiges Vitamin B9 wird synthetisch produziert
Beim neuen Ansatz, der am Institut für Umweltbiotechnologie der Uni Tübingen entwickelt wurde, entstehen in einem ausgeklügelten Bioreaktor-System im Labor Proteine und Vitamin B9 aus Kohlendioxid, Wasserstoff und Sauerstoff sowie Strom aus erneuerbaren Quellen – mehr brauchen ein Bakterium und die Bäckerhefe kaum. Das lebenswichtige Vitamin B9, auch als Folsäure bekannt, kann dabei zusammen mit dem neuartigen Protein als vegane Grundlage für Fleischersatz dienen.
Zwar machen viele Mikroben optisch einen eher unspektakulären Eindruck, doch können sie eine riesige Vielfalt an Stoffen herstellen, was sich der Mensch zum Beispiel bei der Herstellung von Bier, Wein und Käse zunutze macht. "Wir hatten zuvor eine Power-to-Protein-Technologie entwickelt: Dabei kommen zwei verschiedene Mikroben nacheinander zum Einsatz: Ein Clostridium-Bakterium reduzierte Kohlendioxid mit Wasserstoff unter Luftabschluss zu Acetat, das die Bäckerhefe, ein Pilz, anschließend unter Luftzufuhr zu Proteinen umsetzte", erklärt Lars Angenent, der Leiter der Tübinger Umweltbiotechnologie.
Lebensmittelsicherheit muss noch untersucht werden
Dieses erste System funktionierte allerdings nur, wenn den Mikroben bestimmte Vitamine wie B9 zur Verfügung gestellt wurden. "Vom Protein allein kann sich der Mensch nicht ernähren", sagt Angenent. "Daher wollten wir Vitamin B9 mitproduzieren." Ziel sei es, nicht mehr Vitamine in den Prozess einzuspeisen, als man herausbekommt. Also tauschte das Team das Clostridium-Bakterium der ersten Stufe gegen das Bakterium Thermoanaerobacter kivui aus, das genügsamer ist und die bei der Acetatherstellung benötigte Folsäure selbst bilden kann. Die Bäckerhefe produzierte im zweiten Schritt solch große Mengen an Folsäure, dass sie genutzt werden kann.
"Bei unserem Produkt handelt es sich noch nicht um ein fertiges Lebensmittel, aber die Nahrungsmittelindustrie kann es dazu weiterentwickeln", sagt Angenent. Zunächst müssten vor dem Verzehr Stoffe aus der Hefe entfernt werden, die Gicht auslösen können. Außerdem muss das kleine Bioreaktor-System aus dem Labor in Anlagen eines viel größeren Maßstabs umgesetzt werden, was neue Probleme aufwerfen kann. Untersuchungen zur Lebensmittelsicherheit müssten folgen wie auch technische und wirtschaftliche Analysen zum Absatzmarkt solcher Produkte.
Ersatzprodukte könnten Ernährungslage verbessern
"Mir geht es vor allem um die Reduzierung des Fleischkonsums", betont Angenent. "Ich glaube, dass sich die Verbraucher an neue Produkte gewöhnen werden. Das geht auch über den Preis." So könne man den Anbau von Viehfutter stark reduzieren wie auch die klimaschädlichen Emissionen aus der Viehhaltung. Insgesamt werde aber sogar mehr Landwirtschaft gebraucht als bisher, ein möglichst ressourcenschonender Pflanzenanbau müsse ausgeweitet werden.
"Der wachsenden Weltbevölkerung droht Unterernährung vor allem in Ländern, die unter Dürren leiden und deren Böden zu wenig Nährstoffe enthalten. Da könnten solche Ersatzprodukte wie die von uns erzeugten die Ernährungslage verbessern", erklärt der Forscher. "Dass wir in unserem Bioreaktor-System mit einer hohen Rate gleichzeitig Proteine und Vitamine für nachhaltige vegetarische und vegane Produkte ohne nennenswerten Flächenverbrauch herstellen können, ist ein großer Erfolg auf diesem Weg."
Links/Studien
Die Studie "Power-to-vitamins: producing folate (vitamin B9) from renewable electric power and CO2 with a microbial protein system" ist im Fachjournal "Trends in Biotechnology" erschienen.
cdi/pm/epd
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 2 | 23. Mai 2024 | 14:00 Uhr
Kommentare
{{text}}