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Sieht lecker aus (für Menschen, die Fleisch mögen), schmeckt lecker (vermutlich), aber die Enstcheidung, ob wir Fett essen wollen, fällt im Darm. Bildrechte: Colourbox

Neurowissenschaften und ErnährungDarm-Hirn-Verbindung steuert unser Verlangen nach Fett

08. September 2022, 10:47 Uhr

Es klingt wie eine Lösung für ein weltweites Problem Adipositas und falsche Ernährung: Forscher haben den Mechanismus entdeckt, der unser Verlangen nach Fett steuert – und können dieses ausschalten. In Versuchen mit Mäusen hat es bereits funktioniert.


Übergewicht ist ein weltweites Problem. Die Liste der Programme dagegen ist lang. Die Leopoldina in Halle, die Nationale Akademie der Wissenschaften, hat im Jahr 2020 einen umfassenden Plan entwickelt: Zehn Punkte im Kampf gegen das Übergewicht.

Aber die Entwicklung zeigt wie die Waage immer weiter nach oben, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In Deutschland ist jede und jeder Zweite betroffen.

Die Ernährung umzustellen, ist eben nicht so einfach. Und die ständige Verfügbarkeit hochverarbeiteter Lebensmittel mit viel Zucker und Fett verstärkt das Problem. Auch das gilt weltweit und ist tödlich, wie eine frühere Studie der Uni Halle gezeigt hat.

Epidemie von Fettleibigkeit und Stoffwechselstörungen

"Wir leben in einer beispiellosen Zeit, in der der übermäßige Konsum von Fetten und Zucker eine Epidemie von Fettleibigkeit und Stoffwechselstörungen verursacht", sagt Mengtong Li, Postdoktorandin im Zuckerman Institute der Columbia University in New York/USA. Sie ist Erstautorin einer Studie, die eine Lösung für das Problem aufzeigt. "Wenn wir unser unstillbares Verlangen nach Fett kontrollieren wollen", so Mengtong Li, "zeigt uns die Wissenschaft, dass der Schlüssel für dieses Verlangen eine Verbindung zwischen dem Darm und dem Gehirn ist".

Es ist also nicht der leckere Geschmack von Eiscreme und Buttersauce, der für den Heißhunger auf fettige Lebensmittel verantwortlich ist. "Unsere Forschung zeigt, dass die Zunge unserem Gehirn mitteilt, was wir mögen, z. B. Dinge, die süß, salzig oder fettig schmecken", sagt Dr. Charles Zuker, Professor für Biochemie und molekulare Biophysik, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. "Der Darm hingegen sagt unserem Gehirn, was wir wollen und was wir brauchen.“

Geschmack ist wichtig, aber der Darm entscheidet

Zuker und sein Team hatten in einer früheren Untersuchung bereits nachgewiesen, dass es für unser Vorliebe nach Zucker eine direkte Verbindung vom Darm ins Gehirn gibt. In ihrer neuen Arbeit gingen die Forschenden der Frage nach, ob es auch beim Fett ähnliche Verbindungen gibt. Und sie wurden fündig.

Dr. Li untersuchte dafür, wie Mäuse auf Nahrungsfette reagieren: die Lipide und Fettsäuren, die jedes Tier zu sich nehmen muss, um die Bausteine des Lebens zu erhalten. Die Mäuse bekamen Flaschen mit Wasser, das gelöste Fette enthielt, und Flaschen mit Wasser, das süße Substanzen enthielt, von denen bekannt war, dass sie keine Auswirkungen auf den Darm hatten. Die Nagetiere entwickelten im Laufe einiger Tage eine starke Vorliebe für das fetthaltige Wasser. Diese Vorliebe entwickelten die Mäuse auch dann noch, als die Wissenschaftler sie genetisch veränderten, um ihnen die Fähigkeit zu nehmen, Fett mit der Zunge zu schmecken.

 Obwohl die Tiere das Fett nicht schmecken konnten, wurden sie dennoch dazu getrieben, es zu verzehren.

Dr. Charles Zuker, Columbia University

Das konnte das Forscherteam bei der Untersuchung der Gehirnaktivitäten nachweisen. Dabei zeigte sich, dass es eine direkte Verbindung vom Darm ins Gehirn gibt, wenn dort (unten) Fett ankommt. Zwei Gruppen von Zellen sendeten ans Gehirn. "Eine Gruppe von Zellen fungiert als allgemeiner Sensor für essenzielle Nährstoffe und reagiert nicht nur auf Fett, sondern auch auf Zucker und Aminosäuren", so Dr. Li. "Die andere Gruppe reagiert nur auf Fett und könnte dem Gehirn helfen, Fette von anderen Substanzen im Darm zu unterscheiden.“

Kann man den Fettschalter ausstellen?

Was jetzt noch fehlte, war die Antwort auf die Frage: Kann man das ausschalten? Und sie lautet: Ja! Zumindest in den Tierversuchen gelang es Dr. Li laut der Untersuchung, die Aktivität der Zellen mit einem Medikament zu blockieren bzw. die Neuronen durch genetische Eingriffe zu deaktivieren. In beiden Fällen verloren die Mäuse ihren Appetit auf Fett.

Scott Sternson, Professor für Neurowissenschaften an der University of California, San Diego, der nicht an der neuen Studie beteiligt war, sieht großes Potenzial in der Entdeckung. "Diese aufregende Studie bietet Einblicke in die Moleküle und Zellen, die Tiere dazu bringen, Fett zu begehren", sagte Dr. Sternson, der selbst daran forscht, wie das Gehirn den Appetit kontrolliert. "Die Fähigkeit der Forscher, dieses Verlangen zu kontrollieren, könnte schließlich zu Behandlungen führen, die bei der Bekämpfung von Fettleibigkeit helfen können, indem sie den Verzehr von kalorienreichen, fettigen Lebensmitteln reduzieren.“

Links/Studien

Die Arbeit mit dem Titel "Gut-Brain Circuits for Fat Preference" wurde am 7. September 2022 in Nature veröffentlicht. Die Autoren sind Mengtong Li, Hwei-Ee Tan, Zhengyuan Lu, Katherine S. Tsang, Ashley J. Chung und Charles S. Zuker.
DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-022-05266-z

gp/pm