Genome Editing Hühner könnten durch Gentechnik vor Vogelgrippe H5N1 geschützt werden
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15. Oktober 2023, 16:52 Uhr
In einer aktuellen Studie zeigen Forschende, dass es möglich ist, Hühner durch minimale Veränderungen an ihrem Genom resistenter gegen die Vogelgrippe zu machen. Die große Hoffnung ist, dass die genetische Veränderung künftig neben Kontaktvermeidung und Impfungen ein Ansatz sein könnten, um die H5N1-Vogelgrippe-Pandemie einzudämmen. Doch Fachleute sehen noch viele rechtliche und praktische Hürden.
Bisher sind Hühner dem Vogelgrippe-Virus H5N1 schutzlos ausgeliefert. Die Krankheit führt bei ihnen nach nur wenigen Tagen zum Tod. Wird das Virus in einem Bestand gefunden, müssen in der Regel alle Tiere getötet werden.
Das Virus hat sich außerdem an heimische Vögel angepasst und rafft hunderttausende Wildtiere dahin. Immer wieder müssen auch Hühner, Enten und Küken gekeult werden, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Bisher ist vor allem die Kontaktvermeidung mit Wildvögeln ein zentraler Ansatz im Kampf gegen das Virus. Außerdem ist es möglich, die Tiere zu impfen, was hierzulande und in der EU jedoch nur in Ausnahmefällen erlaubt ist. Die Forschung sucht deshalb intensiv nach weiteren Mitteln gegen die Vogelgrippe.
Nun macht eine neue Studie aus Großbritannien Hoffnung: Sie zeigt, dass Hühner durch genetische Veränderung resistent gegen das Vogelgrippevirus werden können. Damit könnten nicht nur bestehende Nutztierbestände vor der Vogelgrippe geschützt, sondern vor allem auch die Verbreitung des Virus eingedämmt werden. Bei der Studie handelt es sich um ein sogenanntes Proof-of-Concept, also um eine generelle Machbarkeitsstudie.
Austausch von Aminosäuren sorgt für Resistenz
Mittels Genom-Editierung haben die Forschenden das Wirtsprotein ANP32A verändert. Das ist das Protein, das essenziell für die Vermehrung des Virus in den Hühnern ist. Das Team tauschte zwei Aminosäuren des Proteins aus. Das Ergebnis: Bei geringer Viruslast infizierten sich neun von zehn genetisch veränderten Hühnern nicht. Bei steigender Viruslast habe die Resistenz jedoch abgenommen, so die Forschenden. Komplett schützen können sie die Tiere mit dieser Methode also nicht. Zwar wäre eine vollständige Resistenz theoretisch möglich, heißt es, aber dafür müssen alle drei Gene der Genfamilie ANP32 verändert werden. Das hätten Experimente in der Zellkultur gezeigt. Doch das Ausschalten aller drei Gene wäre für ein Huhn jedoch vermutlich tödlich, so das Forschungsteam.
Die Briten konnten jetzt also zeigen, dass es mittels Genom-Editierung prinzipiell möglich ist, resistente Geflügelsorten zu erschaffen. Doch auch hier gibt es Einschränkungen: In einem Leitfaden für die Umweltverträglichkeitsprüfung von gentechnisch veränderten Tieren der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wird auf Risiken hingewiesen. Demnach könnten solche Tiere eine längere Inkubationszeit haben und sich auch infiziert aktiver verhalten, wodurch mehr Krankheitserreger entstehen und diese länger übertragen werden könnten. Infizierte Tiere könnten demnach zu spät erkannt werden und womöglich nicht-genetisch veränderte Hühner anstecken. Außerdem könnte das Virus weiter mutieren und die Resistenz dadurch umgehen. Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, ob die Änderung im Genom möglicherweise negative Auswirkungen auf Tier und Mensch haben könnte, heißt es weiter. Das sei noch nicht ausreichend erforscht.
Studie zeigt auch Anpassungsfähigkeit der Viren
In der Fachwelt trifft die neue Studie auf großes Interesse. So sagt etwa Stephan Ludwig, Direktor am Institut für Molekulare Virologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, die Arbeit zeige gleichzeitig die Chancen und die Limitationen eines solchen Ansatzes auf. "Es handelt sich um eine sehr elegante Arbeit, die die entscheidende Wichtigkeit der ANP32-Genfamilie für die Vermehrung von Vogelgrippeviren in einem komplexen Organismus aufzeigt." Sie belege außerdem, dass eine gut durchdachte Gene-Editing-Strategie geeignet sein könne, um eine robuste Resistenz gegen Infektion zu erreichen. Die Resistenzen würden auch auf die Nachkommen vererbt. Allerdings zeige die Studie auch die große Anpassungsfähigkeit der Viren, so Ludwig, wenn diese bei hohen Viruslasten schon in diesen ersten Experimenten zu Durchbruchsinfektionen gekommen sei.
Ludwig merkt aber an, dass nicht sicher sei, ob die Genveränderung nicht doch Auswirkungen auf das Huhn habe. Die Forschenden hätten zwar eine Reihe von Experimenten durchgeführt, um zu zeigen, dass die Mutationen in ANP32A keine negativen Auswirkungen hätten, dennoch ist das Protein eines, das auch in nicht-infizierten Zellen eine Funktion habe, so Ludwig. "Es kann daher durchaus sein, dass man einen möglichen Einfluss auf den Organismus nur noch nicht erkannt hat, da er nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist."
Für Timm Harder, den Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik des Friedrich-Loeffler-Instituts, stellt sich auch die Frage nach der Effizienz des Ansatzes. Die Veränderungen hätten zwar Infektionen verhindert, wenn eine geringe Virusdosis genutzt worden sei, bei höheren Dosen sei die Resistenz jedoch durchbrochen worden. In der Masse der Viren hätten sich dann nämlich bereits Virusvarianten befunden, die Mutationen aufgewiesen hätten, um das veränderte ANP32A-Protein zu umgehen. "Im weiteren Verlauf stellten sich einige dieser Mutationen als identisch mit solchen heraus, die auch eine erhöhte Anpassung an Säuger beziehungsweise Menschen vermitteln können", erklärt Harder. Das sei ein kritischer Punkt, der darauf hinwiesen könne, dass Viren existierten, die weitere resistenzumgehende Mutationen entwickeln könnten.
Skepsis in Hinblick auf Praxis
Dennoch würden resistente Hühner gegen die Vogelgrippe-Ausbreitung helfen, glaubt Virologe Ludwig - auch wenn die weltweite Ausbreitung über Wildvögel passiere. "Falls die Erreger allerdings in eine Geflügelfarm eindringen, fungiert diese als Inkubator und es werden riesige Viruslasten erzeugt, die einer weiteren Verbreitung Vorschub leisten." Daher wäre eine robuste genetische Resistenz von Nutzgeflügel schon ein Weg, die Vogelgrippebelastung und die wirtschaftlichen Folgen einzudämmen, sagt Ludwig. "Für die so geschützten Vögel wäre das Virus aus dem Wildvogel keine Gefahr."
Doch die große Hürde, so glaubt der Münsteraner Ludwig, dürfte die Praxis sein: "Ohne die Erkenntnisse der Arbeit schmälern zu wollen, bin ich sehr skeptisch, ob ein solcher Ansatz tatsächlich mittelfristig in der Breite durchführbar ist", sagt er. "Wir reden ja hier von einer weltweiten Verbreitung genetisch veränderter Tiere, wobei der erforderliche Umfang an sowohl nötigen als auch tolerierten genetischen Veränderungen zur Erlangung einer robusten Resistenz noch überhaupt nicht klar ist." Ludwig sieht sowohl rechtliche als auch ethische Hürden - und auch Probleme bei der Akzeptanz des Ansatzes in der Bevölkerung. "Insofern ist die Arbeit zunächst einmal eine elegante akademische Fingerübung und noch weit weg von einer tatsächlichen Anwendung", bilanziert Ludwig.
Harder verweist in Hinblick auf die Praxis auf das EU-Recht. Demnach gelten Organismen, deren Genom mittels dem CRISPR/Cas-Verfahren verändert wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GMOs), erklärt er. "Ihre Nutzung bedürfte also einer gentechnischen Genehmigung und die Haltung wäre nach aktuellem Recht nur in einer gentechnischen Anlage möglich. Freilandhaltung wäre dann einem Freisetzungsvorhaben gleichzustellen." Um die gentechnisch veränderten Hühner in größerer Anzahl zu halten, wäre demnach eine rechtliche Anpassung nötig, so Harder.
Link zur Studie
Idoko-Akoh, Alewo et al.: Creating resistance to avian influenza infection through genome editing of the ANP32 gene family. Nature Communications 14, Article number: 6136 (2023). DOI: 10.1038/s41467-023-41476-3.
(mit SMC)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 04. Mai 2023 | 07:51 Uhr