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Plastik überall. Vermeiden ist immer noch das Beste. Erst damm kommt recyceln. Bildrechte: imago/JOKER

Forschung in MitteldeutschlandLeipziger Forscher entdecken Enzym, das Plastik in Rekordzeit zersetzt

17. Mai 2022, 12:24 Uhr

Plastikschalen, Folien, Plastikdeckel: Verpackungen aus PET-Kunststoff werden zum Problem, wenn sie nicht recycelt werden. Forschende der Universität Leipzig haben ein Enzym entdeckt, das PET in Rekordzeit abbaut. Mit dem Enzym PHL7, das das Forschungsteam auf einem Leipziger Komposthaufen fand, könnte biologisches PET-Recycling viel schneller als bislang angenommen möglich werden. Chemiker Dr. Christian Sonnendecker erklärt uns im Interview, was die Entdeckung bedeutet.

von Katrin Tominski, MDR WISSEN

Herr Sonnendecker, wie kommen Sie auf die Idee, dass Enzyme Plastik zersetzen?

Der Ansatz ist nicht neu. Bereits in den 2000er-Jahren wurden erstmals Enzyme beschrieben, die den Kunststoff partiell abbauen beziehungsweise angreifen können. Mein Doktorvater, Professor Wolfgang Zimmermann war einer der Pioniere auf der Suche nach "Plastikzersetzern". Als ein besonders effektiver Zersetzer gilt beispielsweise das Enzym LCC, das 2012 in Japan entdeckt wurde.

Christian Sonnendecker ist Enzymforscher an der Uni Leipzig. Er und sein Team haben ein Enzym entdeckt, dass Plastik vollständig zersetzen kann. Bildrechte: Christian Sonnendecker, Enzymforscher Uni Leipzig

Wieso haben Sie neue Enzyme ausgerechnet auf dem Leipziger Südfriedhof gesucht?

Wir wissen, dass diese Art der plastikzersetzenden Enzyme relativ weit verbreitet sind. Wir finden sie in einer ganzen Reihe von Bakterien und auch Pilzen. Dort haben sie die Aufgabe, pflanzliche Polymere zu spalten. Da man diese Polymere vor allem in Pflanzenmaterial findet, sind Komposthaufen mit viel Pflanzenmaterial ein idealer Anlaufpunkt, um nach den speziellen Enzymen zu suchen. Der Südfriedhof in Leipzig ist hier natürlich eine Superquelle, da hier viel kompostierbares Material lagert. Und Bingo, plötzlich hatten wir ein Enzym in der Hand, was PET deutlich schneller und vollständig abbauen konnte im Vergleich zu allen bisher bekannten Enzymen. Wir wussten sofort, dass wir hier eine ganz besondere Entdeckung gemacht haben.

Bingo, plötzlich hatten wir ein Enzym in der Hand, was PET deutlich schneller und vollständig abbauen konnte im Vergleich zu allen bisher bekannten Enzymen.

Christian Sonnendecker | Enzymforscher Uni Leipzig

Gelingt die Entwicklung der Vorbehandlung für zum Beispiel Plastikflaschen könnten laut Enzymforscher Christian Sonnendecker alle PET-Materialien abgebaut werden und eine Plastik-Kreislaufwirtschaft entstehen. Bildrechte: Christian Sonnendecker, Enzymforscher Uni Leipzig

Was kann Ihr Super-Enzym, was andere nicht können?

Wir hatten sehr viel Glück, dass uns ein so aktives Enzym ins Netz gegangen ist. Das ist wirklich eine Ausnahme. Es kann eine Kunststoffverpackung vollständig in unter 24 Stunden zersetzen. Andere Enzyme brauchen dafür Tage oder Wochen.

Das Enzym PHL7 kann eine Kunststoffverpackung in unter 24 Stunden zersetzen.

Christian Sonnendecker | Enzymforscher Uni Leipzig

Wie haben Sie herausgefunden, wie effizient das Enzym arbeiten kann?

Wir verglichen den Bauplan unseres neuen Enzyms PHL7 mit dem schnellsten bislang bekannten Enzym LCC zur Plastikzersetzung, also dem bisherigen "Goldstandard". Dabei stellte sich schnell heraus, dass unser Enzym in Rekordgeschwindigkeit arbeitetet und mindestens doppelt so aktiv war.

In was wird das Plastik zersetzt?

Das ist ein weiterer Pluspunkt: Enzyme zersetzen das PET in seine Bestandteile Terephthalsäure und Ethylenglycol, aus denen sich im Anschluss wieder neues PET herstellen lässt – ein geschlossener Kreislauf entsteht.

Warum waren Sie so überzeugt, dass es noch effizientere Enzyme gibt?

Die Welt der Mikroorganismen ist groß. Uns war klar, dass hier vermutlich noch sehr interessante Enzyme darauf warten, entdeckt zu werden. Die entscheidende Frage war: Wie können wir an die unentdeckten Enzyme herankommen. Wir entschieden uns dann für den Kompost und dafür, die Gesamt-DNA einer Bodenprobe zu isolieren und darin gezielt nach den Bauplänen von Enzymen zu suchen.

Wie stellen Sie sicher, dass die Enzyme sich nicht verselbstständigen und PET zersetzen, das wir vielleicht noch brauchen?

Diese Gefahr besteht nicht, darüber brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Das Enzym stammt ja aus der Natur. Wir haben ja quasi nur entdeckt, was eh' schon vorhanden ist. In der Realität findet der PET-Abbau unter sehr kontrollierten Bedingungen in einem Reaktor bei Temperaturen von 60 bis 70 Grad statt. Bei Raumtemperatur ist die Reaktionsgeschwindigkeit eher gering. Auch die Bakterien, mit denen wir arbeiten, können sich nur unter Laborbedingungen vermehren. Die Vorstellungen, dass ein plastikfressendes Bakterium aus dem Labor ausbüxt, ist ausgeschlossen.

Kann Ihr Enzym neben Obstpackungen auch Plastikflaschen zersetzen?

Leider ist unsere neues Super-Enzym nur in der Lage, amorphes PET anzubauen. Es kann also nur PET zersetzen, das nicht im Produktionsprozess gestreckt wurde. Sobald das PET gestreckt wurde, wie es zum Beispiel bei Plastikflaschen und Textilfasern der Fall ist, ist es für das Enzym nicht mehr zugänglich und deswegen nicht mehr abbaubar. Hier brauchen wir eine Vorbehandlungsmethode. Es gibt bereits thermische Verfahren, die jedoch sehr energieaufwendig sind. An der Uni Leipzig entwickeln wir gerade alternative Möglichkeiten, um das PET zu amorphisieren. Das amorphisierte PET kann wiederum in sehr kurzen Reaktionszeiten von unter einer Stunde mit dem Enzym vollständig abgebaut werden. Mit Vorbehandlung können wir also die Gesamtheit aller PET-Materialien potenziell abbauen – und das nicht mehr im Zeitraum von Tagen oder Wochen, sondern im Zeitraum von Minuten.

Mit Vorbehandlung können wir also die Gesamtheit aller PET-Materialien potenziell abbauen.

Christian Sonnendecker | Enzymforscher Uni Leipzig

Wie geht es weiter mit dem Superenzym?

Momentan arbeiten wir innerhalb zweier EU-Projekte "Miplace" und "Enzycle" mit Wissenschaftlern aus der ganzen EU an der Weiterentwicklung von Recycle-Methoden mit dem neu entdeckten Enzym. An der Uni Leipzig optimieren wir das Enzym so, dass es noch leistungsfähiger und stabiler wird. Das ist uns in Teilen schon gelungen, wir haben bereits Varianten, die noch aktiver als die ursprünglichen Wild-Typen sind. Gleichzeitig arbeiten wir wie eben erwähnt an den Vorbehandlungsmethoden, um auch gestrecktes PET zersetzen können.

Wann könnte biologisches Recycling mit PHL7 in der Praxis umgesetzt werden?

Unsere Partner aus den EU-Projekten beschäftigen sich bereits mit einer möglichen großtechnischen Produktion des Enzyms und einer weiteren Optimierung der Enzymreaktion. Wir hoffen mit allen Partnern in den nächsten ein bis zwei Jahren einen funktionierenden Bioreaktor mit 150-Liter-System in Betrieb nehmen zu können. Damit können wir die Effizienz weiter messen und abschätzen, ob wir mit einer Großproduktion bereits im ökonomischen Bereich angekommen sind – oder ob wir noch nachjustieren müssen. Dass können wir jedoch erst sagen, wenn eine entsprechende Pilotanlage in Betrieb geht. Bislang wird biologisches PET-Recycling nur von einer Pilot-Anlage in Frankreich erprobt.

Wer könnten Industriepartner sein?

Potenzielle Industriepartner könnten Recycling-Unternehmen sein, oder direkt PET-Hersteller. Diese haben natürlich ein Interesse, den Kunststoff in einem Kreislauf fungieren zu lassen. Es macht natürlich wenig Sinn, mit Erdöl Plastik herzustellen und dies am Ende verbrennen. Dann sind die Rohstoffe weg und wir haben Kohlendioxid in der Atmosphäre – also nicht viel gekonnt. Plastik im Kreislauf immer wieder zu verwerten, ist die Lösung für unser Plastikmüllproblem.

Sie schätzen das Potenzial Ihres Enzyms also für hoch ein?

Ja. Dieses Enzym verbunden mit der richtigen Technologie nährt die Hoffnung, endlich einen rentablen Prozess für das biologische PET-Recycling zu etablieren. Mit diesem Enzym ist es rein theoretisch möglich, den Kunststoff PET in einem wenn nötig ewigen Kreislauf halten zu können. Das heißt, einmal PET mit Erdöl hergestellt reicht aus, um uns dauerhaft mit Plastik zu versorgen. Das könnte der Durchbruch für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in dem Sektor sein.

Links/Studien

MDR/kt

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