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Grippeimpfung für alle? Dafür gibt es gar nicht genug Impfstoff. Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Covid-19Corona: Grippe könnte Ansteckungsgefahr erhöhen

09. Dezember 2020, 09:44 Uhr

In der anstehenden Grippe-Saison könnte sich die Übertragung von Sars-CoV-2 mehr als verdoppeln. Das haben Forscher mit einem mathematischen Modell herausgefunden. Sie betonen daher die Bedeutung von Grippeimpfungen - was allerdings auch Probleme mit sich bringt, weil dann gar nicht genug Impfungen verfügbar wären. Allerdings könnten die Coronamaßnahmen auch gegen die Grippe wirksam sein, und die große Welle würde dann ausbleiben.

Wie wirkt sich die jährlich wiederkehrende Grippe-Saison auf die neue Corona-Pandemie aus? Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und vom Institut Pasteur in Paris haben versucht, diese Frage auf mathematische Art zu beantworten. Ihr Ergebnis: Die Grippe hat die Übertragungsrate von Corona in der Bevölkerung bisher im Durchschnitt um das 2,5-Fache erhöht.

Somit könnte auch die nächste Grippewelle, die im Herbst wohl auf uns zurollen wird, die weiter vorherrschende Corona-Pandemie verstärken. Allerdings wurde die Studie bis jetzt nur auf der Wissenschaftsplattform medRxiv veröffentlicht und muss noch im Peer-Review-Verfahren begutachtet werden.

Verstärkte Grippeschutzimpfung empfohlen...

Für ihre Untersuchung haben die Forscher den Verlauf der Pandemie in Belgien, Norwegen, Italien und Spanien abgebildet - in diesen vier Ländern entwickelte sich die Massenerkrankung sehr unterschiedlich. Dazu flossen bestimmte Parameter wie das Generationenintervall (Zeitraum, nach dem ein Infizierter eine weitere Person ansteckt) oder der Stringenz-Index ein (misst die "Härte" staatlicher Anti-Corona-Maßnahmen).

Der Mathematiker Matthieu Domenech de Cellès. Bildrechte: Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie/David Ausserhofer

Nach dem "Nachbau" der Corona-Pandemie wurden verschiedene Annahmen zum Einfluss der Grippe-Saison auf sie geprüft. Also ob das Modell realistischer wird, wenn die Grippe die Corona-Übertragung verringert oder verstärkt. So kamen sie letztlich auf den Wert von 2,5. Nach einer Überprüfung mit den Statistiken der täglichen Todesfälle in den vier Ländern war klar: das Modell entspricht der Pandemie-Realität.

Noch unklar ist, ob an der Grippe erkrankte eher andere Menschen mit Corona infizieren oder man eher Covid-19 bekommt, wenn man schon die Grippe hat. Grippeviren erhöhen offenbar auch die Anfälligkeit für letzteres, da sie eine vermehrte Herstellung von Rezeptoren befördern, die das Coronavirus benötigt, um an menschliche Zellen anzudocken. Die Forscher raten daher zu einer verstärkten Impfung gegen die Grippe - auch, um nun die Verbreitung von Sars-CoV-2 nicht weiter zu begünstigen.

...aber nicht genügend Impfstoff vorhanden

Allerdings empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut (RKI) die Grippeimpfung nur für Risikogruppen. Dazu gehören Menschen über 60, Frauen ab der 14. Schwangerschaftswoche, Personen mit Vorerkrankungen und Menschen, die berufsbedingt ein erhöhtes Infektionsrisiko haben.

Ein Grund: Es gibt voraussichtlich nicht genügend Impfstoff. Für die Saison 2020/21 würden rund 25 Millionen Dosen zur Verfügung stehen - aktuell hat das zuständige Paul-Ehrlich-Institut 16,5 Millionen Dosen freigegegen. Allein für die Versorgung jener Menschen, denen die Stiko die Impfung empfiehlt, bräuchte es aber rund 40 Millionen Dosen. Eine Ausweitung der Empfehlung auf die Gesamtbevölkerung könnte also zu einer Unterversorgung der Risikogruppen führen.

Grippe und Covid-19 im Vergleich (Quellen: RKI/WHO/CDC). Bei den Symptomen muss beachtet werden, dass es sich um den gesamten Krankheitsverlauf handelt. Zu Beginn können bei beiden Erkrankungen Hals- und Kopfschmerzen auftreten (siehe letzter Abschnitt im Text). Bildrechte: MDR/Jörg Schwulst

Das ist ein großes Problem, da nach Ansicht von Gérard Krause eine nennenswerte Grippe-Aktivität das Gesundheitswesen herausfordern wird. Denn dann könnte es mehr Patienten mit Atemwegserkrankungen geben, die versorgt und getestet, teils in Krankenhäuser und auf Intensivstationen gebracht werden müssten, erläutert der Leiter der Abteilung für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.

Corona und Grippe zu Beginn mit ähnlichen Symptomen

Ein weiteres Problem im Grippe-Corona-Komplex sind die teilweise ähnlichen Symptome beider Erkrankungen. Dies werde die Ärzte laut Sandra Ciesek vor besondere Herausforderungen stellen. "Die Symptomatik kann insbesondere in der Frühphase der Infektion sehr ähnlich sein", erklärte die Professorin für Medizinische Virologie an der Uni Frankfurt.

Die Virologin Sandra Ciesek von der Uni Frankfurt. Bildrechte: imago images/rheinmainfoto

"Bei beiden Erkrankungen sind Fieber, Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Schnupfen und abdominelle Beschwerden wie Bauchschmerzen und Erbrechen häufige Symptome." Ohne einen Test könnten die Symptome nicht sicher unterschieden werden.

Grippewellen jedes Jahr unterschiedlich

Wie stark die Grippesaison ausfallen wird, lässt sich noch nicht abschätzen - es gibt Jahre mit starken und mit weniger starken Grippewellen. In der vorigen Saison gab es relativ wenige Kranke, zwei Jahre davor sehr viele. Influenzaviren, die die Grippe hervorrufen, zirkulieren nach Angaben des RKI zwischen Anfang Oktober und Mitte Mai. Grippewellen - also eine erhöhte Influenza-Aktivität - beginnen meist im Januar und dauern drei bis vier Monate.

Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass die Coronamaßnahmen positive Auswirkungen auf das Grippegeschehen haben. So endete die Grippewelle in diesem Frühjahr fast unmittelbar nach dem Inkrafttreten der strengen Coronaregeln Mitte März. "Wir werden vielleicht - so paradox das klingt - im kommenden Winter weniger schwere Atemwegsinfektionen haben als die Jahre zuvor", sagt Helmholtzforscher Krause. "Wenn wir denn das Verhalten so beibehalten."

cdi/dpa

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