Wissenschaft zur Fußball-WM Crowd-Noise-Effekt: Schiedsrichter sind beeinflussbar

26. Juni 2018, 13:39 Uhr

Von den Spielern ignoriert, von den Trainern angebrüllt und von der Tribüne bepöbelt: Der Schiedsrichter hat die wahrscheinlich undankbarste und gleichzeitig eine der anspruchsvollsten Aufgaben im Fußball. Egal, was er macht, irgendwem macht er es garantiert nicht recht. Trotzdem muss der Schiri auf dem Platz blitzschnell korrekt entscheiden. Geht das überhaupt unter diesen Bedingungen? Es ist kompliziert, sagt die Sportwissenschaft.

Es ist wohl der Traum jedes professionellen Fußballspielers, einmal im Leben bei einer Weltmeisterschaft mitspielen zu dürfen. Bei den Schiris sieht es da nicht anders aus: Wer ein WM-Spiel pfeift, hat den Schiedsrichter-Olymp erklommen. Der Weg dahin ist weit, weiß Schiedsrichter Lars Albert. Der Sachse pfeift Spiele bis zur Regionalliga, also der vierthöchsten deutschen Spielklasse. Auch Schiedsrichter steigen auf, wenn sie genug Punkte sammeln, erzählt er, denn auch sie werden bewertet:

Und natürlich hat man, je weiter es nach oben geht und je weniger auch den Sprung nach oben schaffen, auch Leistungsdruck.

Lars Albert – Schiedsrichter SFV

Der dürfte am höchsten sein, wenn es auf dem Rasen um das beste Team der Welt geht. Das sieht Sportwissenschafts-Professor Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln ganz ähnlich.

Das ist natürlich schon so, dass die ganze Welt auf einen schaut und somit die Schiedsrichter natürlich auch unter einem gewissen Druck sind. Aber das halten die gut aus, denn in den Ligen (…) haben sie ja auch den Druck, dass sie einfach gut performen müssen, um überhaupt gute Noten zu bekommen, um weiterhin dann ganz oben pfeifen zu dürfen.

Prof. Daniel Memmert – DSHS Köln

Gute Noten gibt es für Schiedsrichter, wenn sie in Sekundenschnelle die korrekten Entscheidungen treffen.

Lärm wirkt nachweisbar auf den Schiedsrichter

Doch es gibt Einflüsse, die ihre Urteile verzerren können. Einer davon kommt von den Rängen: Das Publikum kann den Schiri durch seine Lautstärke beeinflussen, sagt Memmert. Der sogenannte "Crowd-Noise-Effekt" funktioniert unterbewusst. Das haben die Sportwissenschaftler auch schon untersucht und den Effekt damit nach eigenen Angaben klar nachgewiesen.

Wir haben dazu Schiedsrichtern Videosequenzen vorgespielt und oben drüber fiktive Lautstärken von Fans gelegt, die mit der eigentlichen Situation gar nichts zu tun hatten, und konnten dadurch feststellen: Je lauter diese Fans sind, desto häufiger haben die Schiedsrichter auch eine gelbe Karte gegeben. Was besagt das? Das besagt, dass tatsächlich sich die Schiedsrichter von etwas, das eigentlich irrelevant ist, beeinflussen lassen.

Prof. Daniel Memmert

Und was ist mit gelben Karten?

Laute Fans tragen also auch zum Heimvorteil bei. Im Durchschnitt bekommt die Heimmannschaft auch eine gelbe Karte weniger als die Auswärtsmannschaft, ergänzt Memmert. Ob der Unparteiische eine Karte zieht, liege aber auch am Zeitpunkt des Foulspiels. Zu Beginn eines Spiels werden nämlich weniger gelbe Karten vergeben als gegen Ende, erklärt der Sportwissenschaftler.

Und natürlich kann man das mit den trivialen Erklärungen, die einem da jetzt gleich so einfallen, nicht erklären. Die Schiedsrichter haben schon für sich das Gefühl, dass sie erstmal reinkommen müssen in das Spiel. Wir sagen dazu Kalibrieren. Obwohl sie schon tausend Spiele gepfiffen haben, müssen sie einfach nochmal mit jedem einzelnen Spiel individuell ein bisschen warmwerden.

Prof. Daniel Memmert

Dass man immer erst ein bisschen ins Spiel kommen muss, kennt auch Schiedsrichter Lars Albert. Zwar bereitet er sich auf jede Partie vor, aber…

Die konkrete Aufgabe an sich, wie sich das Ganze gestaltet, das merkt man dann wirklich erst, wenn man vor Ort ist: Wie die Gegebenheiten sind, wie ist der Platzzustand, sind viele Zuschauer da, ist `ne aggressive Grundstimmung vorhanden, ist alles easy? Das muss man erschnuppern. Und dann muss man natürlich in den ersten Minuten des Spieles so ein bisschen – ja reinkommen und den Spielcharakter erkennen und danach auch eben seine Spielleitung ausrichten.

Schiedsrichter Lars Albert

Und die muss dann ständig an den Spielverlauf angepasst werden, ergänzt Albert, immer mit dem Ziel, dass am besten niemand über einen spricht, "weil man dann den besten Job gemacht hat."

Dieses Thema im Programm: MDR aktuell | Radio | 14. Juni 2018 | 12:50 Uhr