Lebensmittelsicherheit Babyflaschen setzen Mikroplastik frei

21. Oktober 2020, 13:40 Uhr

Bei der Zubereitung von Baby-Nahrung sowie zur Sterilisation wird oft Wasser erhitzt. Forscher haben jetzt in einer globalen Studie herausgefunden, dass Baby-Flaschen aus dem Kunststoff Polypropylen dabei Millionen Mikroplastik-Partikel freisetzen können.

Wie Plastik die Welt eroberte und heute fast in jeder Ecke des Globus zu finden ist, haben viele Forscher und Umweltschützer in den vergangenen Jahren skizziert. Erst im Jahr 2019 sorgten in Meerestieren nachgewiesene Mikro- und Nanokunststoffe für Erstaunen. Mikroplastik in Tieren, Gemüse, Salz, Teebeuteln und auch Getränken warfen die zentrale Frage auf: Woher kommen die Mikroplastik-Partikel und warum sind sie überall?

Babyflaschen aus Polypropylen setzen Millionen Mikroplastik-Partikel frei

Jetzt hat eine internationale Forschergruppe aus Irland herausgefunden, dass bereits Babys auf der ganzen Welt der Freisetzung von Mikroplastik ausgeliefert sind. In der Fachzeitschrift "Nature Food" schreiben Li und Kollegen, wie viel Mikroplastik bei der Zubereitung von Babynahrung mit Säuglingsanfangsflaschen aus Polypropylen (PP) freigesetzt wird. Die Forscher wiesen nach, dass sich während der Zubereitung der Säuglingsnahrung etwa 16,2 Millionen Mikropartikel pro Liter aus den PP-Säuglingsflaschen lösen. "Das ist gravierend viel höher, als die erwartete Mikroplastik-Aufnahme von etwa 100.000 Partikeln im Jahr bei Erwachsenen", schrieben die Wissenschaftler. Die Abgabe begrenzte sich den Messungen zufolge auch nicht auf eine einmalige Zubereitung. Im Gegenteil: Die Werte seien in einer dreiwöchigen Testphase nahezu gleichbleibend gemessen worden.

Besonderes Risiko bei hohen Temperaturen

Säuglingsanfangsflaschen aus Kunststoff sind den Forschern zufolge weltweit verbreitet. Bislang sei jedoch noch nicht untersucht worden, ob und wie viele Mikrokunststoffe diese Flaschen besonders bei hohen Temperaturen freisetzen. Das sei besonders relevant, da heißes Wasser sowohl zur Sterilisation von Babyflaschen und Nuckeln als auch direkt zur Zubereitung von Babynahrung verwendet wird. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) müsse das Wasser mindestens auf 70 Grad Celsius erhitzt werden, um die Belastung durch Bakterien zu verringern. "Wiederholte Temperaturänderungen und mechanische Belastung durch Schütteln bei der Zubereitung können das Flaschenmaterial belasten, insbesondere wenn sie aus Kunststoff hergestellt ist", schreiben die Wissenschaftler in der Studie.

Polypropylen-Babyflaschen weltweit verbreitet

Für ihre Studie analysierten die Forscher in einem ersten Schritt Online-Verkaufsdaten, um den Markt für die Säuglingsanfangsflaschen zu bewerten. Ihr Ergebnis: Flaschen aus Polypropylen (PP) oder mit Anteilen aus PP machen 82,5 Prozent des weltweiten Flaschenmarktes aus. Aus diesen Daten wählten sie eine repräsentative Probe von zehn Flaschen für weitere Untersuchungen, die 68,8 Prozent des globalen Online-Marktes für Säuglingsanfangsflaschen in 48 Ländern abdeckten.

In einem zweiten Schritt analysierten sie den Anteil der Mikro-Plastik-Artikel in erhitztem Wasser in einem Zeitraum von über drei Wochen. Neben der hohen Anzahl der Mikro-Partikel fanden sie sie heraus, dass die Mehrheit der Partikel mit weniger als 20 Mikrometern sehr klein ist. Weitere Ergebnisse: Die meisten Mikropartikel gaben die Flaschen ab, die nur aus reinem Polypropylen (PP) bestanden. Babyflaschen, die lediglich PP-Anteile enthielten, gaben nachweislich weniger Partikel ab.

Temperatur für die Abgabe der Mikroplastik entscheidend

Entscheidend für die Freisetzung der Mikroplastik ist nach Angaben der Forscher, die Temperatur mit der die Babynahrung zubereitet wird. Kurz: Je heißer, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mikroplastik-Partikel aus dem PP-Kunststoff herausgelöst werden. Diese Ergebnisse der Kollegen stimmen mit bereits veröffentlichten Daten überein. Wissenschaftler der kanadischen McGill University wiesen beispielsweise in einer Studie vergangenes Jahr nach, dass allein ein Teebeutel aus den Kunststoffen Nylon und PET bei Brühtemperatur mehr als elf Mikroplastik- und drei Billionen Nanoplastik-Partikel freigeben kann. In einer anderen Studie wiesen Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie in Deutschland nach, dass Wasser viele Millionen Mikroplastik-Partikel mehr enthielt, wenn es Kunststoffbehältnissen gekocht wurde.

Alle diese Studien zeigen, dass Standard-Plastik wie Polypropylen nicht temperaturbeständig sind und bei hohen Temperaturen dazu neigen, Mikro- und Nanoplastik abzuwerfen.

Dunzhu Li & Kollegen Department of Civil, Structural and Environmental Engineering, Trinity College Dublin, Dublin, Ireland

Schätzung: Jedes Baby nimmt pro Tag 1,5 Millionen Mikropartikel auf

Um das Ausmaß der mikroplastischen Belastung durch PP-Flaschen bei Babys bis zu einem Jahr global abzuschätzen, führten die Wissenschaftler in einem weiteren Schritt Modellrechnungen mit Daten über Säuglingsanfangsnahrung und Stillraten durch. Sie berechneten durchschnittliche Aufnahme von Mikroplastik von über 14.000 bis 4,5 Millionen Partikeln pro Säugling und Tag.

Aufnahme von Mikroplastik variierte in den Regionen stark

Die geschätzte Aufnahme von Mikroplastik variiert den Wissenschaftlern zufolge von Region zu Region stark: Säuglinge in Europa, Nordamerika und Ozeanien sind möglicherweise höheren mikroplastischen Werten aus Babyflaschen ausgesetzt, als Säuglinge in Afrika und Asien. Dort könnten weniger Babyflaschen aus Kunststoff verwendet oder im Internet eingekauft worden sein. Zudem sei es wahrscheinlich, dass die aktuellen Schätzungen beeinflusst werden durch verschiedene Wasserquellen, das Wasserkochermaterial und auch die Offline-Verkaufszahlen von Babyflaschen, die in die Studie nicht mit eingeflossen sind,

Auswirkungen von Mikroplastik auf Menschen kaum erforscht

Babyflaschen setzen also wie viele andere Plastikprodukte vieel Partikel frei. Das mag alarmierend klingen. Tatsächlich gibt es über die Auswirkungen von Mikro- und Nanokunststoffen auf die menschliche Gesundheit bisher wenig Untersuchungen. Auch über die realen Auswirkungen der Mikroplastik auf die Gesundheit der Babys gibt es bislang wenige Erkenntnisse. Darauf weisen auch verschiedene Forscher in ihrer Kommentierung hin.

Resonanz in der Forschung

"Es gibt bislang kaum Belege für die Toxizität von Mikro- und Nanokunststoffen in menschlichen Nahrungsquellen. Die Ergebnisse stellen einen wichtigen Meilenstein dar und dienen als Aufforderung für zukünftige Studien, sich auf die Freisetzung von Mikro- und Nanoplasten in Lebensmittel aus Kunststoffbehältern zu konzentrieren", erklärte Philipp Schwab von der Universität Wien. "Letztlich könnten solche Forschungsambitionen dazu beitragen, die Standards für die Herstellung und Haltbarkeit von Säuglingsflaschen und anderen Lebensmittelbehältern zu verbessern."

Beeindruckt zeigt sich Hanns Moshammer vom Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien. "Ehrlich gesagt bin ich schon überrascht über die hohe Anzahl an Teilchen, die in den Experimenten freigesetzt werden. Damit habe ich nicht gerechnet. Vielleicht ist das Wort 'überrascht' nicht einmal stark genug, um das auszudrücken", erklärte Moshammer. Eingeatmete Mikroplastik sei durch den Abrieb von Reifen und Bremsbelägen auch ein Problem im Straßenverkehr. "Kurzum: Polypropylen-Flaschen sind nicht unser einziges Problem. Wir sollten uns genauer anschauen, was das bedeutet“.

Mikroplastik Mikro-Kunststoffe wurden bereits in Meeresfrüchte, Salz und Gemüse nachgewiesen. Forscher entdeckten sie auch in Getränken, die zuvor in Kontakt mit Kunststoffbehältern hatten. Mikroplastik wurde auch in Tee entdeckt, dessen Teebeutel auf Kunststoffbasis hergestellt worden waren. Auch in Plastikflaschen aufbewahrtes Trinkwasser enthielt kleine Kunststoffpartikel. Mikro- und Nanokunststoffe gelangen vor allem über die Atmung und die Nahrungsaufnahme in den menschlichen Organismus.

kt

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https://www.mdr.de/wissen/audios/mikroplastik-im-trinkwasser100.html

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