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Aktuelle StudienKreatin – Mehr Leistung für die Muskeln und jetzt auch fürs Gehirn?

02. Oktober 2024, 13:09 Uhr

Kreatin ist eine Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindung, die im Körper in Leber und Niere mit Hilfe mehrerer Aminosäuren gebildet wird. Man kann Kreatin aber auch zuführen und damit die Leistungsfähigkeit der Muskeln ein wenig erhöhen. Aktuelle Studien legen nahe, dass der Stoff auch ein Booster für unsere geistige Leistung sein kann.

Sie haben noch nie von Kreatin gehört? Dann besuchen Sie vermutlich nicht regelmäßig ein Fitnessstudio. Dort ist das Nahrungsergänzungsmittel seit Jahren verbreitet. Diverse Fitness-Influencer sorgen derzeit in den Sozialen Medien für einen regelrechten Hype um die Substanz. Kreatin soll angeblich das am besten erforschte Nahrungsergänzungsmittel sein.

Ursprünglich wurde Kreatin im medizinischen Kontext erforscht

"Das stimmt definitiv", sagt Jürgen Gießing von der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau. Der Sportwissenschaftler erklärt, es liege daran, dass Kreatin eine medizinische Vorgeschichte habe. Während der Stoff im Körper eines gesunden Menschen selbst produziert wird, gibt es Menschen, bei denen das nicht der Fall ist. Ein damit verbundenes Krankheitsbild sei der Gendefekt Atrophia Gyrata. "Seit über 40 Jahren wird bei dieser Krankheit Kreatin als Medikament eingesetzt", erläutert Gießing. In dieser Zeit seien beispielsweise potenzielle Nebenwirkungen von Kreatin bereits gut erforscht worden. Erst zehn Jahre später wurde dann die Fitness-Community auf die Substanz aufmerksam.

Leistungssteigerung im Muskel

Bildrechte: Privat

Dort ist Kreatin derzeit sehr verbreitet, denn: Es kann die Muskelleistung steigern. "Am stärksten spürt man das bei kurzen, intensiven Belastungen", erklärt der Sportwissenschaftler: "Also beim Sprinten, beim Krafttraining, aber auch beispielsweise beim Bergsteigen." Kreatin wird als Kreatinphosphat im Muskel gespeichert. Normalerweise nutzt der Muskel Adenosintriphosphat (ATP). Das ist die Energiequelle, die ihm die Kraft gibt, sich zusammenzuziehen. Ist das ATP verbraucht, kann Kreatinphosphat quasi noch einen kleinen Extra-Schub geben. Die Effekte sind nicht riesig, aber gut belegt. "Man merkt dann, dass man beispielsweise beim Krafttraining plötzlich ein, zwei Wiederholungen mehr schafft mit einem Gewicht oder dass man als Läufer für den Endspurt noch etwas mehr Energie hat", erklärt Jürgen Gießing.

Weniger stark sei die Leistungssteigerung durch Kreatin beispielsweise beim Langstreckenlauf. Bei den meisten Ausdauersportarten wird die Energie im Muskel unter Zuhilfenahme von Sauerstoff generiert, man spricht in diesem Zusammenhang auch vom "aeroben Bereich". Kreatin wirkt hauptsächlich im sogenannten "anearoben Bereich", also wenn die Sauerstoffzufuhr nicht mehr ausreicht, um den Energiebedarf im Muskel zu decken.

Jürgen Gießing betont, dass aus seiner Sicht auch Ausdauersportler und -sportlerinnen von Kreatin profitieren könnten, weil es beispielsweise die Regeneration der Muskeln nach dem Training verbessere. Aber – was für Marathonläufer beispielsweise wichtig sein könnte – wer Kreatin supplementiert, muss mit einer Gewichtszunahme rechnen. Das liegt daran, dass der Stoff eine osmotische Wirkung hat. Reichert sich Kreatin im Muskel an, zieht es auch mehr Wasser ins Gewebe. "Der Effekt ist allerdings nicht dramatisch, es sind meistens nur ein paar hundert Gramm", erklärt der Sportwissenschaftler.

Kreatin ist im Fitnessbereich verbreitet, weil die Substanz die Muskelleistung verbessern kann. Bildrechte: IMAGO / Wirestock

Kreatin sollte nicht überdosiert werden

Im Gegensatz zu einigen anderen Nahrungsergänzungsmitteln reichert sich Kreatin (nicht zu verwechseln mit Keratin – das ist in Fingernägeln und Haaren verbaut) im Körper an. Die Kreatinspeicher kann man über mehrere Wochen auffüllen. "Bei angemessener Dosierung gibt es überhaupt keine unerwünschten Nebenwirkungen", sagt Jürgen Gießing. Probleme gebe es lediglich, wenn Kreatin überdosiert werde: "Das ist leider eine Praxis, die häufig vorkommt. Viele Leute handeln nach dem Motto, wenn ein bisschen Kreatin gut ist, dann muss viel Kreatin noch besser sein – das ist nicht der Fall." Empfohlen sind übrigens rund drei Gramm Kreatin am Tag für einen gesunden Erwachsenen. Der exakte Bedarf hängt von der Muskelmasse ab. Gießing sagt, bei dieser Dosierung seien die Kreatinspeicher in der Muskulatur nach rund einem Monat aufgefüllt. Eine Überdosis ist vor allem für die Nieren gefährlich.

Ein "Boost" für das Gehirn?

Neben der Fitness-Szene spielt Kreatin derzeit aber auch in einer sehr anderen Szene eine größere Rolle: Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler forschen ebenfalls seit ein paar Jahrzehnten mit der Substanz. Die Theorie: Was unseren Muskelzellen eine Art "Boost" gibt, kann das vielleicht auch im Gehirn leisten. "Wir haben dort die Nervenzellen, die genauso wie die Muskelzellen Kreatinphosphat nutzen können. Das Prinzip ist das Gleiche", erklärt der Forscher Ali Gordjinejad.

Bereits 2003 wurde eine Studie veröffentlicht, die untersucht hat, wie Kreatin sich auf die kognitiven Fähigkeiten von Menschen, die vegetarisch leben, auswirkt. Dass speziell Vegetarier untersucht wurden, hat einen einfachen Grund: Kreatin kommt natürlicherweise in Fleisch und Fisch vor. Es kann auch vom Körper synthetisiert werden, aber gemeinhin haben alle, die auf diese Nahrungsmittel verzichten, weniger volle Kreatinspeicher. In der Studie hatte die Kreatin-Supplementierung einen signifikanten Effekt auf das Arbeitsgedächtnis und die Intelligenz.

Im Experiment: Kreatin wirkt unter Schlafentzug

Kann uns Kreatin also künftig eine Art Super-Brain verschaffen? "Die Verbesserungen sind nicht so stark, dass man das jetzt auf Anhieb merkt ", betont der Neurowissenschaftler Ali Gordjinejad: "Aktuell ist es nicht so, dass man jetzt eine viel bessere kognitive Performance an den Tag legt."

Neurowissenschaftler Ali Gordjinejad hat untersucht, wie Kreatin bei Schlafmangel auf kognitive Fähigkeiten wirkt. Bildrechte: Privat

Der Forscher vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin am Forschungszentrum Jülich hat selbst auch in diesem Jahr eine Studie veröffentlicht. Dafür hat er untersucht, wie Kreatin auf das Gehirn wirkt. Allerdings wurde die Substanz hier eher unter Umständen getestet, die vielleicht der Prüfungsphase vieler Studierender ähneln dürfte: 15 Probanden wurden über Nacht wachgehalten und mussten währenddessen kognitive Aufgaben lösen. Bekamen sie zuvor eine hohe Einmaldosis Kreatin, zeigte sich schon ab der dritten Stunde ein positiver Effekt auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Testpersonen. Der Effekt hielt bis zu neun Stunden an.

"Das Neue an unserer Studie war, dass das Kreatin so eine akute Wirkung hatte", erklärt Gordjinejad. Dass eine so starke Wirkung beobachtet wurde, hängt auch damit zusammen, dass die Studienteilnehmenden durch den Schlafentzug bereits sehr erschöpft waren. Die neuronalen Energiereservoirs waren dadurch sehr viel leerer als bei ausgeruhten Menschen. Allerdings ist dem Forscher auch wichtig: "Bitte nicht nachmachen!". Eine so hohe Dosis, wie man sie in der Studie verwendet habe (0,35g je kg Körpergewicht) sei für die Nieren gefährlich.

Wird Kreatin eines Tages für Stress-Berufe interessant?

"Im nächsten Schritt können wir jetzt untersuchen, ob es auch mit einer geringeren Dosis geht", erklärt der Neurowissenschaftler. Er plant, das Experiment zu wiederholen – aber diesmal mit einer deutlich niedrigeren Dosis. "Sollten die Effekte dann noch einmal so klar sein, wird es tatsächlich spannend. Dann kommt man auf ein Terrain, wo das vielleicht wirklich für Berufstätige interessant sein könnte." Gerade Berufsgruppen, die mit langen Nächten zurechtkommen und dabei kognitiv fit bleiben müssen, könnten unter diesen Umständen von Kreatin profitieren. "Beispielsweise bei der Feuerwehr, für Piloten oder im Pflegedienst", sagt Ali Gordjinejad.

Links/Studien

Die Studie Single dose creatine improves cognitive performance and induces changes in cerebral high energy phosphates during sleep deprivation ist im Journal Scientific Reports erschienen und hier zu finden.

Die Studie Oral creatine monohydrate supplementation improves brain performance: a double-blind, placebo-controlled, cross-over trial aus dem Jahr 2003 ist hier verlinkt.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 29. September 2024 | 00:00 Uhr

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