Impressionen vom Leipziger Südfriedhof
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Memento mori Friedhofsgeflüster auf dem Leipziger Südfriedhof

19. Oktober 2016, 10:29 Uhr

Wer Inspiration bei der Begegnung mit dem Tod sucht, ist bei den Friedhofsführungen von Dr. Anja Kretschmer richtig. Die Kunsthistorikerin zeigt die stille Schönheit des Leipziger Südfriedhofs, der zu den größten Parkfriedhöfen Europas gehört. Anja Kretschmer hat uns einige Fragen zu ihrem Führungsprogramm beantwortet.

Bei Ihren Führungen stehen die Sitten, Bräuche und der Aberglaube unserer Vorfahren im Mittelpunkt. Wie sind sie mit Sterben, Tod und Trauer umgegangen?

Unsere Vorfahren hatten, ebenso wie die heutige Gesellschaft sehr große Angst und Respekt vor dem Tod, aber sie haben ihn nicht verdrängt, sondern ins Leben integriert und auch ausgiebig zelebriert. So gehörte es für jeden Einzelnen dazu, sich bereits zu Lebzeiten selbständig auf das eigene Ableben vorzubereiten.

Bei der Hochzeit beispielsweise war es ganz natürlich, dass irgendwann der ortsansässige Tischler hinzukam und Maß nahm von den Eltern der Braut und des Bräutigams, um für diese einen Sarg anzufertigen. Außerdem blieb nach dem Ableben eines Angehörigen der offen aufgebahrte Sarg bis zur Beerdigung in der Diele stehen, so dass jeder aus der Verwandtschaft sowie der Nachbarschaft Abschied nehmen konnte.

Vorsichtig war allerdings gegeben, wenn etwas mit dem Toten in Berührung gekommen war oder es ungewöhnliche Anzeichen und Ereignisse gab (z.B. wenn sich die Hände nicht falten ließen), denn dies deutete auf weitere Todesfälle innerhalb der Familie hin.

Welche Beerdigungs- und Begräbnisrituale gab es?

Neben der intensiven Abschiednahme im eigenen Haus war es Brauch, dass die standesgleichen Personen als Sargträger fungierten. Hatte der Verstorbene z.B. einer Zunft angehört, waren es auch Zunftmitglieder, die ihn zum Grab trugen. Unter Gesang (durch einen Knabenchor) und Glockengeläut wurde in einer festen Leichenfolge zum Kirchhof geschritten. Anhand des Läutens konnten Anwohner Geschlecht und Alter des Verstorbenen heraushören. Ein Ritual in verbreiteten Teilen Deutschlands war beispielsweise der dreimalige Rundgang um die Kirche, um die Seele des Verstorbenen zu verwirren.

Woher kommt eigentlich die Bezeichnung "Friedhof"?

Friedhof kommt aus dem althochdeutschen und bedeutet Einfriedung und bezeichnet die neuen Bestattungsplätze, die seit dem späten 18. Jahrhundert und bis weit ins 19. Jahrhundert vor die Stadtperipherie verlegt wurden.

Europaweite Bestattungsverbote in den innerstädtischen Kirchen aufgrund der immensen räumlichen und hygienischen Missstände brachten neue gestalterische und gartenkünstlerische Diskurse mit sich. Die Anlegung von Gottesäckern außerhalb der Stadtmauern geht dabei auf das 16. Jahrhundert zurück.

Martin Luther propagierte bereits zu dieser Zeit aus hygienischen Gründen einen separaten Platz für die Toten auf dem man mit „andacht gehen und stehen“ könne. Die sogenannten Camposanti, ein dem italienischen Vorbild entlehntes rechteckiges Begräbnisfeld mit Arkadenumgang, sind Ausdruck dieser Zeit, wie man sie noch heute in Halle (Stadtgottesacker) und Buttstädt antrifft.

Warum wurden Friedhöfe seit dem Mittelalter rund um Kirchen angelegt, welche spirituelle und soziale Funktion hatten diese Orte?

Die Kirche und der Kirchhof wurden vom Christentum zur zentralen Grablege der Bevölkerung deklariert. Die Nähe zu Gott spielte dabei die entscheidene Rolle. Je näher man Gott, und in dem Sinne am Altar vergraben war, desto größer waren die Aussichten auf das vielversprechende Seelenheil.

Dabei war es nur dem Adel und dem Klerus gestattet sich im Umfeld des Altars beisetzen zu lassen. Die Oberschicht und der begüterte Bürgerstand fanden innerhalb der Kirche ihre letzte Ruhe, während das einfache Volk meist namenlos auf dem Kirchhof bestattet wurde.

Der Kirchhof selbst fungierte als gesellschaftliches Zentrum des Ortes. Dort wurde ebenso das Vieh gehütet wie auch Markt abgehalten. Ein Grund weshalb Luther die Verlegung der Begräbnisse vor die Stadt forderte und sie als reine Andachtsorte propagierte.

Das Sterben und der Tod verschwinden ja immer mehr aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wie hat sich die Bestattungskultur im Laufe der Jahrhunderte gewandelt?

Im religiös geprägten Mittelalter galt die Körperbestattung als Voraussetzung für die Auferstehung. Aus hygienischen und platzsparenden Gründen kam die Feuerbestattung Ende des 19. Jahrhunderts auf, die heute die Erdbestattung fast ausnahmslos verdrängt hat. Die gegenwärtige Tabuisierung des Todes sowie der demografische Wandel haben eine umfassende Veränderung der Bestattungskultur zur Folge, die den Andachtsort Friedhof beginnt in Frage zu stellen.

See-, Luft- und Anonyme Beerdigungen heben die individuellen Einzelgrabstätten zunehmend auf. Dabei kristallisiert sich jedoch immer mehr heraus, dass die Angehörigen einen festen Ort des Trauerns, Gedenkens und der Zwiesprache benötigen. Innerhalb der Grabkultur sind architekturgeschichtliche und gesellschaftlich bedingte Veränderungen zu verzeichnen.

Waren im Barock die überladenen Seitenkapellen in den Kirchen mit den mahnenden "memento mori" Gehaltsträgern ausgestattet, wandelte der Klassizismus den Tod als schlafenden Jüngling mit gesenkter Lebensfackel um. Im Zeitalter des Historismus und des Wirtschaftswachstums gelangten prächtige Bürgergrabmale zur Umsetzung als Zeichen des Prestiges und sozialen Aufschwungs. Als Folge der Feuerbestattungen wurden die Friedhöfe schlichter und bekamen kleinteilige Urnengrabfelder, die bis in die Gegenwart als favorisierte Grablege gelten.

Was versteht man eigentlich genau unter dem Begriff "Sepulkralkultur"?

Sepulkrum ist lateinisch und bedeutet Grab bzw. Grablege. Als die gesamte Thematik des Sterbens, des Trauerns, und Bestattens umfassender Fachbegriff wurde er in den 1970er-Jahren geprägt. Er ist als allgemeingültiger Terminus zu verstehen, der die Bestattungs- Trauer- und Erinnerungskultur impliziert.

Welche Besonderheiten bietet der Leipziger Südfriedhof?

In erster Linie liegt die Besonderheit des Leipziger Friedhofs in seiner gärtnerischen Konzeption. Als Parkfriedhof mit geschwungenen Wegen und dichten Anpflanzungen gestaltet, steht er in der Tradition der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommenen landschaftlich geprägten Bestattungsplätze mit bewusst gesetzten Akzenten in Form von prächtigen Erbbegräbnisstätten.

Darüber hinaus stellt der monumentale Komplex des Krematoriums einen bewusst inszenierten architektonischen und gestalterischen Höhepunkt dar.

Über den Leipziger Südfriedhof | Daten Der 1886 geweihte Leipziger Südfriedhof gehört zu den größten und kunstgeschichtlich bedeutendsten europäischen Friedhöfen - mit seiner parkähnlichen Anlage, etwa 500 bedeutenden Kunstwerken und dem größten europäischen Friedhofsbauwerk ist er ein großes Flächendenkmal. 560.000 Leipziger haben hier bisher ihre letzte Ruhe gefunden - darunter bedeutende Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler und Architekten. Auch die Oberbürgermeister, weltberühmten Thomaskantoren und Gewandhauskapellmeister fanden sort ihre letzte Rühestätte.

Führungen | Nächste Termine: 22.11.2017 14:00 Uhr, 26.11.2017 14:00 Uhr, 03.12.2017 14:00 Uhr, 10.12.2017 14:00 Uhr, 17.12.2017 14:00 Uhr


Friedhofsweg 3
04299 Leipzig

Öffnungszeiten des Friedhofes:
von April bis September:
07:00 bis 21:00 Uhr
von Oktober bis März:
08:00 bis 18:00 Uhr

Erreichbarkeit:
Straßenbahn: 2, 15 (Völkerschlachtdenkmal und Südfriedhof)
Bus: 70 (An der Tabaksmühle)

Über den Leipziger Südfriedhof | Die Anlage Der Leipziger Südfriedhof ist mit 78 ha die größte Friedhofsanlage in Leipzig und gilt als einer der größten und schönsten Parkfriedhöfe in Deutschland.

Die Anlage wurde durch den Stadtbaurat und bedeutenden Architekt Hugo Licht (1841-1923 und Gartendirektor Otto Wittenberg (1834-1918) mit der Wegeführung in Form eines Lindenblattes entworfen.

Damit bezogen sich die Gestalter auf den slawischen Ursprungsnamen Leipzigs "Der Ort, an dem die Linden stehen" und schufen gemäß der Zielsetzung des Jugendstils ein Gesamtkunstwerk.

Den Mittelpunkt des Südfriedhofes bildet das von 1907 bis 1909 durch Otto Wilhelm Scharenberg errichtete Krematorium. Gemeinsam mit zwei kleineren Kapellen und der großen Haupthalle bildet dieses Bauwerk einen Komplex, der bereits von Weitem durch den 63 m hohen Glockenturm zu sehen ist.

Die östliche Kapelle wurde in Kreuzform gehalten und diente wie die Hauptkapelle vorwiegend konfessionellen Trauerfeiern. Die westliche Kapelle war als Sprechhalle konzipiert und diente den weltlichen Feiern.

In ihrer baulichen Konzeption ist die Gesamtheit der Anlage dem Benediktinerkloster Maria Laach nachempfunden worden.

Die Grundrisse aller Trauerhallen ähneln einem griechischen Kreuz. Die umlaufenden Gänge und Arkaden verbinden die verschiedenen Abschnitte des neoromanischen Bauwerkes miteinander.

Die Kapellenanlage gliedert sich in drei Trauerhallen, die Trauerhalle Ost, Trauerhalle West und Große Trauerhalle sowie in Abschiedsräume, Urnenübergaberaum, in das seit 2011 wieder nutzbare Kolumbarium und in das Krematorium auf. Quelle: Stadt Leipzig / Amt für Stadtgrün und Gewässer, Abteilung Friedhöfe

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. Mai 2016 | 17:13 Uhr