Podcast: Die großen Fragen in zehn Minuten Warum helfen wir?

19. Januar 2023, 10:10 Uhr

Liegt uns das Helfen in den Genen? Warum gibt es dann Leute, die keinen Finger für andere rühren? Und warum macht Helfen eigentlich glücklich, was passiert dabei und bei wem?

Große Fragen in zehn Minuten

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Portrait von Marylin Monroe im Comic-Stil mit virtuellen Vermessungshilfslinien
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Podcast-Host Karsten Möbius mit einer futuristischen "body modification" im Gesicht
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Ein nackter Mann mit langen Haaren und einer Krone auf dem Kopf schwimmt mit geschlossenen Augen im Wasser. Links von ihm im Wasser ist ein Delfin, rechts von ihm eine Krähe, hinter ihm ein menschliches Gehirn im Anschnitt. Als Wasserzeichen die Zahl Zehn.
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Vermutlich kennen viele diese Situation: Man lümmelt gemütlich auf der Couch, draußen dämmert es gerade und man will abtauchen in das wohlige Spätnachmittagsfeeling, wenn alles erledigt ist, und plötzlich klingelt das Telefon. Ein Freund braucht Hilfe, er steht mit seinen Einkäufen vor einem Möbelhaus und stellt fest, es passt gar nicht alles in sein Auto. Und während man sich noch auf den Weg Richtung Möbelhaus aufmacht, fühlt man sich zwar schläfrig aber auch irgendwie gut. Aber warum eigentlich? Warum helfen wir? Warum springen wir müde ins Auto und freuen uns noch dabei? Steckt Helfen in unseren Genen?

Was helfen bei uns und anderen bewirkt

Tatsächlich sind es manchmal sogar nur kleine Gesten, die gute Laune zu machen und den Tag versüßen, denn helfen macht glücklich. Anne Böckler-Raettig, Psychologie-Professorin an der Universität Würzburg, bestätigt das: "Wenn wir helfen, werden Glücksareale oder Belohnungsareale im Gehirn aktiviert, beispielsweise. Wir können auch zeigen, dass helfen Stress reduziert. Wenn wir helfen können, dann fühlen wir uns wohler. Dann werden auch Spannungen abgebaut, die durch das Leid anderer erzeugt werden." Die Forscherin erklärt die Gründe dafür: "Einer der wichtigsten ist die ganz direkte Möglichkeit, die Welt selber zu gestalten, sie zu einem besseren Ort zu machen. Die Freude oder Dankbarkeit der anderen sehen wir unmittelbar und das wirkt ansteckend." Und mit diesem Gefühl sind wir offenbar nicht allein, denn die Forscherin erklärt weiter: "Helfen schafft Verbundenheit mit anderen, sowohl mit denen, denen wir helfen, als auch mit anderen, die helfen oder sich engagieren. Das gibt uns Hoffnung. Wenn wir helfen, können wir aus gutem Grund zuversichtlicher sein, dass andere uns vielleicht in einer ähnlichen Situation auch helfen würden."

Helfen wir aus Berechnung?

Hier kommt ein spannender Zungenschlag ins Spiel. Wenn wir helfen, sagt die Psychologin, können wir zuversichtlicher sein, dass uns andere in einer ähnlichen Situation auch einmal helfen. Hat Helfen also etwas mit Berechnung zu tun, mit einer Kosten-Nutzen-Abwägung oder erwarteten Gegenleistungen?

Mann geht mit der Waage der Gerechtigkeit auf einem Drahtseil
Ist Helfen Abwägungssache? Bildrechte: imago images/Ikon Images

Das hieße ja, dass Menschen nun doch nicht ganz so selbstlos helfen. Ja, wie denn nun? Die Neurowissenschaftlerin Grit Hein, Professorin an der Universität Würzburg listet folgende Gründe fürs Helfen auf: "Wir helfen aus Mitleid oder manchmal aus Pflichtgefühl. Wir helfen aus Sorge um das Allgemeinwohl. Und, das darf man auch nicht vergessen, wir können auch aus egoistischen Gründen helfen, beispielsweise wenn wir uns durch helfen eine Belohnung erwarten oder wenn wir uns durch helfen einfach besser fühlen. Das ist letzten Endes ein egoistischer Grund, der am Ende auch zum Helfen führt." Da ist also schon wieder der Gedanke, dass helfen letzten Endes einen egoistischen Grund hat. Auch wenn wir uns durchs Helfen besser fühlen, ist das letztlich egoistisch.

Helfen hilft dem Genpool

ein schlafendes Kind
"Am schönsten sind sie, wenn sie schlafen" witzeln Eltern, wenn sie müde sind von durchwachten Nächten oder Tagen voller Zank und Streit unter Geschwistern Bildrechte: IMAGO/Cavan Images

Was, wenn wir umgekehrt fragen: Würden wir auch helfen, wenn wir uns dabei oder danach schlecht fühlen? Offenbar hat sich die Natur irgendwas dabei gedacht, dass wir uns beim Helfen gut fühlen. Evolutionsbiologisch fängt es damit an, dass selbst das Aufziehen des Nachwuchses mit einer Belohnung verknüpft ist. Echt jetzt? Wer Kinder hat, kennt solche Situationen: Man kümmert sich jahrelang um den Nachwuchs, wechselt um vier Uhr früh die vollgebrochene Bettwäsche des Kindergartenkindes, oder hält dem Pubertier, das über der Kloschüssel Alkohol entsorgt, die Haare aus dem Gesicht. Wenn die Brut dann wieder sanft ruht, schleicht sich ein Lächeln ins Gesicht: Schön, wie das Kind so friedlich schläft. Bleibt trotzdem die Frage: Ist das schon die Belohnung oder kommt da noch mehr?

Verhaltensökonom Hannes Rusch forscht an der Universität Maastricht. Er sagt: "Sowohl bei Menschen, als auch bei Tieren gibt es Erklärungen, die in der Gesamtschau zeigen, dass es sich entweder für den Helfenden selber lohnt, altruistisch zu sein, oder dass es sich nicht für den Helfer selber lohnt, aber im evolutionären Spiel dazu führt, dass seine Gene trotzdem vermehrt in die nächste Generation gebracht werden. Aus biologischer Sicht muss sich auch altruistisches Verhalten in der ganz langen genetisch gesehenen Frist lohnen."

Entenmutter mit goldgelber Kükenschar in der Wiese
Auch die Entenmutter schützt ihre Jungen. Bildrechte: imago/Harald Lange

Helfen dient also dazu, den ganz eigenen individuellen Genpool zu erhalten und damit auch die Gene der eigenen Art. Helfen scheint eine Eigenschaft zu sein, die das Überleben leichter möglich macht. Das klingt extrem nachvollziehbar und plausibel. Lebewesen, die diese Eigenschaft beherrschen, sind im Vorteil. Deshalb ist sich Hannes Rusch sicher, dass und das Helfen in den Genen steckt: "Diese Bereitschaft, sich für Verwandte zu sehr hohen Kosten aufzuopfern, steckt nicht nur in unseren Genen, sondern in den Genen von ganz vielen Tieren. Auch die Löwenmutter wird für ihr Kind im Zweifel vielleicht sterben oder für ihre Schwestern und so weiter. Da sind wir gar nicht einzigartig im Tierreich, das gibt es ganz oft."

Sind nur Menschen hilfsbereit?

Helfen steckt in uns. Und damit sind wir nicht allein, es ist kein spezielles menschliches Verhalten. Haben wir damit die Frage 'Warum helfen wir?' schon beantwortet? Ganz grundsätzlich ja. Aber wir Menschen sind, gerade was soziales Verhalten und soziale Beziehungen betrifft, schon besonders. Beispielsweise müssen wir, wenn wir unseren Nachwuchs aus dem Gröbsten rausbekommen wollen, jahrelang helfen und zwar länger als andere Lebewesen, sagt die Psychologin Anne Böckler-Raettig: "Wir sind gar nicht denkbar ohne Helfen. Durch unser letztendlich massives Gehirn, das gar nicht durch einen Geburtskanal passt, müssen wir sehr unreif zur Welt kommen. Das heißt, wir brauchen den Schutz der Gruppe, den Schutz meistens der Eltern. Dadurch haben sich auch Gesellschaftsformen herausgebildet, die sich sehr intensiv um den Nachwuchs kümmern."

Es gibt die These, dass wir als Menschen, als menschliche Gesellschaft gar nicht überlebensfähig wären, würden wir uns nicht in besonderer Weise gegenseitig helfen. Hannes Rusch erklärt ein Gedankenexperiment des US- Anthropologen Michael Tomasello. "Was würde mit einem Menschenkind passieren, das wir irgendwo aussetzen? Wäre das überlebensfähig? Nein! Warum wäre das nicht überlebensfähig, auch langfristig nicht? Weil es lernen muss, wie es sich in seiner Umwelt zurechtfindet. Dieses Lernen braucht einen Lehrer. Und dieser Lehrer ist im Grunde jemand, der dem Kind hilft zu überleben in der Umwelt, in der das Kind gerade ist. In unserer Kultur, unserem ganzen Wissen, das wir kulturell tradieren, steckt so viel Hilfe drin, die uns vorherige Generationen geben und die wir an Folgegenerationen weitergeben."

Wer nicht hilft, hat einen Gendefekt?!

Wir brauchen also nicht nur beim Jagen lernen Hilfe, oder wo und wie man am besten einkauft, was man mehr essen sollte und was nicht. Wir brauchen auch Hilfe, wenn es darum geht, moralische Standards zu lernen oder Wertesysteme zu verinnerlichen. Teil dieses Wertesystems ist auch, dass Helfen gut und offenbar auch extrem nützlich ist. Wir Menschen empfinden Hilfe oder das Gegenteil, im Stich gelassen zu werden, in nahezu allen Situationen. Zuhören kann helfen, freundlich sein, alltägliche Kleinigkeiten. Oder den Schrank für einen Freund fahren oder sich für die Kameraden vor das Maschinengewehr zu werfen.

Das ist dann wirklich uneigennützige Hilfe. In so einem Fall erwartet man danach nichts mehr. Hilfe ist auch, mit anderen zusammenzuarbeiten, zu kooperieren, nützlicher Teil einer Gemeinschaft zu sein. Das liest sich jetzt so, als wäre helfen das Selbstverständlichste von der Welt und alle tun es. Dabei haben vermutlich alle schon mal Menschen beobachtet, die nicht helfen. Was stimmt mit denen nicht? Haben die einen Gendefekt? Sind das untypische Vertreter unserer Art? Kann sein, muss aber nicht.

Eine junge Frau hilft beim einkaufen einer älteren Frau.
Wenn jemand nicht hilft, kann das auch bedeuten, dass jemand in Eile ist. Bildrechte: IMAGO/Ute Grabowsky/photothek.de

Es ist wie immer eine Frage der Perspektive, sagt die Psychologin Böckler-Raettig: "Eine typische Situation: Sie beobachten einen jüngeren Mann, der einer älteren Dame nicht über die Straße hilft. Dann ist Ihnen in der Beobachtungsrolle sofort klar: Der ist ein Egoist, ein Depp. Wenn wir es aber selber sind, die nicht helfen, haben wir dafür eigentlich immer gute Gründe. Wir haben es eilig. Wir kennen die Dame, die kommt immer irgendwie über die Straße. Oder wir haben es einfach nicht gesehen. Bei uns selber sind wir schon relativ großzügig, obwohl wir natürlich manchmal ein schlechtes Gewissen haben." Und sie führt fort: "Menschen unterscheiden sich darin, wem sie helfen und wann sie helfen, welche Situationen sie als solche erkennen, in denen andere Hilfe brauchen. Menschen unterscheiden sich auch darin, wie sie helfen, mit Geld oder durch Zeit, durch Energie, durch Informationen. Und natürlich unterscheiden sich Menschen auch darin, wie schnell und häufig sie helfen, also auch in dem Ausmaß der Hilfsbereitschaft oder Großzügigkeit."

Der Grundstein für Hilfsbereitschaft wird in der Kindheit gelegt

Aber wer hilft wem, wie und in welcher Situation? Hier spielt die eigene Kindheit eine Rolle. Neurowissenschaftlerin Hein erklärt das: "Wenn ich in meiner frühen Prägung, in der Kindheit, viel Hilfe und Großzügigkeit erfahren habe, wird das für mich auch in meinem späteren Leben vielleicht selbstverständlicher sein, als wenn ich die Erfahrung machen musste, dass mir selbst nie geholfen wurde und ich selbst mit meinen Problemen und den Unbilden des Lebens schon sehr früh allein dastehen musste."

Wer also früh Hilfe erfährt, merkt, was das mit einem macht. So lernt man, dass durchs Helfen Menschen zueinanderfinden, dass Hilfe mit Vertrauen, mit Wertschätzung und Anerkennung zu tun hat, und dass Hilfe immer mit Gemeinsamkeit, mit sozialer Aktion verbunden ist. Für Menschen, die das von Kindheit an erfahren haben, ist Helfen nicht nur selbstverständlicher, sondern auch ein besonderer Wert. Andere müssen sich das erst erarbeiten. Nachweisbar soll wohl sein, dass ärmere Menschen im Verhältnis zu ihrem Einkommen mehr spenden als Reiche. Als Erklärungsversuch wird immer argumentiert, ärmere Menschen wissen, wie wichtig Hilfe ist. Psychologie-Professorin Anne Böckler-Raettig sagt: "Ich denke immer: Selbst wenn nur die mitmachen, die sowieso schon nett sind, dann können die eine Dynamik in Gang setzen, einfach dadurch, dass sie freundlicher, hilfsbereiter, aufmerksamer werden und damit natürlich auch andere inspirieren." Sie verweist auf den Alltag: "Nicht nur Corona und schlechte Laune sind ansteckend, andere Dinge sind es ja auch. Und dazu gehören gute Laune und auch Hilfsbereitschaft."

Ein Mann und ein Mädchen sammeln Pilze
Wer von Kindesbeinen Hilfsbreitschaft erfährt, für den ist später Helfen selbstverständlich und ein kostbarer Wert. Bildrechte: IMAGO/Westend61

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