Hirnforschung Überraschung! Warum Babys freudig und Erwachsene routiniert reagieren
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05. Januar 2024, 16:43 Uhr
Für Kinder steckt die Welt voller Überraschungen. Erwachsene hingegen lassen sind viel schwerer zu überraschen. Hinter dieser scheinbar einfachen Tatsache verbergen sich komplexe Prozesse. Doch eines vorweg: Ob und wie sehr wir überrascht werden können, hängt von unserem Alter und unserer Fähigkeit ab, das Unerwartete zu erkennen.
Überraschungen sind nur überraschend, wenn man dabei wirklich überrascht wird. Ach' was! Wer hätte das gedacht? Was einfach und logisch klingt, ist jedoch in der Wirklichkeit viel komplizierter. Warum freuen sich beispielsweise Babys und Kleinkinder auch beim zehnten "Kuckuck" ihres Spielpartners – und kringeln sich jedes Mal erneut vor Lachen. Warum fällt es uns Erwachsenen mit zunehmenden Alter immer schwerer, uns überraschen zu lassen? Wie gelingt eine echte, nicht vorhersehbare Überraschung?
Reizmanagement im Gehirn nimmt im Erwachsenenalter zu
Um all das zu verstehen, müssen wir tief in unsere Reaktionen und die Funktionsweise unseres Gehirns eintauchen. Denn eine Überraschung hat vor allem mit der Fähigkeit zu tun, etwas Unerwartetes zu erkennen - oder eben nicht zu erkennen. Aus evolutionsbiologischer Sicht geht es dabei weniger um Spaß als um das Überleben und den Haushalt der eigenen Energien. Einerseits ist es wichtig, immer wieder etwas Neues zu erkennen - und die Gefahren, die damit verbunden sein können. Andererseits lernt das Gehirn aus Effizienzgründen, nicht bei jedem neuen Reiz den ganzen "Werkzeugkasten" auszupacken, sondern Reize in Kategorien wie "bekannt" oder "uninteressant" einzuteilen, um Energie zu sparen.
Schneller in Kategorien einordnen
Die genaue Art und Weise, wie Überraschungen im Gehirn verarbeitet werden, ändert sich mit zunehmendem Alter, erklären die Forschenden. "Ungewöhnliche Reize werden viel schneller eingestuft, wenn sie beim zweiten und dritten Mal auftauchen – und wirken dann eben auch deutlich weniger überraschend." Diese gesteigerte Effizienz mache durchaus Sinn: "Neue Reize können unsere Aufmerksamkeit erregen, lösen aber keine unnötig starke Reaktion aus, die uns Energie kostet."
Basler Forschende untersuchten Reaktionen von Mäusen
Doch was genau passiert im Gehirn bei überraschenden Reizen? Hierzu gibt es bislang noch wenig Erkenntnisse. Forschende der Universität Basel um Professor Tania Barkat haben nun an Mäusen entschlüsselt, wie sich die Reaktionen auf Unerwartetes im wachsenden Gehirn entwickeln. Sie untersuchten, wie das Gehirn nicht erwartete Geräusche verarbeitet und was sich dabei im Laufe des Erwachsenwerdens verändert. Dabei spielen Alter und Erfahrungen eine entscheidende Rolle. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftlerinnen in der Fachzeitschrift Science Advances.
Tonreihen mit Außreißer-Tönnen
In ihren Experimenten verwendeten die Forscher Tonfolgen, bei denen in unregelmäßigen Abständen zwischen einer Reihe identischer Töne ein anderer Ton zu hören war. Gleichzeitig zeichneten sie die Gehirnströme der Mäuse auf. Dieses Verfahren ist als "Oddball-Paradigma" bekannt und wird von Medizinern unter anderem für die Diagnose von Schizophrenie verwendet.
Hirnregionen reagieren nicht zur gleichen Zeit
Das Ergebnis: Die Reaktion der Mäuse zeigte sich anfangs sehr stark, nahm aber mit zunehmender Reife der betreffenden Hirnregion ab. Eine als Colliculus inferior bezeichnete Region, die am Anfang des Weges vom Hörnerv zur Hörrinde liegt, war bei den Tieren bereits im Alter von 20 Tagen, dem frühesten vom Team untersuchten Zeitpunkt, voll ausgereift. Eine zweite Stelle, der auditorische Thalamus, zeigte erst im Alter von 30 Tagen eine "erwachsene" Reaktion auf den unterschiedlichen Ton. Die Reaktion in der Großhirnrinde selbst, dem "primären auditorischen Kortex", konnte erst im Alter von 50 Tagen bei den Mäusen nachgewiesen werden.
"Die Entwicklung der Überraschungsreaktion beginnt also in der Peripherie und endet in der Großhirnrinde", sagt Studienleiterin Tania Barkat. "Die Großhirnrinde reift also viel später als erwartet - in Menschenjahren wäre dies etwa mit Anfang 20 der Fall." Zudem zeigten die Versuche, dass Reaktionen auf Überraschungen nicht gleichzeitig in den Schall verarbeitenden Hirnregionen stattfinden, sondern nacheinander.
Erfahrungen spielen Schlüsselrolle
Die Forschenden beobachteten auch, dass Erfahrungen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Überraschungsreaktion in der Großhirnrinde spielen. Wurden die Mäuse in einer geräuschneutralen Umgebung aufgezogen, verzögerte sich die Verarbeitung von unerwarteten Geräuschen in der Hörrinde deutlich.
Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass das Gehirn - und insbesondere die Großhirnrinde - während des Wachstums ein inneres Bild der Welt bildet, das es dann mit äußeren Reizen vergleicht. Alles, was diesem "Weltbild" nicht entspricht, ist eine Überraschung, kann aber auch zu einer Aktualisierung führen. "Ohne Erfahrung mit Geräuschen ist die Großhirnrinde dieser Mäuse nicht in der Lage, ein solches Weltmodell zu entwickeln", erklärt Neurowissenschaftlerin Barkat. Infolgedessen ist das Tier nicht in der Lage, Geräusche richtig in "vertraut" und "unerwartet" zu kategorisieren.
Links/Studien
Patricia Valerio et al., Sequential maturation of stimulus-specific adaptation in the mouse lemniscal auditory system.Sci. Adv.10, eadi7624(2024). DOI:10.1126/sciadv.adi7624
(tomi)