Welt-Aids-Tag Früher, heute, morgen: Die Geschichte der Aids-Behandlung
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01. Dezember 2024, 08:00 Uhr
Als 1981 Aids vom amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) als eigenständige Krankheit anerkannt wurde, galt sie als tödlich. Heute gibt es zahlreiche Medikamente, die Aids zwar nicht heilen, aber ein quasi normales Leben ermöglichen. Anlässlich des Welt-Aids-Tags blickt MDR WISSEN zurück auf die Entwicklung der Medikamente und Therapien der letzten 40 Jahre – und was in Zukunft kommen könnte.
Dabei muss eines zunächst klargestellt werden: Eine flächendeckende Heilung für Aids existiert auch noch gut 40 Jahren Forschung nicht. Zwar gibt es immer wieder einzelne Fälle, in denen HIV-Erkrankte tatsächlich vollständig geheilt werden können – oftmals steckt dahinter aber eine aufwendige Stammzellentherapie. Die wird nur durchgeführt, wenn HIV-Patientinnen und -Patienten gleichzeitig an Blut- und Lymphknotenkrebs erkrankt sind. Beide Male geschah eine solche Therapie an der Berliner Charité, zuletzt wurde im Juli 2024 auf der Welt-Aids-Konferenz in München ein solcher Fall publik gemacht.
In allen anderen Fällen bedeutet eine Infektion mit HIV aber eine lebenslange Virenlast im Körper. Oder noch einfacher gesagt: Wer HIV hat, wird es immer haben. Vor allem in den 80er-Jahren glich diese Diagnose auch in der westlichen Welt einem Todesurteil. 1981 wurde Aids erstmals in den USA als eigenständige Krankheit anerkannt – von da an intensivierte sich auch die Forschung an Medikamenten.
1987: Das erste Medikament - Retrovir
Azidothymidin oder Zidovudin (AZT) wurde ursprünglich als Medikament gegen Krebs entwickelt, erlangte schließlich aber Berühmtheit als der erste Wirkstoff, der die Vervielfältigung von HIV stoppte. AZT ist ein nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI). Vereinfacht gesagt heißt das, dass AZT ein Schlüsselenzym des HI-Virus angreift und in seiner Aktivität hemmt. Das Schlüsselenzym, die Reverse Transkriptase, sorgt für die Vervielfältigung des Virus im menschlichen Körper. Erstmals konnte der japanische Virologe Hiroaki Mitsuya 1985 die Wirksamkeit von AZT nachweisen.
1987 kam AZT dann als Medikament unter den Namen Retrovir in den USA auf den Markt. Aids blieb eine tödliche Krankheit, es konnte aber die Lebenserwartung der Patientinnen und Patienten erhöhen.
Anfang der 90er-Jahre: Didanosin und Zalcitabine
Schon bald folgten weitere antiretrovirale Medikamente, die einen ähnlichen Effekt erzielten wie AZT. Didanosin und Zalcitabine wurden 1989 bzw. 1992 in den USA bereits vor der offiziellen Zulassung erstmals verschrieben. Beide Medikamente werden bereits seit einigen Jahren nicht mehr in der HIV-Behandlung verwendet, auch wegen ihrer starken Nebenwirkungen.
Mitte der 90er-Jahre: Resistenzen und Kombitherapie
Das HI-Virus hat aber eine Eigenschaft, die den Kampf gegen seine Verbreitung bis heute schwierig macht: Es mutiert unheimlich schnell. Auch wenn Erkrankte bereits einen einzelnen Wirkstoff nahmen, mutierte das HI-Virus immer wieder und wurde im Laufe der Zeit resistent.
Den großen Durchbruch gab es im Jahr 1996. Auf der 11. Internationalen Aids-Konferenz in Vancouver wurde erstmals die antiretrovirale Kombinationstherapie vorgestellt. Dabei wurden verschiedene Medikamente gegen HIV miteinander kombiniert. Die Konferenz und die dort präsentierten Erkenntnisse gelten als Wendepunkt der Aids-Behandlung: Von da an galt Aids nicht mehr als tödliche, sondern als chronische Erkrankung.
Späte 90er und 2000er: Neue Ansätze
Nach der Jahrtausendwende gab es immer wieder neue Ansätze, die das HI-Virus hemmten. Der erste Wirkstoff der NRTI-Gruppe, AZT, stoppte die Verbreitung der Viren. Selbiges galt für nicht-nukleosidale Reverse Transkriptase-Hemmer (NNRTI) – mit dem Unterschied, dass diese Hemmer an einer anderen Stelle des HI-Virus ansetzen. 1997 wurden die ersten Medikamente dieser Art in Europa zugelassen.
Bereits zuvor wurden die ersten Protease-Hemmer zugelassen, in Deutschland ab 1996. Auch die Protease ist ein Enzym des HI-Virus, das so in seiner Vervielfältigung gehemmt werden konnte.
Einen anderen Ansatz haben die sogenannten Fusions-Hemmer, die ab 2003 in der EU zugelassen wurden. Sie verhindern, dass das Virus und die Zellmembran verschmelzen.
2007 war ein weiteres Schlüsseljahr in der HIV-Therapie: Mit Maraviroc wurde im September der erste Entry-Hemmer zugelassen. Dieser Wirkstoff verhinderte, dass das HI-Virus überhaupt in die Körperzelle eindringt. Nur drei Monate später folgte Raltegravir, ein sogenannter Integrase-Hemmer. Die Integrase ist ein weiteres HIV-Schlüsselenzym und sorgt dafür, dass virales DNA-Erbgut in die Wirtszelle eingebaut wird. Seit 2021 verfügbar sind sogenannte Attachment-Hemmer, die ebenfalls ein Eindringen in die Körperzelle verhindern und unter anderem dann verschrieben werden, wenn gegen Entry-Hemmer bereits Resistenzen bestehen.
Heute: Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP)
So unterschiedlich die Medikamente auch in ihren Wirkungen sind, sie haben eine Gemeinsamkeit: Sie bekämpfen HIV, wenn es bereits im menschlichen Körper ist. Das änderte sich ab 2016 mit der Zulassung des Medikaments Truvada. Der in Tablettenform verabreichte Wirkstoff agiert prophylaktisch als sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP). PrEP wird an Nicht-Infizierte verschrieben, die ein höheres Infektionsrisiko haben. Die Einnahme erfolgt dabei täglich.
Noch nicht zugelassen und in Phase-III-Forschung befindet sich der Wirkstoff Lenacapavir, der ebenfalls ein PrEP ist. Statt einer täglichen Tabletteneinnahme erzielt Lenacapavir aber voraussichtlich den gleichen Effekt – mit nur zwei Injektionen pro Jahr, was die Prophylaxe erheblich erleichtern würde.
Plan 2030: Ende der Aids-Epidemie?
UNAids, ein gemeinsames Projekt der Vereinigten Nationen, möchte bis 2030 ein Ende der Aids-Epidemie erreichen. Fast 40 Millionen Menschen sind heute mit HIV infiziert, rund 10 Millionen erhalten noch keine lebensrettenden Medikamente. Allein 2023 sind 630.000 Menschen an der Krankheit gestorben.
Auch wenn vor allem in der westlichen Welt Aids keine tödliche Krankheit mehr ist; in vielen Ländern des globalen Südens bleibt sie nach wie vor eine große Gefahr. Dafür sorgen schlechter Zugang zu Bildung, aber auch zu Medikamenten. Die neuartige Lenacapavir-Spritze kostet etwa 42.000 Dollar pro Jahr, auch Truvada kostet monatlich zwischen 45 und 60 Euro.
Ob und wann Aids also besiegt ist, hängt wohl auch maßgeblich von der Verbreitung von Medikamenten und Therapien in ärmeren Ländern ab – und der weiteren Forschung. Denn je mehr Aids-Medikamente es gibt, desto mehr Kombinationen gibt es, und das HI-Virus kann schlechter resistent werden. Und natürlich bleibt auch die Hoffnung, dass Aids eines Tages vollständig geheilt werden kann.
sh
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 01. Dezember 2024 | 10:12 Uhr