Luftbild des 200 Hektar großen Siedlungsareals der Tripolye mega-site Maidanetske mit Grabungsflächen
Luftbild des 200 Hektar großen Siedlungsareals der Tripolye mega-site Maidanetske mit Grabungsflächen: Um einige tausend Menschen ernähren zu können, musste eine für die damalige Zeit gewaltige Siedlung errichtet werden. Die war auf funktionierende politische Institutionen angewiesen. Bildrechte: Institut für Ur- und Frühgeschichte/Universität Kiel

Archäologie Ur-Städte in Osteuropa: an Zentralisierung gescheitert

01. Oktober 2019, 11:09 Uhr

Zur Zeit der Babylonier gab es auch in Osteuropa erste, riesige Siedlungen mit bis zu 15.000 Einwohnern. Archäologen haben nun eine Theorie, warum diese Städte der Cucuteni-Tripolje-Kultur zusammenbrachen.

Ob es um Politik geht oder um die Produktion, um Nachbarschaftsstreits oder gemeinsame Feste: Überall, wo viele Menschen zusammen leben, müssen sehr viele Entscheidungen getroffen und Konflikte gelöst werden.

Fühlen sich dafür wenige Mächtige allein zuständig, kann das zu gewaltigen Problemen führen. Sind Entscheider schlecht informiert oder überlastet, treffen sie Entscheidungen falsch oder zu spät. Oder sie entscheiden im Sinne weniger Menschen, woraufhin die vielen anderen Menschen sehr unzufrieden sind.

Problematische Machtmonopole sind sicher einer der Gründe für das Ende der sozialistischen Staaten in Osteuropa. Wie eine aktuelle archäologische Studie jetzt zeigt, gibt es dafür aber schon viel ältere Beispiele.

Jungsteinzeitliche Großstädte in Osteuropa

Kupferzeitliches Versammlungshaus nach der Freilegung: In einem offenen Hof und einem angrenzenden, überdachten Gebäudeteil fanden eine Vielzahl unterschiedlicher integrativer Aktivitäten statt.
Kupferzeitliches Versammlungshaus nach der Freilegung: In einem offenen Hof und einem angrenzenden, überdachten Gebäudeteil fanden eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Aktivitäten statt. Bildrechte: SFB 1266

Vor über 6000 Jahren, in der Jungsteinzeit, blühte in der Region zwischen der westlichen Schwarzmeerküste und der heutigen Zentralukraine die Cucuteni-Tripolje-Kultur. Hier lebten die ersten Landwirte Europas in vergleichsweise riesigen Siedlungen mit bis zu 15.000 Einwohnern. Zur gleichen Zeit, zwischen 4000 und 3500 vor Christus, waren die mesopotamischen Stadtstaaten wie zum Beispiel Babylon auf dem Höhepunkt ihrer Macht.

Die ringförmig aufgebauten Siedlungen der osteuropäischen Tripolje-Kultur hatten teilweise bis zu 2700 einstöckige Gebäude. Sie existierten etwa 500 Jahre (zwischen 4100 und 3600 vor Christus), also nur relativ kurz. Hinterlassen haben ihre Bewohner vor allem sogenannte Bandkeramik, also aus Ton gebrannte Keramikgefäße, die auf einer drehenden Scheibe hergestellt und kunstvoll mit Bändern verziert waren. Ein Team von deutschen und ukrainischen Forschern hat jetzt eine Theorie entwickelt, was zum Untergang der Siedlungen geführt haben könnte.

Archäomagentischer Plan der Tripolye-Siedlung Maidanetske (Ukraine) aus der Zeit zwischen ca. 3950 und 3650 v. Chr. Ca. 3000 Häuser und zugehörige Gruben waren in konzentrischen Reihen um einen leeren Platz gruppiert und von einem Graben umgeben. Die kupferzeitlichen Versammlungshäuser (schwarz) sind in regelmäßigen Abständen an unterschiedlichen Stellen im öffentlichen Raum der Siedlung plaziert.
So sah die Tripolje Siedlung wahrscheinlich aus. Dieser Plan wurde auf Basis der magnetischen Bodenuntersuchungen erstellt. Bildrechte: Umzeichnung René Ohlrau, Institut für Ur- und Frühgeschichte

Öffentliche Versammlungsstätten waren zentral für die Siedlung

Die Wissenschaftler um den Archäologen Robert Hofmann von der Universität Kiel haben sich vor allem mit der Ausgrabungsstätte Maidanets'ke rund 180 Kilometer südlich von Kiew beschäftigt. Mit Hilfe magnetischer Anomalien konnten sie die Struktur der 200 Hektar großen Siedlung rekonstruieren. Dort fanden sie neben den einstöckigen Wohnhäusern auch deutlich größere Gebäude, die offenbar als öffentliche Versammlungsstätten dienten. Bei diesen Versammlungsstätten gab es im Lauf der Zeit offenbar große Veränderungen, berichten sie im Journal Plos One.

"Während zu Beginn der Entwicklung der Großsiedlungen mindestens drei unterschiedliche Größenklassen dieser Versammlungshäuser bestehen, gibt es nach circa 300 Jahren nur noch die größten von ihnen", sagt Robert Hofmann. "Offensichtlich wurden die unteren und mittleren Entscheidungsebenen aufgrund innergesellschaftlicher Spannungen ausgeschaltet."

Zentralisierung war der Untergang

Den Forschern zufolge gab es zu Beginn an viele unterschiedlich große Versammlungshäuser. Neben einigen zentralen waren offenbar auch solche dabei, die nur von den Bewohnern bestimmter Viertel genutzt wurden. Später jedoch existieren nur noch große, zentrale Häuser.

"Die drastische Zentralisierung und der Wegfall demokratischer Entscheidungsstrukturen auf unterer und mittlerer Ebene waren der Hauptgrund für den Kollaps der Tripolye-Großsiedlungen", lautet die Schlussfolgerung von Hofmann und seinen Kollegen. "Andere Gründe wie die Knappheit an Holz oder die Erschöpfung der Böden können wir ausschließen. Bis zu 10.000 Menschen konnten nicht durch nur eine zentrale Institution gemanagt werden", sagt der Wissenschaftler. Das habe wahrscheinlich zum Niedergang der Großsiedlung geführt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 26. Mai 2019 | 09:27 Uhr

0 Kommentare