Denkste Großraumbüros zerstören die Gesprächsatmosphäre

13. Juli 2018, 12:51 Uhr

Viele Unternehmen glauben, ihre Mitarbeiter reden mehr miteinander, wenn sie im Großraumbüro zusammen sind. Eine Studie zeigt das Gegenteil: Stattdessen wird mehr gemailt.

Kurze Wege, direkte Interaktion, alle Ansprechpartner vor Ort – man kennt die vielen Argumente, mit denen einen Chefs von den Vorzügen eines Großraumbüros überzeugen wollen. Ob Medienhäuser oder Softwarefirmen, ob Versicherung oder Personalverwaltung: In vielen Führungsetagen hält sich bis heute beharrlich die Erwartung, dass die Mitarbeiter intensiver zusammenarbeiten, wenn sie alle in einem Raum zusammen sitzen. Überall werden deshalb Büroetagen umgebaut, Wände herausgerissen und Mitarbeiter in Riesenräume umquartiert.

Doch anders als das Führungspersonal glaubt, fügen sich Unternehmen damit offenbar gewaltige Schäden zu. Eine aktuell heiß diskutierte Studie der beiden Wissenschaftler Ethan Bernstein und Stephen Turban der US-Eliteuni Harvard kommt zum Ergebnis, dass direkte Gespräche von Angesicht zu Angesicht um etwa 70 Prozent zurückgehen, müssen Angestellte ins Großraumbüro umziehen. Umgekehrt steigt der Umfang elektronischer Nachrichten wie Mails, mit allen damit verbundenen schlechten Folgen.

Grundlage der Erkenntnisse von Bernstein und Turban sind Beobachtungsreihen, die die Forscher in zwei Konzernzentralen durchführten. Sie begleiteten dabei den internen Umbauprozess der Firmen, die ganze Abteilungen von Einzelräumen in Großbüros verlagert hatten. Bernstein und Turban wollten wissen: Wie verändert die Architektur das Verhalten der Angestellten.

Offene Architektur weckt Fluchtinstinkte

Um das überprüfen zu können, wurden die Mitarbeiter mit tragbaren Sensoren ausgestattet, um direkte Interaktionen beobachten zu können. Parallel dazu wurde das Aufkommen elektronischer Nachrichten via Mail oder Messenger gemessen.

Dass Großraumbüros unbeliebt sind, ist schon lang bekannt. Wie verheerend die Effekte aber sind, das war auch für die Wissenschaftler überraschend: Nach dem Umzug nahm die Menge an direkten Gesprächen zwischen den Angestellten um etwa 70 Prozent ab und zwar in beiden Unternehmen. Umgekehrt nahm die Menge an Mails und Kurznachrichten zu.

Ganz offensichtlich hatte die offene Architektur nicht die Zusammenarbeit der Mitarbeiter gefördert sondern natürliche Fluchtinstinkte in den Menschen geweckt. Sie zogen sich von ihren Bürokollegen zurück und isolierten sich, so gut sie konnten, etwa, indem sie oft große Kopfhörer trugen. Dabei versuchten die meisten, möglichst beschäftigt auszusehen, während sie nun ihren Kollegen Mails schrieben, anstatt zu ihnen hinzugehen.

Rückzug ist ein tiefes Bedürfnis

Die Forscher führen zwei mögliche Erklärungen für ihre Beobachtungen an. Zum einen sehen sie ein tiefes Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten. Haben Mitarbeiter solche Möglichkeiten, werden sie oft produktiver. In Großraumbüros hingegen fühlen sich die Angestellten permanent beobachtet und suchen nun nach anderen Schutzräumen, etwa in virtuellen Welten. Statt ihre Gespräche vor dem potenziell großen Publikum der Großraumbüros zu führen, wählen sie den diskreteren Mailverkehr.

Eine andere Erklärung für die beobachteten Folgen deutet sich schon in anderen Studien an: Demnach entstehen die intelligentesten Lösungen im Kollektiv nicht, wenn wir ununterbrochen mit anderen interagieren müssen. Eher inspiriert uns eine mittlere Menge täglicher Begegnungen mit unseren Kollegen zu den besten gemeinsamen Ideen.

Angesichts der zahlreichen ungelesenen Mails in den meisten Postfächern ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass der Wechsel vom direkten Gespräch auf eine E-Mail nicht einfach nur die Wahl eines anderen Kanals ist. Mails schließen Mitleser in der Regel aus, verengen also Informationsflüsse oder bringen sie gleich ganz zum Versiegen, wenn die Nachrichten schlicht überlesen oder ignoriert werden.

Das Fazit der Forscher ist eindeutig: Großraumbüros senken die produktive Zusammenarbeit zwischen Kollegen. Vielleicht kommt diese Warnung irgendwann bei allen Entscheidern an.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR Das Radio | 29. Dezember 2017 | 18:05 Uhr