Zwei Frauen sitzen sich mit großen Abstand gegenüber
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Corona-Psychologie Corona: Was an sozialer Distanzierung & Quarantäne stresst

26. März 2020, 08:16 Uhr

Kurzfristig nervt es einfach nur, dass wir uns nicht treffen können, mit wem oder wo wir wollen, und nicht selbst entscheiden, wie nah wir uns dabei auf die Pelle rücken. Was soziale Distanzierung mit uns macht, ist noch nicht erforscht, dafür aber, welche Nebenwirkungen Quarantäne hat.

Soziale Distanz, Quarantäne, Isolierung: Alle diese "Abstandhalter" machen etwas mit uns, sind aber keinesfalls miteinander zu verwechseln. Sie sollen unsere körperliche Gesundheit schützen und Ansteckung verhindern. Alle drei haben, ähnlich wie Medikamente, Nebenwirkungen. Die sind, wie bei jedem Heilmittel, von Mensch zu Mensch verschieden. Das, was die meisten von uns derzeit in Deutschland erleben, ist die soziale Distanzierung. Und obwohl die sich im Vergleich mit einem Leben in Quarantäne oder in Isolation ertragen lässt, hat auch sie unangenehme Nebenwirkungen. Psychologin Annegret Wolf schildert sie im Corona-Psychologie-Podcast von MDR Sputnik:

Gereiztheit, Verärgerung, schlechter Schlaf: Das sind typische Reaktionen einer Belastungssituation.

Das größte Problem besteht offenbar darin, dass wir nicht wissen, wie lange wir "sozial distanziert" leben müssen. Soziale Distanz beschneidet menschliche Grundbedürfnisse, sagt Psychologin Wolf: "Wir brauchen Kontakt, wir brauchen Beziehungen, das Gefühl eingebunden zu sein in eine Gemeinschaft." Ist der Zeitraum klar umrissen, können wir uns darauf einstellen.

Ein Mann mit Helm, auf dem eine Kerze brennt,  schneidet ein Stück von einem Maßband ab. Ein zweiter hält einen Helm, in den der Abschnitt reinfällt.
Soldaten beim verbotenen Maßbandanschnitt, Mai 1988. Jeder Schnitt - ein Tag weniger. Bildrechte: imago/Christian Thiel

Ähnlich wie die jungen Männer früher  in der NVA, die im letzten Halbjahr des Grundwehrdienstes jeden Tag bis zu ihrer Entlassung von einem Bandmaß ein Stück abschnitten: Eine optische Hilfe für die Seele. Man konnte sehen, wie die abzuleistende Militärzeit schrumpfte. Oder umgekehrt, ein positives Beispiel: der Adventskalender, mit dem sich Kinder türchenchenweise auf das Weihnachtsfest freuen. Weil aktuell ein zeitliches Ziel fehlt, ab wann wir unsere sozialen Bedürfnisse wieder befriedigen können, wird der fehlende Zeitrahmen zum psychologischen Stressfaktor - einer von vielen.

Das bestätigt auch Sozialpsychologe Gerald Echterhoff. Er sagt im Gespräch mit MDR aktuell: "Unsicherheit ist extrem unangenehm. Das ist ein Zustand, den man meiden und reduzieren möchte."

Prof. Dr. Gerald Echterhoff 4 min
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Fragen an den Sozialpsychologen Gerald Echterhoff.

MDR AKTUELL Di 24.03.2020 05:17Uhr 04:27 min

https://www.mdr.de/wissen/was-macht-corona-mit-der-psyche100.html

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Weil uns nämlich die Leitplanken fehlen, wir wir mit den Einschränkungen durch die Politik umgehen, dafür haben wir keinen Routinen, meint Echterhoff. Wir müssen einerseits viele Informationen verarbeiten und gleichzeitig unsere Emotionen regulieren. Wer sich selbst beobachtet und Veränderungen an sich feststellt, könne seine Emotionen aufschreiben, notieren, was diese Gefühle mit einem machen, sagt der Sozialpsychologe aus Münster. Warum kein Corona-Krisentagenbuch in der Familie führen? Auch das kann Teil einer Tagesroutine sein, und zu einer Leitplanke werden, die in der Zeit der Unsicherheit hilft.

Studien-Fazit: Was den Stresspegel niedrig halten kann

Was den Stress bei Quarantäne niedrig halten kann, sagt eine Metastudie, die das Fachmagazin Lancet veröffentlicht hat.

Dazu haben Forscher aus verschiedenen Studien Erfahrungen von Menschen herausgefiltert, die wegen Sars, Ebola oder anderen hochinfektiösen Krankheiten in Quarantäne waren. Ihr Fazit: Information ist ein Schlüsselbedürfnis. Menschen in Quarantäne müssen die Situation verstehen können. Effektive und schnelle Kommunikation ist essentiell. Grundbedürfnisse der alltäglichen und der medizinischen Versorgung müssen abgesichert sein. Je kürzer der Zeitraum, in dem persönliche Freiheiten beschnitten werden, desto kleiner bleiben die seelische Folgen. Freiwillige Freiheitseinschränkungen sorgen für weniger mentalen Stress und verursachen weniger Langzeitfolgen. Verantwortliche im Gesundheitswesen müssen die Wichtigkeit der Selbstisolierung klar machen.

Studien ermitteln Quarantäne-Nebenwirkungen

Eine Person liegt wach im Bett.
Kennen viele von uns derzeit: Das nächtliche Gedankenkarussell. Bildrechte: Colourbox.de

Wie wichtig es ist, möglichst viele Stressfaktoren auszuschalten oder gering zu halten, zeigen die Ergebnisse der verschiedenen Studien. Die Liste der Quarantäne-Nebenwirkungen ist nämlich lang, breit gefächert und teilweise nachhaltig. Sie reicht von posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen, die drei Jahre nach der Quarantäne-Erfahrung auftraten, über akute Folgen wie Erschöpfungszustände, emotionale Instabilität, verringerte Konzentrationsfähigkeit, bis zu Angst und Schlaflosigkeit.

Eine Studie hatte beispielsweise das Auftreten von Ängsten während und nach der Quarantäne Zeit erfasst, die sich aber nach vier bis sieben Monaten wieder gelegt hatten. In einer anderen Studie wurde als Nachwirkung von Quarantänezeiten Vermeidungsverhalten erfasst: Befragte sagten, sie mieden weiterhin Menschen, die husten oder niesen, häufiges Händewaschen wurde beibehalten, ebenso die Vermeidung großer Menschenmengen. Erst Monate später legte sich das.

Wie wichtig effektive Kommunikation und Information über die Gründe für Quarantäne sind, zeigten die Erfahrungen von Menschen, die im Gesundheitswesen von Senegal arbeiteten, die nach einer Ebola-Quarantäne ins soziale Leben zurückkehrten. Sie schilderten als Folgen häusliche Spannungen, Stigmatisierung und Abweisung: Nach Ende der Quarantäne-Zeit entstand Stress im Haushalt, weil die Angehörigen ihren Job als gefährlich einstuften. Andere berichteten über den Rückgang sozialer Einladungen, abnehmende soziale Kontakte innerhalb der Nachbarschaft, ängstlichen und misstrauischen Umgang, kritische Bemerkungen.  

Tückische Spätfolge: Alkoholismus

Neben all den direkten Auswirkungen sozialer Distanzierung gibt es aber auch auch die langfristigen - und die sind nicht ohne. Psychologin Wolf rät:

Aufpassen sollten wir vor allem, dass wir nicht langfristig Schaden nehmen durch Kompensationsmuster, die wir während der Krise entwickeln, wie Alkoholkonsum oder andere Substanzen.

eine Hand mit Federhalter beim Schreiben auf ein Blatt Papier
Quizfrage: Wann haben Sie das letzte Mal einen Brief geschrieben? Bildrechte: imago/Dirk Holst

Eine Studie hatte 2008 belegt, dass Krankenhausangestellte, die 2003 wegen des damaligen SARS-Vorkommens in Quarantäne waren, drei Jahre später von Alkoholproblemen berichteten. Annegret Wolf rät, Verantwortung für andere zu übernehmen, für die, von denen man weiß, dass sie allein sind: "Wichtig ist, in Kontakt bleiben mit Menschen, Freunde, Familie, egal ob über technische Hilfsmittel oder Briefe." Das lenkt ab, und Ablenkung ist ja eines der wichtigsten Mittel, die uns davon abhalten, gedanklich ständig um Corona zu kreisen.

Gute Kommunikation - in Krisenzeiten extrem wichtig

Viele kennen das aus dem Urlaub, da kracht es bei Paaren oder in Familien in den ersten Tagen richtig, weil man plötzlich viel mehr Zeit als sonst miteinander verbringt. Genau wie jetzt, in diesen Corona-Tagen, an denen sich viele nicht aus dem Weg gehen können. Um so wichtiger ist es, jetzt auf den richtigen zwischenmenschlichen Ton zu achten, mahnt die Hallenser Psychologin:

Wir müssen sensibel sein für die Gereiztheit des anderen. Das ist ja nur ein Ausdruck für Sorgen und Ängste, Momente in denen man gerne mal in Streitereien verfällt, da hilft, sich selber beobachten, die Ängste des anderen wahrnehmen, und vor allem darüber sprechen. Man sollte versuchen, eine gute Streitkultur zu pflegen.

Annegret Wolf, Psychologin

Dabei hilft, Wolf zufolge, auch: Den Alltag gut strukturieren, Routinen schaffen, Sporteinheiten einbauen, den inneren Schweinehund besiegen - das tut auch der mentalen Gesundheit gut.