Joint
Geben bekiffte Verdächtige Straftaten zu, die sie nie begangen haben? Bildrechte: colourbox.com

Hirnforschung Falsche Erinnerungen durch Cannabis-Konsum

04. März 2020, 13:36 Uhr

Dass der Konsum von Cannabis Kiffer häufig verpeilt und vergesslich werden lässt, dürfte hinlänglich bekannt sein. Doch eine Untersuchung eines internationalen Forschungsteams zeigt jetzt: Cannabis-Konsum kann unser Erinnerungsvermögen beeinflussen - und zwar so sehr, dass wir uns an Dinge "erinnern", die nie passiert sind. Das ist vor allem bei der Strafverfolgung ein echtes Problem.

Mit unseren Erinnerungen ist das so eine Sache: Unser Gehirn ruft nicht einfach "die Wahrheit" wieder auf. Erinnerung ist eher eine Art Rekonstruktion dessen, was unser Gedächtnis für die Wahrheit hält. Unsere Erinnerungen sind beeinflusst vom Kontext, von gesellschaftlichen Erwartungen oder individuellen Wünschen. Das ist ein hoch komplexes System, das es auch ermöglicht, dass wir uns vermeintlich an Dinge erinnern können, die nie passiert sind. Solche falschen Erinnerungen hält unser Gehirn dann trotzdem für "die Wahrheit".

Nervenbahnen
Erinnerung ist eine Konstruktion unseres Gehirns. Bildrechte: Colourbox.de

Es ist also schon schwierig genug, sich korrekt zu erinnern und noch viel schwieriger wird das offenbar, wenn dabei noch Cannabis im Spiel ist. Das legt zumindest eine aktuelle Untersuchung eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von Lilian Kloft von der Fakultät für Psychologie und Neurowissenschaften an der Universität Maastricht nahe, die im Fachmagazin PNAS veröffentlich wurde.

Dass insbesondere der psychoaktive Bestandteil THC der Cannabis-Pflanze das Gedächtnis beeinflussen kann, ist nicht neu. Frühere Studien legen etwa nahe, dass regelmäßiger Konsum schlecht für das Langzeitgedächtnis sein dürfte. Die aktuelle Studie bringt Cannabis jetzt auch mit völlig falschen Erinnerungen in Verbindung. Mithilfe von drei Experimenten fand das Team heraus, dass Marihuana anfälliger für solche "Fake-Erinnerungen" macht - also vermeintliche Erinnerungen an Dinge, die so nie passiert sind. Das ist den Forschenden zufolge insbesondere im Kontext von Straftaten und mit von Cannabis berauschten Verdächtigen und Zeugen problematisch.

Cannabis-Rausch begünstigt Erinnerungs-Fehler

Es gibt zwei Arten falscher Erinnerungen, schreibt das Forschungsteam: Entweder sind sie das Ergebnis innerer kognitiver Prozesse und entstehen einfach spontan, oder sie werden von außen beeinflusst - also etwa durch eine Person, die etwas behauptet, an das wir uns dann vermeintlich zu erinnern glauben. In der Studie haben die Forschenden beide Arten falscher Erinnerungen untersucht. Das Kernergebnis: Falsche Erinnerungen sind die Norm, wenn THC den Speicher beeinflusst. Das heißt, sind wir bekifft, dann sind wir in dieser Zeit auch besonders anfällig für fehlerhafte Erinnerungen.

Der Cannabis-Konsum hat der Studie zufolge offenbar einen generellen Einfluss auf das Gedächtnis. Er sorge für eine Vielzahl von Erinnerungsfehlern aller Art. Berauschte Personen hätten demzufolge ein höheres Risiko "alle Arten von Gedächtnisfehlern" zu bilden, was vor allem in Verhör-Situationen problematisch sei. Warum Cannabis diesen Effekt auf unser Gedächtnis hat, konnten die Forscher in ihrer Studie allerdings nicht klären.

Die Erstautorin der Studie, Lilian Kloft, will jetzt weiter daran forschen, was diese falschen Erinnerungen im Kontext von Polizeibefragungen bedeuten: Steigt bei bekifften Verdächtigen die Wahrscheinlichkeit, dass sie Verbrechen "gestehen", die sie nie begangen haben? Insbesondere suggestive Polizeibefragungen könnten dazu führen, dass Verdächtige wirklich von ihren vermeintlichen Taten und der Schuld überzeugt würden.

Falsche Geständnisse sind ein Hauptgrund für unrechtmäßige Verurteilungen und wir können nicht ausschließen, dass der Einfluss von Drogen die Wahrscheinlichkeit, dass ein falsches Geständnis abgelegt wird, erheblich steigert.

Lilian Kloft, Universität Maastricht

Kiffen für die Wissenschaft

Für ihre Untersuchung hat das Forschungsteam drei Experimente durchgeführt, für die die Probanden natürlich Cannabis konsumieren mussten. Die 64 Gelegenheits-Kiffer haben mithilfe eines sogenannten Vaporizers - also einem Verdampfer - Marihuana oder ein Placebo konsumiert.

Hanf-Pflanzen
Cannabis war für die Probanden nicht neu. Bildrechte: picture alliance / dpa | Oliver Berg

Es ist aber offenbar egal, wie das Cannabis konsumiert werde, so Erstautorin Kloft. In allen Experimenten sei das Erinnerungsvermögen direkt nach dem Konsum und mit einer Woche Abstand gemessen worden. Im ersten Experiment ging es um die "spontanen" falschen Erinnerungen: Die Probanden sollten sich eine Liste mit Wörtern merken und sich aktiv an sie erinnern. Als ihnen danach eine zweite Liste gezeigt wurde, auf der zu den alten einige neue Worte standen, behaupteten die bekifften Probanden häufiger, dass die neuen Worte schon auf der ersten Liste gestanden hätten.

Für die anderen beiden Experimente nutzte das Forschungsteam Virtual Reality: Die Probanden wurden in der virtuellen Welt Zeuge einer Schlägerei und verübten selbst einen Diebstahl.

Anschließend wurden sie mit falschen Informationen über das, was sie in der virtuellen Realität gesehen hatten, konfrontiert: Ihnen wurden suggestive und irreführende Fragen gestellt oder ein vermeintlicher Augenzeuge machte falsche Aussagen. Erst danach wurden die Teilnehmenden dazu befragt, was sie gesehen hatten und woran sie sich erinnerten. Im Ergebnis waren die Personen, die gerade von Cannabis berauscht waren, wesentlich anfälliger dafür, die "angebotenen" falschen Erinnerungen zu übernehmen. Am häufigsten war das der Fall, wenn es einen "Augenzeugen" gab: Hier gab es die höchste Rate an falsch erinnerten Antworten. Beim Diebstahls-Szenario tendierten die berauschten Probanden eher dazu, auf Fragen mit "ja" zu antworten, schreiben die Forschenden.

9 Kommentare

MDR-Team am 16.02.2020

Lieber Heisenberg,
das ist richtig. Doch auch provozierte bzw. gesetzte falsche Erinnerungen sind doch Erinnerungen. Und die Wissenschaftler stellten fest, dass Cannabis-Konsumenten anfälliger für diese "gesetzten" falschen Erinnerungen sind. Im ersten Teil des Tests, als die Probanden sich eine Liste mit Wörtern merken sollten und sich aktiv an sie erinnern sollten, gab es auch keine irreführenden Fragen oder vermeintliche Augenzeugen.
Freundliche Grüße aus der MDR-Wissen-Redaktion

MDR-Team am 16.02.2020

Lieber Heisenberg, sowohl wir, als auch die Wissenschaft haben sich doch schon ausgiebig mit Cannabis beschäftigt. Gerade in der Diskussion um Cannabis als Medikament wurde viel über die Wirkung von CBD geforscht und geschrieben. Alleine neben diesem Artikel sind 9 weitere verlinkt, in denen es nicht nur um THC geht, sondern auch um die positive Wirkung von CBD.
In der Legalisierungsdebatte wollen wir uns auf keine Seite schlagen. Es gibt bei Befürwortern und Gegnern gewichtige Argumente, eines davon ist der kontrollierte Markt.
Freundliche Grüße aus der MDR-Wissen-Redaktion

Heisenberg am 16.02.2020

Zusatz: Ihnen wurden suggestive und irreführende Fragen gestellt oder ein vermeintlicher Augenzeuge machte falsche Aussagen.
Natürlich ist das beim Cannabisrausch schwieriger, aber das sind ja keine falschen Erinnerungen. Das sind gesetzte falsche Erinnerungen.