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Nachhaltiges BauenWeltweit erstes adaptives Hochhaus reagiert auf Wind und Erdbeben

07. Oktober 2021, 06:00 Uhr

Mit 250 Sensoren kann sich das weltweit erste adaptive Hochhaus auf Wind und Erschütterungen einstellen und spart nebenbei noch die Hälfte des Baumaterials. Der Prototyp soll auf der IBA 2027 vorgestellt werden.

Ein Hochhaus, das sich quasi im Wind wiegen und auf Erdbeben reagieren kann: In Stuttgart stellten Forschende ein Zwölfgeschosser vor, der auf Umwelteinflüsse reagiert. Bildrechte: Universität Stuttgart/ILEK

Ein Hochhaus mit zwölf Etagen, dass sich quasi im Wind wiegen kann, dessen Tragwerk Schwingungen abzufedern vermag - und das ganz nebenbei noch die Hälfte aller Ressourcen und Emissionen einspart? Was fast unglaublich klingt, ist jetzt Forschern und Forscherinnen der Universität Stuttgart gelungen. Sie bauten ein Gebäude, das sich wechselnden Umwelteinflüssen anpassen kann. Der Prototyp ist jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

"Die Forschung an adaptiven Systemen eröffnet einen vielversprechenden Weg zu mehr Ressourceneffizienz und Klimaschutz", sagte Professor Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK). Die Einbindung von unterschiedlichen industriellen Partnern bei der Entwicklung adaptiver Trag- und Fassadenelemente ist der beste Beweis, wie Grundlagenforschung und praktische Anwendung sehr eng miteinander verzahnt werden können.“

Treppen und Versorgungsleitungen ausgegliedert

Der Bau des Hochhauses war vom Sonderforschungsbereich "Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“ vom ILEK an der Uni Stuttgart initiiert worden. Das zwölfgeschossige Hochhaus mit einer Höhe von etwa 36,50 Metern hat eine quadratische Grundfläche von fünf mal fünf Metern. Ein angrenzender Treppenturm sorgt für die vertikale Erschließung inklusive aller Versorgungsleitungen.

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Aktive Elemente in Tragwerk und Fassade

"Das Einzigartige an diesem Hochhaus ist die Integration von aktiven Elementen in die Tragstruktur und in die Fassade", erklärten die Wissenschaftler. Ein Zusammenspiel aus 250 Sensoren und 24 Aktoren ermögliche, die durch den Wind auftretenden Schwingungen im Turm durch ein intelligentes Regelungskonzept auszugleichen. Auftretende Verformungen würden von den Sensoren erfasst, während Hydraulikaktoren Verformungen über Gegenkräfte im Tragwerk gezielt entgegenwirken.

"Dies dient gleichzeitig auch der Dämpfung von Schwingungen – so kann deutlich leichter gebaut werden, als dies ohne Adaptivität möglich wäre", sagte Initiator Professor Werner Sobek. "Unsere weltweite Spitzenposition im adaptiven Bauen wird mit diesem Forschungshochhaus weiter gefestigt. Noch nie war Architektur so wandelbar, so veränderlich mit der Zeit wie hier“.

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Bis zu 50 Prozent Ersparnis an Ressourcen und Emissionen

Die Fassade des Gebäudes, die derzeit noch aus einer einlagigen Membran besteht, wird schrittweise durch adaptive Hüllelemente ersetzt. Diese neuen Fassadenelemente können nicht nur den Licht- und Energieeintrag in das Gebäude beeinflussen, sondern auch den Luftaustausch wie den Wärmedurchgang. Ziel der Forschenden ist ein maximaler Nutzen bei minimalem Energie- und Materialaufwand.

Wir konnten zeigen, dass mit der Technologie der Adaptivität in Tragwerken Einsparungen an Ressourcen und Emissionen im Lebenszyklus eines Gebäudes von bis zu 50 Prozent möglich sind.

Professor Oliver Sawodny | Sprecher des SFB 1244, Uni Stuttgart

Auch die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer erklärte zur Eröffnung des Hochhauses: "Die Universität Stuttgart trägt mit dem Demonstrator-Hochhaus maßgeblich zur Ressourceneinsparung und zur Energieeffizienz im Bauwesen bei.“

Kosten: etwa zwei Millionen Euro

Die Kosten des weltweit ersten adaptiven Hochhauses belaufen sich auf etwa zwei Millionen Euro. Das Hochhaus soll auf der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBAʼ27) als Beispiel für eine ressourcenschonendere Bauweise vorgestellt werden.

"Wenn wir bei wachsender Weltbevölkerung unsere natürlichen Lebensgrundlagen bewahren wollen, können wir nicht weitermachen wie bisher", erklärte IBA- Intendant Andreas Hofer. IBAʼ27-Projekte versuchten einen Beitrag dazu zu leisten, dass das Bauen zukünftig nachhaltiger, ökonomischer und sanfter werde. "Leichtbautechniken, die nun beim Demonstrator-Hochhaus erprobt werden, spielen dabei eine herausragende Rolle", sagte Hofer.

Über den Sonderforschungsbereich SFB 1244

Der SFB 1244 "Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“ erforscht, wie angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und schrumpfender Ressourcen künftig mehr Wohnraum mit weniger Material geschaffen werden kann. Mit dem Ziel einer maximalen Einsparung von Material- und Energie bei gleichzeitiger Steigerung des Nutzerkomforts erforschen 14 universitäre Institute verschiedener Fachbereiche das Potenzial und die Anwendbarkeit von adaptiven Gebäudehüllen und Strukturen im Bauwesen. Dies umfasst sowohl die Entwicklung einzelner (Bau-)Komponenten, als auch deren Einbindung in ein Gesamtsystem.

(kt)