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Smarte KloakeAbwasser als Corona-Frühwarnsystem

25. August 2020, 16:40 Uhr

Spuren von Sars-CoV-2 wurden laut einer umstrittenen Studie bereits im März 2019 im Abwasser Barcelonas entdeckt. Kann das Abwasser als Frühwarnsystem für Kranke und Krankheiten dienen? Eine neue Studie aus Deutschland gibt dazu Auskunft.

von Thilko Gläßgen

In allen untersuchten Kläranlagen fanden sich Spuren von Sars-CoV-2. Bildrechte: imago images/Rupert Oberhäuser

Bundesweit haben Forscherteams in den vergangenen Monaten Kläranlagen untersucht. Sie wollten die Frage beantworten, ob und wie man dort Coronaviren nachweist. Jetzt hat ein erstes Forscherteam seine Ergebnisse veröffentlicht.

In neun verschiedenen Kläranlagen in Nordrhein-Westfalen haben die Forscherinnen und Forscher der Goethe-Universität Frankfurt/M. und der RWTH Aachen am 8. April dieses Jahres Wasserproben entnommen. Kurz vor dem Höhepunkt der ersten Coronawelle fanden sich in allen Proben Spuren des Virus. Die Wissenschaftlerinn und Wissenschaftler sehen in diesen Untersuchungen großes Potenzial, um ein umfassenderes Bild der Pandemie zu bekommen.

Bisher wird in Deutschland nur dann auf Sars-CoV-2 getestet, wenn ein begründeter Ansteckungsverdacht vorliegt, beispielsweise wenn die Person mit Infizierten Kontakt hatte, im Krankenhaus arbeitet, aus einem Risikogebiet stammt oder konkrete Symptome hat. Viele Kranke fallen somit durchs Raster, bleiben unentdeckt und stecken weitere Menschen an. Dabei ist die Dunkelziffer entscheidend, wenn es um die Eindämmung einer Pandemie geht.

Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Abwässern anzustecken, bezeichnet die Studie als gering. Stattdessen betonen die Forscherinnen und Forscher, dass sich Abwässer als Frühwarnsystem eignen. Denn die Reste des Virus stecken in den Hinterlassenschaften und geben damit einen Überblick über das Infektionsgeschehen vor Ort.

Alles andere als Kaffeesatzleserei

In den neun Kläranlagen schießen zwischen 13.000 und mehr als einer Millionen Kubikliter Wasser pro Tag durch die Rohre. Zunächst entnahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Proben aus den Abwässern. Diese wurden dann für die sogenannte Real Time Quantitative PCR (RT-qPCR) aufbereitet. Bei diesem Verfahren werden die Nukleinsäuren vervielfältigt, sodass zusätzlich zum herkömmlichen Prinzip der Polymerase-Kettenreaktion eine Quantifizierung der DNA möglich ist.

Durch das besondere Verfahren lassen sich sogar Vorhersagen über die Viruslast treffen. Hiermit können wiederum Rückschlüsse auf die akuten Fälle gezogen werden. In der größten Kläranlage berechneten die Studienautorinnen und -autoren 1.037 akute Fälle. In kleineren Anlagen, wo die Viruslast geringer war, lagen zwischen 36 und 299 Fälle vor. Die Zahlen aus der Studie korrelieren nach Angaben der Forscher mit denen, die die zuständigen Gesundheitsämter veröffentlicht haben.

Die Klärgrube als Fundgrube

Wird der aktuelle Warnwert von maximal 50 Fällen pro 100.000 Menschen zugrunde gelegt, zeigt sich der wahre Wert der Forschung. So lag die Fallzahl laut der Studie je nach Kläranlage zwischen 30 und 174 Fällen pro 100.000 Menschen. Die Analyse müsste allerdings in Echtzeit passieren, damit die Untersuchungen von der Politik genutzt werden können. Auch muss dann nicht nur auf die akuten Fälle geschaut werden, denn die Dunkelziffer ist entscheidend.

Anders als in der kontroversen Barcelona-Studie entdeckte die Studie aus Nordrhein-Westfalen in alten Proben aus 2017 und 2018 keine Spuren vom Coronavirus. Stattdessen blieben selbst im gereinigten Wasser dreier Kläranlagen Spuren von Sars-CoV-2, die aber nicht mehr infektiös waren. Gefahr geht davon also keine aus.

Herausforderungen der Analysen

Schwierig gestaltet sich, dass auch das Wetter Einfluss auf die Viruslast nimmt. Starkregen führt zu Verdünnung, wohingegen Trockenheit die Konzentration erhöht. Auch ist nicht immer klar, wer die Viren in die Kanalisation bringt. Touristen benutzen schließlich auswärtige Toiletten und bringen ihre Ausscheidungen so in andere Kläranlagen. Gerade in Großstädten und Urlaubsorten kann das Verwirrung stiften.

Letztlich ist auch die wichtig, wie lang die Kanalisationsnetze sind und damit, wie lange es dauert, bis die Abwässer in der Kläranlage ankommen. Von einem Haushalt sind es nur wenige Meter, von einem anderen vielleicht schon einige Kilometer. Auch industrielle Abwässer nehmen Einfluss auf die Viruslast. Eine Fabrik, die inmitten des Lockdowns ihren Betrieb einstellt und keine Abwässer mehr produziert, erhöht die Konzentration der Viruslast.

Bis ein dauerhaftes, automatisiertes Abwasserscreening möglich ist, wird es wohl noch einige Zeit dauern. Allerdings ist die Hoffnung begründet, zukünftig virale Infektionen wie Sars-CoV-2 im Abwasser zu entdecken und damit lokale Schwerpunkte zu identifizieren. Letztlich kann das Menschenleben retten.

Link zur Studie

Die Studie ist unter dem Titel "Detection of SARS-CoV-2 in raw and treated wastewater in Germany - suitability for COVID-19 surveillance and potential transmission risks" erschienen. Beteiligt waren Forscherinnen und Forscher der Goethe-Universität und des Universitätsklinkums Frankfurt/M., der RWTH Aachen, des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) sowie der Universität Saskatchewan in Kanada.

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