Haselmaus im Sprung
Nicht jede Maus kann gleich gut springen. Mäuse mit einer bestimmten genetischen Mutation haben kräftigere Sehnen und springen deutlich weiter. Bildrechte: IMAGO / Photoshot/Evolve

Stärkere Sehnen Höher, schneller, weiter: Gen-Mutation erzeugt "Super"-Mäuse

01. Juni 2022, 20:00 Uhr

Mäuse mit einer bestimmten Gen-Mutation können wegen stärkerer Sehnen viel schneller laufen und weiter springen als ihre anderen Artgenossen. Bei manchen Menschen mit afrikanischen Wurzeln gibt es eine ähnliche Mutation.

Bei sportlichen Disziplinen, die Schnellkraft erfordern wie Sprinten oder Springen, braucht man nicht nur gute Muskeln, sondern auch gute Sehnen. Was das ausmacht, hat nun ein internationales Forschungsteam anhand von Mäusen gezeigt.

Auf der einen Seite gab es da einen Wildtyp an Mäusen. Diese kamen bei ihren weitesten Sprüngen nicht einmal auf 40 Zentimeter. Und auf der anderen Seite gab es Mäuse mit einer genetischen Mutation, die für eine kräftigere Struktur und höhere Elastizität der Sehnen sorgt. Jene Mäuse sprangen über 50 Zentimeter weit. Das Video des Forschungsteams zeigt das eindrucksvoll, links sind die Mäuse mit normalen Sehnen, rechts die mit den kräftigeren.

Videovorschaubild Springende Mäuse 1 min
Bildrechte: R. Nakamichi et al., Science Translational Medicine (2022)

Mi 01.06.2022 11:33Uhr 00:14 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/video-maeuse-weitsprung-100.html

Rechte: R. Nakamichi, et al., Science Translational Medicine (2022)

Videovorschaubild Springende Mäuse 1 min
Bildrechte: R. Nakamichi et al., Science Translational Medicine (2022)
1 min

Mi 01.06.2022 11:33Uhr 00:14 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/video-maeuse-weitsprung-100.html

Rechte: R. Nakamichi, et al., Science Translational Medicine (2022)

Video

Vor allem die Achillessehne ist wichtig

Nicht nur weiteres Springen wurde bei den Mäusen mit der Gen-Mutation nachgewiesen, sondern auch schnelleres Laufen. Und das alles wegen der Sehnen. Diese Bündel aus starkem, elastischem Bindegewebe tragen dazu bei, Energie von den Muskeln auf die Gelenke zu übertragen, und können auch elastische Energie speichern.

In den letzten Jahren haben mehrere Forschungsgruppen damit begonnen, die Rolle der Genetik bei der sportlichen Leistung zu untersuchen und festgestellt, dass vieles stark von der "Sehnen-Biologie" abhängt. Ryo Nakamichi und seine Kollegen untersuchten nun Mäuse mit der Mutation R2482H in PIEZO1, einem Ionenkanal, der wie ein Sensor mechanische Kräfte in Knochen und anderen Geweben wahrnimmt. Mikroskopische Untersuchungen zeigten dann, dass die Achillessehnen der PIEZO1-Mausmutanten wesentlich breiter waren, größere Fasern besaßen und damit mehr elastische Energie speichern konnten.

Vergleich der Achillessehnen bei 18 Wochen alten männlichen Mäusen, die bei Nagetieren mit der Piezo1-Mutation in den Sehnen breiter waren.
Vergleich der Achillessehnen bei 18 Wochen alten männlichen Mäusen, die bei Nagetieren mit der Piezo1-Mutation in den Sehnen breiter waren. Bildrechte: R. Nakamichi et al., Science Translational Medicine (2022)

Vergleich mit menschlichen Sportlern

Dass PIEZO1 auch beim Menschen eine Rolle spielt, wenn es um sportliche Höchstleistung in Schnellkraft-Disziplinen geht, wurde schon in früheren Studien festgestellt. Beim Menschen heißt die Mutation, die für stärkere Sehnen hilfreich ist, E756del. Wer sie hat, springt laut einer Studie durchschnittlich 16 Prozent höher, weil die bei dynamischen Sprungmanövern freigesetzte potenzielle Energie effektiver gespeichert wird. Das sei vor allem bei schnellen Sprüngen so, bei langsamen spielen die Sehnen nicht so eine entscheidende Rolle.

Nach bisherigem Wissensstand haben die Mutation E756del ausschließlich Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Herausgebildet und verbreitet hat sich die Mutation vermutlich wegen ihrer Anti-Malaria-Wirkung. Wer E756del hat, ist also vor Malaria geschützt und sportlich leistungsfähiger. In einer Studie aus dem Jahr 2018 heißt es, dass die Mutation "in allen Populationen afrikanischer Abstammung, einschließlich der Afroamerikaner" mit einer Häufigkeit von 9 bis 23 Prozent vorkommt, "nicht aber bei Personen nicht-afrikanischer Abstammung".

100-m-Finale Olympia London 2012
Finallauf über 100 Meter bei den Olympischen Spielen 2012 in London. Wie viele der acht Teilnehmer die Mutation E756del haben, ist unbekannt. Am Ende gewinnt Usain Bolt aus Jamaika, im Bild Dritter von links. Bildrechte: IMAGO / PCN Photography

Tests bei jamaikanischen Sprintern

Es gibt bislang keine statistischen Erhebungen, wie viel Prozent der Spitzensportler mit afrikanischer Abstammung die Mutation E756del haben. In der neuen Studie von Ryo Nakamichi und Kollegen wurde aber eine Stichprobe gemacht, die nahelegt, dass es viele sein dürften. Untersucht wurden die Gene von 91 jamaikanischen Sprintern sowie von 108 Nicht-Sportlern, ebenfalls aus Jamaika. Und es zeigte sich, dass die Mutation in ihren beiden Vererbungsvarianten (heterozygot = mischerbig, homozygot = reinerbig) bei den Sprintern deutlich häufiger vorhanden war, nämlich bei insgesamt fast 54 Prozent der Probanden, während es in der Kontrollgruppe der Nicht-Sportler knapp 33 Prozent waren.

Die Forschungsgruppe um Ryo Nakamichi hofft, dass die Erkenntnisse über PIEZO1 und E756del nicht nur der Sportwissenschaft, sondern auch der Medizin zugutekommen, zum Beispiel bei Erkrankungen bzw. Verletzungen von Muskeln, Knochen oder Sehnen.

(rr)

Ein Mann in einem Fitnessstudio 5 min
Bildrechte: MDR/Sebastian Brüning

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