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Nach der Räumung sollen profesionelle Teams den Markt desinfizieren. Bildrechte: China News Service

Sars-CoV-2Corona: Detaillierte Hinweise auf Wildtiermarkt als Ursprung – aber kein Beweis

19. September 2024, 17:18 Uhr

Eine neue Studie hat alle Daten aus der Anfangszeit von Corona neu ausgewertet. Unabhängige Experten sehen in den Ergebnissen einen deutlichen Hinweis auf die Herkunft von Wildtieren. Der Beweis fehle aber weiterhin.

Am ersten Januar 2020 schlossen die Behörden der chinesischen Millionenmetropole Wuhan den Huanan Seafood Market, den berüchtigten Wildtiermarkt. Im Monat zuvor musste die chinesische Regierung eingestehen, dass eine Reihe teilweise tödlich verlaufender Lungenentzündungen von einem zuvor unbekannten Virus ausgelöst worden waren: Severe Acute Respiratory Syndrom Coronavirus Type 2, so der lange Name des neuen Coronavirus. Aber woher kam Sars-CoV-2 und wie war es zum ersten Mal auf Menschen übertragen worden? Über diese Frage wird seit Ausbruch der Pandemie heftig gestritten, endgültige Beweise für die eine oder andere These stehen bislang allerdings aus.

Michael Worobey. Bildrechte: Beatriz Verdugo/University of Arizona

Und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Ein Team der University of Arizona hat jetzt noch einmal alle Daten so detailliert wie möglich ausgewertet, die die chinesischen Forschenden nach der Schließung des Marktes von Böden, Wänden, Verkaufsständen und Wildtierkäfigen genommen hatten. Co-Autor Michale Worobey und seine Kollegen kommen auf dieser Basis zum Ergebnis: Fast alles spricht für die These, dass das Virus durch Wildtiere auf den Markt gelangt ist und dort erstmals Menschen infiziert hat. Doch es gibt eben nur Hinweise, keine Beweise. Entscheidend dafür ist ein zentrales Problem.

Coronaviren auf dem Wildtiermarkt: Haben infizierte Menschen sie eingeschleppt?

"Der Grund ist, dass keine Proben direkt von Tieren genommen wurden, sondern dass erst nach Schließen und Ausräumen des Marktes Abstrichproben von Oberflächen genommen und getestet wurden", erklärt Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, der nicht an der neuen Studie beteiligt ist. "Hierbei besteht immer die Möglichkeit, dass so gefundenes Virus auch von infizierten Menschen stammt."

Im Januar 2020 gab es in Wuhan bereits eine ganze Reihe angesteckter Menschen. Besonders auf dem Markt zirkulierte der Erreger. Er könnte dort also vor allem von Menschen verbreitet worden sein, diese Möglichkeit kann kein Wissenschaftler ausschließen. Sehr wahrscheinlich sei das aber nicht, sagt unter anderem Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten an der Universität Genf, die ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war. Denn: Die mit Abstand stärksten Hinweise auf das Virus stammten aus Proben, die bei den Wildtierständen genommen worden waren.

Virusproben nah am genetischen Ursprung der Coronapandemie

Verschiedene Nachweismethoden fanden das Viruserbgut an den Ständen und auch in den Ablaufkanälen, durch die Urin und Kot der gehaltenen Tiere oder Schlachtblut abliefen. "Da sich die Menschen überall auf dem Markt bewegten, die Tiere aber nur in einer Ecke des Markes verkauft wurden, erscheint diese Häufung unplausibel für eine rein humane Eintragung, wie zum Beispiel durch einen Besucher", argumentiert Eckerle.

Für den Ursprung aus den Wildtieren sprechen auch die genetischen Eigenschaften der gefundenen Viren. "Das Virus, das in einigen der höchst verdächtigen Proben nachgewiesen wurde, liegt sehr nah an der rekonstruierbaren Ursprungsdiversität des Virus", sagt Christian Drosten. "Außerdem wurden beide Gründungslinien der Pandemie auf dem Markt nachgewiesen, was am besten durch mehrmalige Übergänge vom Tier auf den Menschen erklärbar ist."

Coronaproben von Januar 2020 zeigen nicht erste Übertragungen im November 2019

Das Problem: Hinweise sind eben keine Beweise. "RNA ist instabil, sodass die Verteilung der Virus-RNA in Proben von Anfang Januar wenig Aufschluss über eventuelle Übertragungen von Tieren auf Menschen liefern kann, die Ende November 2019 stattgefunden haben könnten", sagt Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel.

Dafür zeige die neue Studie auch Nachweise verschiedener anderer Tierviren, die teilweise aus entfernteren Regionen Chinas stammten. Das bestätige zum einen, dass es einen Fernhandel mit Wildtieren auf dem Markt gegeben habe und zum anderen, dass der Tierhandel insgesamt riskant sei, so Isabella Eckerle.

Marderhunde Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Mögliche Zwischenwirte für Sars-CoV-2 könne die neue Studie ebenfalls herausstellen. "In den Proben, in denen sich Sars-CoV-2-RNA befand, fand sich auch die DNA von Wildtierarten, die als mögliche Zwischenwirte infrage kommen. Darunter sind Tierarten, die bereits in den Jahren 2002/2003 beim ersten Sars-Ausbruch als Zwischenwirt eine Rolle gespielt haben, wie zum Beispiel Marderhunde, Schleichkatzen, als auch weitere Arten, die inzwischen als empfänglich für Sars-CoV-2 bekannt sind", sagt Eckerle. "Allerdings fanden sich in jeder Probe die DNA von mehreren Tierarten gleichzeitig, sodass man nicht eine einzige potenzielle Zwischenwirt-Art identifizieren kann."

Corona-Erbgut aus Zwischenwirt: Das fehlende Puzzlestück

Grundsätzlich fehlen direkte Proben aus Wildtieren, die auf dem Markt verkauft wurden. Auch von Wildtierfarmen oder von Jägern, die den Markt beliefert haben, sind keine Proben aus dem Herbst 2019 bekannt. "Genau solche Proben haben damals beim ersten Sars-Ausbruch in den Jahren 2002/2003 die Zwischenwirte für das Virus und die Märkte als Übertragungsort identifiziert", sagt Eckerle.

Nur eine solche frühe Tierprobe könnte das fehlende Puzzlestück liefern. Gesucht wird das Genom eines Sars-CoV-2, das genau die Brücke zwischen den Ursprungsviren in Fledermäusen und den späteren Ursprungsviren der Pandemie liefert. "Persönlich glaube ich nicht, dass man dieses Puzzlestück noch finden wird. Es ist einfach zu viel Zeit verstrichen", schätzt Eckerle ein.

Die Virologin hält es außerdem für möglich, dass es nur sehr wenige infizierte Zwischenwirte gab. "Genau so war es auch bei Sars-CoV in den Jahren 2002/2003, denn das Virus verschwand, nachdem man den Handel mit den Schleichkatzen auf den Märkten gestoppt hatte. Wenn man eine solche kleine Zwischenwirt-Population Anfang 2020 gekeult oder bei der Marktschließung vernichtet hat, dann existiert dieses Puzzlestück nicht mehr."

Lab-Leak versus Zoonose: Experten sehen keine Daten für Laborursprung

Neben dem Wildtiermarkt als Ursprung existiert weiterhin eine zweite Hypothese. Demnach könnte Corona in einem Labor im Wuhan Institut für Virologie gezüchtet und bei einem Unfall entkommen sein. Experten wie Christian Drosten halten diese Vermutung bislang aber nicht für schlüssig. "Zur Labor-Ursprungstheorie gibt es weiterhin keine wissenschaftlich überzeugenden Belege." Isabella Eckerle hält den Übergang von Wildtieren zwar nicht für bewiesen. "Gerade die Ähnlichkeiten zu dem ersten Sars-Ausbruch in den Jahren 2002/2003 sind allerdings frappierend, und lassen es in meinen Augen sehr wahrscheinlich erscheinen, dass im genau gleichen Szenario ein weiteres Sars-Virus eben ein weiteres Mal den Sprung geschafft hat."

Links/Studien

(mit SMC)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 02. Juli 2027 | 06:30 Uhr

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