Drei hellhäutige Mädchen stehen nebeneinander und singen
Kinder singen oft noch ohne Scham. Auch für Erwachsene ist es gesund, wenn sie sich die Lust am Gesang nicht verderben lassen. (Symbolbild). Bildrechte: Colourbox.de

Musik und Neurowissenschaft Singende Menschen haben jüngere Gehirne

28. September 2019, 09:00 Uhr

Viele Menschen haben Angst davor, falsche Töne zu singen und lassen es deshalb gleich ganz. Die Forschung zeigt aber: Beim Musizieren kommt es nicht auf "richtig" oder "falsch" an, sondern nur auf das gemeinsame Tun.

Deutschland gehört zu einem Kulturraum, in dem Singen weitegehend professionalisiert wurde. Singen, das machen heute vor allem Profis auf Bühnen. Kaum noch wird im Kreis von Familien und Freunden gesungen, wie das noch vor wenigen Jahrzehnten üblich war. In anderen Kulturen dagegen gehört Singen nach wie vor zum Alltag, sagt Melanie Wald-Fuhrmann vom Max-Planck Institut für empirische Ästhetik.

Wir kennen keine Kultur, in der nicht gesungen wird. Die Stimme ist das uns angeborene Musikinstrument, das wir alle haben. Jeder Mensch klingt ein bisschen anders. Mit der Stimme sprechen wir nicht, sondern wir drücken uns auch singend aus und geben dabei unsere körperlichen und emotionalen Zustände bekannt.

Melanie Wald-Fuhrmann, Max-Planck Institut für empirische Ästhetik

Deutschland singt wieder

Aber auch in Deutschland schließen sich wieder mehr Menschen Chören an. Aktuell singen laut dem Deutschen Musikinformationszentrum rund vier Millionen Menschen über 14 Jahren in einem Chor.

Aus Sicht des persönlichen Wohlbefindens ist das absolut sinnvoll. Beim Singen schüttet unser Gehirn Botenstoffe aus, etwa Dopamin. Dieser Effekt tritt vor allem dann ein, wenn wir nicht alleine singen, sondern in der Gruppe. Unser Gehirn liebt Synchronizität, sagt der Neurobiologe Stefan Kölsch vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Es hat ein Buch über die "Heilende Kraft der Musik" geschrieben.

Gemeinsam Singen macht glücklich und gesund

Gemeinsam mit anderen die gleichen Bewegungen, die gleichen Töne im gleichen Rhythmus zu spielen, macht uns froh. Dieses Flow-Erlebnis tritt nicht nur beim Singen auf, sondern auch bei anderen Formen des Musizierens. "Das Erlebnis ist das Ergebnis", sagt Kölsch. In Deutschland stehe oft die Qualität einer Darbietung im Vordergrund, das Publikum gebe danach eine Bewertung ab. Während der Evolutionsgeschichte der Menschen sei es darauf aber nie angekommen.

Viel wichtiger ist, gemeinsam mit anderen zusammen zu singen, zu tanzen und zu klatschen. Die Performanz tritt in den Hintergrund. Es ist nicht wichtig, ob jeder genau den richtigen Ton singt sondern nur, dass alle zusammen gemeinsam sich an der Musik beteiligen. Das sind die musikalischen Erlebnisse, die uns besonders leicht, gesund und glücklich machen.

Es gibt Studien, die anhand von MRT-Aufnahmen zeigen, dass das Gehirn von Musikern jünger bleibt. "Am größten war der Effekt bei Amateuren, die keinen Stress haben durch Auftrittsängste oder Konkurrenzdruck", sagt Kölsch.

Kulturell erlernt: Was ist richtiges und was falsches singen?

Die Auffassung, was schöner Gesang ist und was nicht, ist wie so vieles kulturell geprägt und damit erlernt. Von Kulturkreis zu Kulturkreis gibt es laut einer aktuellen Studie große Unterschiede, ob beispielsweise Oktaven wahrgenommen werden oder nicht. Auch was harmonisch ist und was nicht, bewerten unterschiedliche Kulturen verschieden.

Außerdem hängt die Wahrnehmung von Gesang vom Kontext ab. In einer Oper erwarten Zuhörer andere Leistungen als beim Geburtstagsständchen. Am Ende spricht also vieles dafür, beim Singen nicht auf der Perfektion einer Darbietung zu beharren – sondern sich locker zu machen und mit anderen zu singen.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 27. Mai 2019 | 09:10 Uhr