Corona-Forschung aktuell: 10. Dezember Oxford-AstraZeneca Impfstoff – weniger hilft mehr

Das Team hinter dem Impfstoffkandidaten Oxford/Astra Zeneca hat erstmals vollumfänglich Daten zu seinen Phase-3-Versuchen veröffentlicht. Die zeigen überraschend: Weniger Impfstoff schützt offenbar besser.

AstraZeneca Impfdosen
Bildrechte: imago images / Sven Simon

Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse über Corona

Sachsen steht erneut vor einem harten Lockdown, den die Wissenschafts-Akademie Leopoldina für das ganze Land fordert. Aus der Forschung gibt es täglich Neuigkeiten zur Covid-19 und Sars-CoV-2. MDR WISSEN verschafft Ihnen hier den Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Update 14.12.: In diesem Beitrag wurden die Nebenwirkungen ergänzt, die von dem Impfstoffhersteller nicht als schwere Gegenreaktionen eingestuft wurden.

Gehilfe Zufall ist oft Pate der größten wissenschaftlichen Erkenntnisse – diese Erfahrung könnte möglicherweise auch für den Corona Impfstoffkandidaten AZD1222 gelten. Das Team der Universität Oxford und des Pharmakonzerns Astra Zeneca hat jetzt im Fachblatt The Lancet vollumfänglich Daten aus der Phase-3-Studie veröffentlicht, die ein schon vor einigen Wochen per Pressemitteilung bekannt gewordenes, überraschendes Ergebnis erhärten: Versuchsteilnehmer, die weniger Impfstoff bekamen, waren offenbar besser gegen das Virus geschützt.

Eine Versuchsgruppe erhielt versehentlich nur die halbe Menge Impfstoff

Insgesamt 11.636 Personen haben an den Tests der klinischen Phase 3 teilgenommen. Sie erhielten je zur Hälfte ein Placebo oder den Impfstoff. Dabei gab es zwei Studienarme, einen in Großbritannien und einen in Brasilien. Unter den Teilnehmern in England gab es eine Gruppe von 1.367 Geimpften, die durch ein Versehen bei der ersten Impfung nur die Hälfte der vorgesehenen Impfdosis erhielt. Bei der Analyse zeigte sich, dass sie zu 92 Prozent vor Corona geschützt waren, während die Wirksamkeit bei den Teilnehmern aus Brasilien nur bei 62 Prozent lag. Daraus errechneten die Forscher eine gesamte Effektivität von 70 Prozent.

Dieser Unterschied gibt den Forschern einige Rätsel auf. Lag die höhere Wirksamkeit bei den Teilnehmern mit der halben ersten Dosis möglicherweise an deren jüngerer Altersstruktur? Hier waren laut den Daten alle Versuchspersonen jünger als 55 Jahre. Die statistische Kontrolle zeigte allerdings: Das reicht zur Erklärung des beobachteten Effekts nicht aus.

Keine schweren Covid-19-Verläufe unter Geimpften

Der leitende Forscher Merryn Voysey von der Universität Oxford schränkte zur jetzt veröffentlichten Studie ein, es handele sich lediglich um eine Zwischenanalyse. Erst spätere Untersuchungen könnten Unterschiede zwischen den verschiedenen Untergruppen, etwa ältere und jüngere Teilnehmer oder die Zugehörigkeit zu verschiedenen Ethnien, erklären.

Insgesamt gab es während der Versuche 131 Covid-19-Erkrankungen unter allen Teilnehmern. Davon entfielen 30 auf die Geimpften und 101 auf die Placebogruppe. Bei den Geimpften gab es keine schweren Verläufe, in der Placebogruppe dagegen mussten zehn im Krankenhaus behandelt werden, einer starb an den Folgen der Infektion.

Eine mögliche schwere Nebenwirkung

Bei der Abschätzung der Sicherheit können die Forscher auf die Daten von insgesamt 23.745 Versuchspersonen zurückgreifen. Hier kommen zu denjenigen Teilnehmern der Phase-3-Studie noch diejenigen aus den vorangegangenen Phase-1- und 2-Tests hinzu. Hier sei es unter denjenigen, die den Impfstoff erhielten, insgesamt ein Mal zu einem schweren gesundheitlichen Problem gekommen, dass im Zusammenhang mit der Impfung stehen könnte. Ein Teilnehmer erkrankte an einer Entzündung des Rückenmarks (Transverse Myelitis). Der Zwischenfall hatte einen kurzzeitigen Stopp der Versuche ausgelöst. Daneben gab es eine weitere Person, die Fieber über 40 Grad bekam. Allerdings sei hier noch nicht klar, ob sie zu den Geimpften oder zur Placebogruppe gehört. Alle hätten sich aber erholt und seien weiterhin Teil der Versuche.

Auf einen Blick Klinische Phase 3: 11.636 Teilnehmer

Klinische Phase 1+2+3: 23.745 Teilnehmer in England, Brasilien und Südafrika

Altersstruktur Phase 1 bis 3

19.588 Teilnehmer (82 Prozent): 18 bis 55 Jahre.

4.157 Personen (18 Prozent): Alter als 55 Jahre

In der Phase 3 waren 1.418 Personen (12 Prozent) über 55 Jahre.

Schwere gesundheitliche Komplikationen

Insgesamt: 175

Davon 172 kein Zusammenhang mit Covid-19 oder Impfstoffen

Zusammenhang mit Impfungen möglich 3, davon:

1 in der Placebogruppe,

1 in Geimpftengruppe,

1 noch nicht klar, welche Gruppe

Update: Moderate Gegenreaktionen (Nebenwirkungen) wurden bereits in den klinischen Phasen 1 und 2 erfasst und in einer im Juli veröffentlichten Studie dargestellt. Einige dieser Symptome ließen sich durch die Beigabe von Paracetamol etwas abmildern. Alle Reaktionen traten innerhalb von sieben Tagen nach der Impfung auf.

Moderate Gegenreaktionen (Nebenwirkungen)
Reaktion Anteil der Teilnehmer, bei denen die Reaktion auftrat
Abgeschlagenheit (Fatigue) 70 Prozent
Kopfschmerzen 68 Prozent
Muskelschmerzen 60 Prozent
Malaise 61 Prozent
Frösteln 56 Prozent
Fiebriges Gefühl 51 Prozent
Über 38 Grad Fieber 18 Prozent
Über 39 Grad Fieber 2 Prozent

Zudem untersuchten die Forscher, ob es asymptomatische Infektionen unter den Versuchsteilnehmern gab, indem sie einen Teil der Gruppe (6.638 Teilnehmer) mit Test-Kits ausstatteten und um Rachenabstriche baten. Dabei erhielten sie einige positive Testergebnisse, die quer über alle Gruppen bei etwa einem Prozent der Teilnehmer lagen. Unter denjenigen, die versehentlich die halbe erste Impfdosis bekommen hatten, lag der Anteil mit 0,6 Prozent (7 Personen) zwar niedriger, als unter den nicht Geimpften mit 1,5 Prozent (17 Personen). Da diese Zahlen aber insgesamt sehr niedrig sind und auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass die positiven Testergebnisse falsch positiv sind oder auf Kreuzreaktionen mit anderen Coronaviren zurückgehen, lassen sich hier noch keine Schlüsse ziehen, wie effektiv der Impfstoff vor asymptomatischen Übertragungen schützt.

(ens)

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9 Kommentare

MDR-Team am 16.12.2020

@dharder,
vielen Dank für den Hinweis. Tatsächlich taucht das Nebenwirkungsprofil nur in der Phase 2 Studie auf. Grund dafür könnte sein, dass es in Phase 1 und 2 um die Sicherheit geht und in Phase 3 um die Wirksamkeit. Die Impfstoffentwickler haben also ihrer Pflicht zur Testung und Veröffentlichung mit der Phase 2 Studie Genüge getan.

Querdenker am 12.12.2020

Unabhängig davon ist mein Vertrauen in diesen Oxford/Astra Zeneca Impfstoff dann aber noch eher begrenzt.

Zitat: „… die durch ein Versehen bei der ersten Impfung nur die Hälfte der vorgesehenen Impfdosis erhielt.“

dharder am 11.12.2020

Ihre Darstellung der Nebenwirkungen des Astrazeneca- Impfstoffes "ChAdOx1 nCoV-19 (AZD1222)" hat mich stutzig werden lassen. Warum? Es werden nur Angaben zu schweren Nebenwirkungen gemacht (s.o.), nicht aber zu den Üblichen. Zwei Möglichkeiten: Es gibt keine oder Astrazeneca hat keine Angaben gemacht. Hat Sie das gar nicht aufhorchen lassen? Also mich schon, so etwas gab es noch nie! Dann bin ich fündig geworden: Im Ergebnis der Phase 1/2 Studie, ebenfalls in The Lancet vom 20.7.2020 findet sich ein wahres Füllhorn an Nebenwirkungen zu genau dem selben Wirkstoff. Ebd.: 67%Schmerzen, 50%Fieber(18% über 38Grad), 83%Druckschmerz, 70%Müdigkeit, 68% Kopfschmerz, 60% Muskelschmerzen, 61%Unwohlsein, 56%Schwindel u.v.m. Jetzt frage ich mich, wieso lese ich dazu nichts im Ergebnis der Phase 2/3 Studie? Gibt es diese Nebenwirkungen nicht mehr, habe ich etwas übersehen oder ist ihre Darstellung verkürzt? Gerne räume ich Fehler ein. Ansonsten: Können Sie sich das erklären? Ich nicht.
Danke