Volkswirtschaft Kommunismus prägt Menschen bis heute

01. Oktober 2022, 16:00 Uhr

Der Kommunismus hat Menschen in ihren tiefen Einstellungen langfristig geprägt. Das haben Forschende einer privaten Managementschule nachgewiesen. Bis heute gibt es zwischen Ost und West große Unterschiede in der Risikobereitschaft und bei der Geduld.

Weil Menschen im Kommunismus und im Sozialismus vor allem in der Zukunft liegende Visionen in Aussicht gestellt worden sind, orientierten sie sich weniger an der Gegenwart. Gleichzeitig führte die ständige Produktknappheit in allen wesentlichen Lebensbereichen, wie zum Beispiel beim Wohnen und in der persönlichen Mobilität, zu einer hohen Geduld. Diese Thesen der Autoren Friehe und Pannenberg (2020) legten die Wissenschaftler der Otto Beisheim School of Management (WHU) ihrer eigenen Analyse zugrunde, in der sie herausfinden wollten, ob es diese Unterschiede wirklich gibt und wie groß sie sind.

"Die Untersuchung von Einflüssen früherer kommunistischer Institutionen auf Zeit- und Risikopräferenzen ist von großer Bedeutung für das Verständnis aktueller wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen, insbesondere in Osteuropa", schreiben Wang, Rieger und Schaewitz in ihrer im "Journal of Economic Behavior and Organization" veröffentlichten Studie. "Es hat sich gezeigt, dass Risiko- und Zeitpräferenzen politisch relevante Themen wie Steuerpolitik oder Umweltschutz beeinflussen.“ Nach Kenntnis der Autoren ist es die erste umfassende Untersuchung kommunistischer Einflüsse auf die Risiko- und Zeitpräferenzen von Bürgern auf europäischer Ebene.

Osteuropäer richten Verhalten nicht am endgültigen Vermögen aus

Die Datenbasis für ihre Untersuchungen bezogen die Forschenden aus zwei groß angelegten Umfragen für europäische Länder (INTRA) sowie für West- und Ostdeutschland (SOEP). Sie stellen fest, dass auch drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kommunismus immer noch Unterschiede zwischen West- und Osteuropa hinsichtlich Risiko- und Zeitpräferenzen bestehen.

Das Ergebnis, vereinfacht formuliert: Osteuropäer und Ostdeutsche richten ihr Verhalten nicht am endgültigen Vermögens- oder Wohlfahrtszustand aus, sondern an Veränderungen gegenüber eigenen Referenzpunkten. Ihr individuelle Risikoverhalten variiert je nach eingeschätzter Sicherheit eines auftretenden Ereignisses.

Risiko- und Zeitpräferenzen

Risiko- und Zeitpräferenzen sind wichtige Faktoren bei der Entscheidungsfindung, auf individueller wie auf staatlicher Ebene. Zeitpräferenzen beeinflussen zum Beispiel das Spar- und Anlageverhalten. Im staatlichen Kontext beziehen sich Zeitpräferenzen etwa darauf, zu welchem Zeitpunkt die Steuerpolitik geändert wird oder gesundheitspolitische oder klimapolitische Maßnahmen beschlossen werden. Risikopräferenzen drücken die Bereitschaft aus, bei einer Entscheidung negative oder nicht vorhersehbare Folgen in Kauf zu nehmen.

Diese Dresdner Familie tauschte am 01.07.1990 in einer Sparkasse in Dresden Ostmark gegen 2000 D-Mark.
Die Freude dieser Dresdner Familie zur Währungsunion war groß, endlich konnten sie ihre Ostmark in hartes Westgeld eintauchen. Viele Ostdeutsche wussten jedoch nur wenig über den Finanzmarkt und Finanzprodukte. Bildrechte: imago/Ulrich Hässler

Sichere Zahlungen werden bevorzugt

Wirtschaftswissenschaftler ordnen dies unter dem Begriff "Prospect-Theory " ein, welche der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann geprägt hat. Diese Theorie beschreibt Verhalten unter Unsicherheit und unterscheidet sich grundlegend vom üblichen Erwartungsnutzungskonzept (Nutzentheorie), bei dem der ökonomische Erwartungsnutzen als Entscheidungsgrundlage genutzt wird. Osteuropäer und Ostdeutsche sind also - vereinfacht formuliert - risikoscheuer. Sie bevorzugen sichere Zahlungen gegenüber höheren, aber unsicheren Gewinnen. Beispielsweise ist es ihnen lieber, sicher 50 Euro zu erhalten als mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit 100 Euro und mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit null Euro

Geduld ist in Ungeduld umgeschlagen

Den Wissenschaftlern zufolge zeigen auch Jüngere, also postkommunistische europäische Studierende Anzeichen, dass sie eher der "Prospect Theory" folgen. Gleichzeitige wiesen die Forschenden bei ihnen eine höhere Ungeduld sowie eine höhere Impulsivität nach. "Dieses ungünstige Verhaltensmuster könnte ein Erbe des Kommunismus sein", schreiben die Autoren. Die Ergebnisse der Probanden aus Osteuropa stimmten zudem mit den Ergebnissen zur deutschen Bevölkerung überein. Eine Ausnahme gebe es jedoch: "Osteuropäer scheinen impulsiver zu sein."

Risikobereitschaft kann sich angleichen

Die Wissenschaftler halten es für möglich, dass sich die Risikobereitschaft in Ost und West weiter annähern kann, "wenn die politischen und wirtschaftlichen Institutionen in den postkommunistischen Ländern stabil sind". Lohnenswert erachten die Wissenschaftler die Analyse der Einstellungen deshalb, weil sie "Vorhersagen erlauben, welche Divergenzen sich in naher Zukunft eher angleichen werden und in Zukunft einkalkuliert werden sollten". Diese Mentalitätsunterschiede seien für kluge (finanz)politische Entscheidungen.

"Unsere Ergebnisse können politischen und wirtschaftlichen Entscheidern helfen zu verstehen, wie und warum sich die Risiko- und Zeitpräferenzen sowie die Verlustaversion osteuropäischer Gesellschaften von denen westeuropäischer Staaten unterscheiden“, schreibt das Autorenteam.

Unterschiede nicht allein durch Kommunismus

Allerdings führen die Wissenschaftler die Mentalitätsunterschiede nicht allein auf den Kommunismus/Sozialismus zurück. Nach ihren Ergebnissen werden die Faktoren Verlustaversion und Zeitdiskontierung durch formelle und informelle Institutionen geprägt, die deutlich älter sind als die kommunistische Phase. "Allerdings scheinen eine größere Ungeduld und Verlustaversion bei osteuropäischen Personen fester verankert zu sein. Sie werden sich wahrscheinlich kurz- bis mittelfristig durch politische und wirtschaftliche Reformen nicht ändern lassen“, erklären die Autoren.

Erhebliche Unterschiede zwischen Westeuropa und Russischem Reich

Die Wissenschaftler ließen für ihre Analysen auch die Unterschiede von Institutionen vor dem Kommunismus/Sozialismus einfließen. "Bei den formellen Institutionen gab es erhebliche Unterschiede zwischen Westeuropa und dem Russischen Reich. So verfügte Westeuropa, einschließlich der mitteleuropäischen Reiche Österreich und Deutschland, im Durchschnitt über effizientere und weniger korrupte Verwaltungen, hochwertigere Bildungssysteme mit einer früheren Einführung der staatlich kontrollierten Schulpflicht und schaffte die Leibeigenschaft viel früher ab als das Russische Reich", schreiben die Wissenschaftler. "Was die informellen Institutionen betrifft, so war die kulturelle Grundlage des Russischen Reiches slawisch, orthodox, byzantinisch und mongolisch und unterschied sich daher grundlegend von der westeuropäischen Kultur, die sich aus einem germanischen, römisch-katholischen und im Laufe der Zeit auch protestantischen Umfeld entwickelte.

Links/Studien

Culture and Institutions: Long-lasting effects of communism on risk and time preferences of individuals in Europe
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0167268122002438?via%3Dihub

(kt)

4 Kommentare

Atze1 am 02.10.2022

Aber ja, richtig ist, dass alle Leute heute über etwa 40 von der Erziehung in der DDR wesentlich geprägt wurden.Vor allem in Kindheit und Jugend dominiert das. Es war vor allem der Gemeinschaftssinn, die Erziehung zum Frieden und zur Freundschaft zu anderen Ländern, die Rolle der SU , die Einstellung zum Arbeiter- und Bauernstaat, die bleibende Einstellungen noch heute widerspiegeln. Alles in allem doch gut, wenn man bedenkt, dass heute nur fast Jeder selber sieht, wo er bleibt. Schade, dass sich diese Eigenschaften langsam verlieren.Die Praxis hat eben das Primat. Wenn heute egoistisches Verhalten vorherrscht, dann muss man also die gesellschaftlichen Verhältnisse untersuchen.( Als Tipp. )Die friedliche Revolution 1989 ist auch Ausdruck der humanistischen Erziehung und Bildung durch die DDR- Lehrerschaft in der Schule über Generationen . Ich bin gewiss,dass das heute ganz anders verlaufen würde. MfG

Atze1 am 01.10.2022

Ja, kluge Menschen denken an ihre Zukunft. Perspektive! Gegenwart reicht nicht aus, zumal sie durch die gegenwärtigen Krisen geschüttelt wird. Da braucht man sich nicht wundern.

Atze1 am 03.10.2022

@maheba:
Pauschalurteil