Blutbank im Uniklinikum Halle. Ca. 300 Blutkonserven mit roten Blutkörperchen lagern hier bei 4 Grad Celsius.
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Medizinsensation? Forscher wandeln Blutgruppe A in Null um

01. Dezember 2020, 10:32 Uhr

Science Fiction oder Zauberei? Klingt so, ist aber Wissenschaft. Forschern der British Columbia University in Kanada jetzt gelungen, aus Blutgruppe A Blutgruppe Null zu machen. Ein Verfahren, das der Menschheit künftig einen großen Dienst erweisen könnte. Doch noch steckt es in den Kinderschuhen.

Unfallopfer, Menschen mit chronischen Krankheiten, Patienten, die operiert werden – Blut wird reichlich gebraucht. Und dabei gilt Blut der Blutgruppe Null in der Medizin als besonders kostbar, erklärt Markus M. Müller. Er ist Facharzt für Transfusionsmedizin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M., am größten Blutversorgungszentrum in Deutschland. Die Blutgruppe Null ist unsere Universalblutgruppe, sagt er.

Die verträgt bei uns jeder Empfänger, egal ob ich A, B oder AB bin oder auch Null, die Blutgruppe Null kann ich immer bekommen.

Dr. Matthias M. Müller, Institut für Transfusionsmedizin Frankfurt

Das bedeutet natürlich auch, so Müller, dass die Blutgruppe Null die am meisten gesuchte und gewünschte ist. Gerade im Notfall, sei das überlebenswichtig, wenn man noch keine Blutgruppe vom Patienten weiß. "Dann gebe ich ihm erst mal Blutgruppe Null", sagt Müller, "weil die verträgt er auf alle Fälle."

Leider ist die Blutgruppe Null immer recht knapp. Nur 40 Prozent der Deutschen haben sie, bei einer Spende würde sie aber Jedem nützen. Nun sind Forscher der Lösung dieses Problems ein ganzes Stück näher gekommen: sie haben ein Enzym entdeckt, das Blut der Blutgruppe A in die Blutgruppe Null umwandelt.

Enzym aus unserem Darm hilft

Ungewöhnlich daran: Gefunden haben sie das Enzym in unserem eigenen Darm. Dort hilft es Darmbakterien, Zucker in der Darmwand zu zerlegen. Das Enzym muss man sich ein bisschen wie eine Schere vorstellen, sagt Markus M. Müller. Die Blutgruppe A enthält sogenannte Antigene, die eigentlich auch nichts anderes sind als Zuckermoleküle. Diese Molküle entfernt das Enzym. 

Das kann man sich so vorstellen wie eine Pflanze, die einen Fortsatz bildet, eine Sprosse, und diese Schere schneidet an der Stelle, wo wir auf den Grundstock zurück kommen, die Blutgruppe Null, die Ausgangsblutgruppe, und von der aus bilden sich dann diese Fortsätze.

Dr. Matthias M. Müller

Das, so beschreibt es Müller weiter, seien im Prinzip lauter Zuckermoleküle, die da dran hängen. "Und die bilden dann entweder die Blutgruppe A oder, wenn andere Zucker angesetzt werden, dann die Blutgruppe B. Und diese Schere, dieses Enzym, schneidet im Prinzip dort ab, wo Null mal ursprünglich war und dann entsteht daraus die Blutgruppe Null."

Bluttransfusion ist ein geschlossenes System

Das klingt erst mal einfach. Doch in der Praxis wird es problematisch, vermutet Markus M. Müller. Denn irgendwie muss das Enzym ja ins Blut kommen. Man müste es also dem Blutbeutel hinzufügen. "Das machen wir als Transfusionsmediziner sehr ungern", sagt Müller, "weil wir immer versuchen, im geschlossenen Bereich zu arbeiten, im geschlossenen System."

Nur bei der Blutabgabe und beim Blutverabreichen wird eine Nadel angeschlossen, sonst bleibt das System immer geschlossen, dadurch gelangen so gut wie nie Bakterien ins Blut. Wenn man das geschlossene System jetzt öffnet, um das Enzym zuzugeben, wird es kompliziert. Bakterien könnten eindringen und das Blut verunreinigen. Der Körper würde dann das neue Blut vermutlich abstoßen. Man bräuchte also für diesen Prozess einen sterilen Raum. Trotzdem sieht Müller in der Methode eine große Chance für die Medizin.

Von der Idee her, ganz toll, denn das wäre ein großer Fortschritt und man könnte alle Patienten mit Null-Konserven versorgen. Aber da sind noch viele Schritte zu tun.

Müller weiß, dass die Methode noch einen umfangreichen Praxistest vor sich hat. Er vermutet: bis wir in unseren Krankenhäusern und Transfusionszentren wirklich Blutgruppen umwandeln können, werden noch gut zehn Jahre vergehen

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Juni 2019 | 17:50 Uhr