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US-Militärarzt Isaiah Horton erhielt bereits eine Impfung. Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Impf-Gerechtigkeit in Zeiten von Corona?

17. Dezember 2020, 05:00 Uhr

Nach derzeitigem Wissensstand können und wollen weltweit 3,7 Milliarden Menschen gegen Corona geimpft werden. Doch wie viele werden es in absehbarer Zeit tatsächlich und gibt es so etwas wie "Impf-Gerechtigkeit"?

von Thilko Gläßgen

Während die ersten Menschen ihre Impfung schon erhalten haben, ist in vielen Ländern der Welt Warten angesagt. Für die Menschen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist das zumindest absehbar. Noch vor Weihnachten könnte in Deutschland der Impfstart sein. Doch was ist beispielsweise mit Indonesien oder Südsudan? Forschende der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health schätzen, dass 2022 ein Viertel der Weltbevölkerung noch keinen Zugang zu einer Corona-Impfung haben wird.

Das Verteilungsproblem

Der Impfstoff von Biontech-Pfizer muss bei minus 70 Grad Celsius gelagert werden. Gerade in vielen afrikanischen Ländern, aber auch in Südostasien und Südamerika könnte das zum Problem werden. Ohne zuverlässiges Stromnetz, insbesondere in ländlichen Regionen, ist die Verteilung des Impfstoffs schwierig. Eine Herausforderung wird auch die Verteilung in Ländern, in denen Krieg herrscht, wie etwa in Afghanistan oder Syrien.

Ein chinesisches Flugzeug bringt medizinische Versorgung nach Ghana. Bildrechte: imago images/Xinhua

Für diese Länder sind weniger anspruchsvolle Impfstoffe praktischer. John N. Nkengasong ist Leiter der afrikanischen Seuchenschutzbehörde CDC. Er plädiert dafür, in afrikanischen Ländern die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen zu stärken. Auch Aufklärung über die Impfung sei wichtig, denn nur so lasse sich Herdenimmunität erreichen. Diese liegt seiner Schätzung zufolge bei 60 Prozent. Dafür benötigt der afrikanische Kontinent etwa 1,2 Milliarden Impfdosen. Nkengasong kann sich auch die Produktion auf dem afrikanischen Kontinent selbst vorstellen. Infrastruktur dafür stünde in Kenia bereit.

Recht auf Profit?

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen schätzt, dass die Suche nach Impfstoffen gegen Corona mit mehr als zwölf Milliarden US-Dollar gefördert wurde. Die Gelder stammen aus öffentlicher Hand, also letztlich von den Steuerzahlerinnen und Steuernzahlern. Allein in Deutschland wurden die Impfstoffentwickler von Biontech mit 375 Millionen Euro gefördert. 114 Millionen Euro erhielt IDT Biologika aus Dessau sowie 230 Millionen Euro für Curevac. Hinzu kommen Anteile an Curevac in Höhe von 300 Millionen Euro.

Die Gegenleistung, also eine Impfung, ist mittlerweile in Reichweite. Das lassen sich natürlich auch die Pharmaunternehmen bezahlen. Der Impfstoff von Astra Zeneca/Universität Oxford soll zwar zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stehen, allerdings nur so lange die Pandemie dauert. Wie es in einem Vertrag mit der brasilianischen Forschungseinrichtung Oswaldo Cruz (Fiocruz) heißt, steht das Datum bereits fest, nämlich Juli 2021. Ab dann will Astra Zeneca also mit einem vollkommen von öffentlicher Hand finanzierten Impfstoff Geld verdienen. Geld, das viele Staaten nicht haben.

Patente retten oder schaden?

Nkengasong zieht hierbei Parallelen zu HIV. Während in den USA die Todesrate seit Einführung der Medikamente Mitte der 90er Jahre sank, erreichte HIV auf dem afrikanischen Kontinent erst Mitte der 2000er Jahre seinen Höhepunkt. Die Medikamentenpreise lagen schlichtweg außer Reichweite für die allermeisten infizierten Menschen. Ärzte ohne Grenzen fordert deswegen eine Aussetzung des Patentrechts. Indien und Südafrika hatten vor der Welthandelsorganisation diesen Vorschlag gemacht, bislang erfolglos. Zwar unterstützen mehr als 100 Länder weltweit die Forderung, nicht allerdings die Europäische Union oder die USA. Sie befürchten, dass Pharmaunternehmen den Anreiz zu forschen, aufgeben, wenn sie ihre Patente nicht behalten dürfen.

Das sehen die 100 Länder rund um Südafrika und Indien anders. Ihren Aussage zufolge könnten die Aussetzung des Patentschutzes sogar Leben retten. Denn auch in Indien gibt es Labore, die mRNA-Impfstoffe herstellen können. Würde dort produziert werden, so die Argumentation, könne die Impfungsknappheit weltweit eingedämmt werden. Auch die Europäische Union würde davon profitieren.

COVAX will Gerechtigkeit

COVAX steht für einen globalen Zugang zur Impfung gegen Covid-19. Ziel der Initiative ist es, dass wenigstens 20 Prozent der gefährdetsten Menschen jedes Landes Zugang zur Impfung haben. Über 180 Länder bündeln Geld und Bestellungen, um gemeinsam mehr zu erreichen. Während die Europäische Union, und damit auch Deutschland, Mitglied ist, sind es die USA und Russland bisher nicht. Dennoch schließt Deutschland auch direkte Verträge mit Impfstoffherstellern, nutzt COVAX also nur nebenbei.

So verfügen die Mitgliedsstaaten der EU über 172,4 Prozent Impfabdeckung, die Menschen könnten also theoretisch fast zweimal geimpft werden. Auch andere Staaten sichern sich weit mehr Impfungen als sie brauchen. In Kanada liegt die Impfabdeckung sogar bei mehr als 400 Prozent. Umgekehrt erwarten fast 100 Länder gerade einmal eine Verfügbarkeit von fünf Prozent. Ob COVAX also Erfolg haben wird, ist ungewiss.

Die Frage nach der Impfstrategie ist auch eine Frage von Gerechtigkeit. Bildrechte: imago images/MiS

Auch der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation Tedros Ghebreyesus betont seine Sorge vor "Impf-Nationalismus". Sein Appell: Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind. Diese Botschaft hat sich auch COVAX auf die Fahnen geschrieben. Gemeint ist, dass das Coronavirus endemisch werden könnte, es also immer wieder auftreten könnte und damit zu einer dauerhaften Gefährdung für alle werden kann. Auch John F. Nkengasong von der afrikanischen Seuchenschutzbehörde CDC möchte, dass zu viel bestellte Impfstoffe vielleicht doch denen, die sie brauchen, zugutekommen. Kanada signalisiert ein Entgegenkommen.

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